Börse 20 Jahre Dax: Gewinner und Verlierer

Der Dax wird seit 20 Jahren regelmäßig aktualisiert. Anleger wären mit den Gründungsmitgliedern besser gefahren: Der Ur-Dax stünde heute bei 12.000 Punkten.

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Wenn Milan Dax seinen Nachnamen nennt, sind ihm Nachfragen sicher. Dachs, wie das Wildtier? Oder Dax, wie die Börse? Der 20-jährige aus Anrath bei Krefeld heißt nicht nur wie der Aktienindex, er ist auch genauso alt. Kurz nach Milans Geburt, am 1. Juli 1988, startete die Börse ihren Index der 30 größten deutschen Aktien. Bei 1164 Zählern endete der erste Handelstag – 23 Punkte oder zwei Prozent im Plus.

Ein Sonntagskind, das gleich so weitermachte: Schon nach fünf Jahren hatte sich der Dax verdoppelt. Er verdrängte schnell das halbe Dutzend bis dahin gebräuchlicher Kursbarometer. In diesen 20 Jahren hat die Deutsche Börse ihren Index 25-mal aktualisiert. Unternehmen, die stark an Börsenwert verloren oder übernommen wurden, flogen raus, neue Börsen-Stars, wie SAP und Conti, stiegen auf.

Die Dax-Gründungsmitglieder

Aktie/ Branche im Dax von der Gründung am 1.7.1988 bis Wertent- wicklung bis heute* Grund des Ausscheidens aus dem Dax Mannesmann/ Mischkonzern 14.02.2000 +4449 Übernahme durch Vodafone, Aufspaltung Viag/ Energie als E.On weiter im Dax 19.06.2000 +2457 Zusammenschluss mit Veba zu E.On, Volkswagen/ Automobil heute +1974 - Schering/ Pharma 18.09.2006 +1703 Übernahme durch Bayer, fortan als Bayer Schering Pharma Veba/ Energie 19.06.2000 +1591 Zusammenschluss mit Viag zu E.On, als E.On weiter im Dax MAN/ Fahrzeug- und Maschinenbau heute +1420 - BASF/ Chemie heute +1309 - RWE/ Energie heute +1146 - Thyssen/ Stahl 25.03.1999 +962 Zusammenschluss von Thyssen und Krupp, ThyssenKrupp weiter im Dax Zum Vergleich: Ur-Dax +930 die 30 ursprünglichen Dax-Werte Hoechst/ Chemie, Pharma 20.09.1999 +879 Zusammenschluss von Hoechst und Rhône-Poulenc zu Aventis Dresdner Bank/ Finanzen heute +614 - Siemens/ Technologie heute +606 - Bayer/ Chemie, Pharma heute +604 - Continental/ Kfz-Zulieferer bis 23.9.1996 und 22.9.2003 - heute +589 1996 zu niedrige Marktkapitalisierung, seit 2003 wieder im Dax BMW/ Automobil heute +588 - Feldmühle Nobel/ Papier 03.09.1990 +477 Übernahme durch Stora Enso (Schweden), heute Teil von Gea und Stora Enso Zum Vergleich: Dax +465 echter Index mit allen Anpassungen Linde/ Industrie heute +405 - Henkel/ Konsum heute +394 - Bayerische Vereinsbank/ Finanzen 22.06.1998 +367 Zusammenschluss mit der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank zur HypoVereinsbank Degussa/ Chemie 22.03.1999 +367 1999 Fusion mit Hüls, unter wechselnden Namen bis 2002 im Dax, heute Evonik Deutsche Bank/ Finanzen heute +315 - Kaufhof/ Einzelhandel 22.07.1996 +306 Zusammenschluss von Kaufhof und Metro, als Metro weiter im Dax Lufthansa/ Transport heute +224 - Allianz/ Versicherungen heute +197 - Commerzbank/ Finanzen heute +191 - Daimler-Benz/ Automobil heute +155 Zusammenschluss mit Chrysler, als DaimlerChrysler ab 21.12.1998 weiter im Dax, nach Verkauf von Chrysler 2007 wieder Daimler Bayerische Hypotheken- und Wechselbank/  Finanzen 22.06.1998 +147 Zusammenschluss mit der Bayerischen Vereinsbank zur HypoVereinsbank Karstadt/ Einzelhandel 19.03.2001 –20 2001 zu niedrige Marktkapitalisierung, heute Teil von Arcandor Nixdorf/ Computer 03.09.1990 –49 Übernahme durch Siemens, heute Fujitsu-Siemens Deutsche Babcock/ Anlagenbau 18.09.1995 –100 1995 zu niedrige Marktkapitalisierung, 1999 Übernahme durch Preussag, 2002 Insolvenz als Babcock Borsig * Wertentwicklung vom 1.7.1988 bis 22.6.2008 in Prozent. Existiert die Aktie nicht mehr in der ursprünglichen Form, wurde die Entwicklung mit Aktien des übernehmenden oder fusionierten Unternehmens bzw. mit einer Barabfindung (verzinst mit 4 Prozent p.a.)

Die Börse ändert den Dax, damit in ihm immer die meistgehandelten Aktien mit dem höchsten Börsenwert enthalten sind. So will sie sicherstellen, dass der Index von den wachstumsstärksten und liquidesten Werten profitiert und ein aktueller Spiegel der deutschen Wirtschaft bleibt. Für Anleger aber war es, das zeigt eine Berechnung der WirtschaftsWoche, nicht unbedingt die beste Strategie, die nach einem starren Regelwerk vorgenommenen Änderungen mitzumachen: Wer zum Start des Dax 1988 in die 30 Ur-Dax-Werte investierte und sie einfach 20 Jahre lang liegen ließ, hätte seine Investition heute verzehnfacht. Der „echte“ Dax, dessen Besetzung und Gewichtung sich 25-mal änderte, schaffte in derselben Zeit ein Plus von rund 500 Prozent.

Anders ausgedrückt: Hätte die Börse den Dax seit 1988 unverändert gelassen, stünde er bei 11.988 Punkten statt bei 6500. Und das, obwohl sich im Ur-Dax sogar Pleitefirmen befinden, etwa Babcock Borsig. Die enormen Zuwächse einiger Dax-Aktien der ersten Stunde, etwa Mannesmann (heute Vodafone) oder Viag (E.On), haben das mehr als ausgeglichen.

Hauptgrund für das weit bescheidenere Abschneiden des regulären Dax ist die Tatsache, dass Kursgewinner reinkommen und Verlierer rausfallen – und zwar immer erst dann, wenn an der Börse das Meiste gelaufen ist. „Genau solche Aktien, die seit geraumer Zeit viel besser abschneiden als der Rest, steigen in den Dax auf. Sie sind dann häufig auf ihrem Zenit“, sagt Ralf Zimmermann, Aktienstratege bei Sal. Oppenheim.

Dax: Kursverlauf der 20 Jahre

Beispiel MLP: Der Kurs der Aktie des Finanzdienstleisters verdreifachte sich in den beiden Jahren vor ihrem Dax-Debüt 2001. Als die Aktie den Dax 2003 wieder verließ, hatte sie schon 85 Prozent eingebüßt. Auch die im Technologieboom aufgestiegene Epcos hat dem Dax geschadet: Während ihres Gastspiels von Februar 2000 bis Dezember 2002 verlor sie 93 Prozent. Auch Adidas verlor in nur drei Monaten nach ihrem Dax-Aufstieg sage und schreibe 46 Prozent an Wert.

Unternehmen streben in den Dax – vor allem deshalb, weil Aktien aus dem Leitindex mehr Aufmerksamkeit zuteil wird als anderen. „Die Vorteile einer Dax-Zugehörigkeit überwiegen bei Weitem die Nachteile; sie ist für uns kostenloses Marketing“, sagt Ingo Alphéus, Leiter Investor Relations (IR) beim Dax-Konzern RWE. Besonders, wenn es darum geht, die eigene Aktie bei ausländischen Investoren bekannt zu machen, „bringt der Dax enorm viel“, sagt Alphéus, „gucken Sie mal in eine englische Zeitung, ob Sie da was vom MDax oder TecDax lesen“.

Wichtiger noch: Nicht wenige Großinvestoren kaufen Dax-Aktien allein schon wegen deren Zugehörigkeit zum Auswahlindex. Dax-Papiere landen automatisch in den fünf Dax-Indexfonds; auch Indexfonds auf die Dax-Geschwister DivDax und ÖkoDax investieren ausschließlich in Dax-Aktien. Über den Dax-Future kommen die 30 Aktien in mehr als 22.700 Dax-Derivaten vor; allein 11.714 Anlagezertifikate bilden den Dax 1:1 nach. Schließlich nutzen zahlreiche passive Fonds den Index als Schablone für ihre Portfolios; auch sie investieren ausschließlich in Dax-Werte. Wer reinkommt, entscheidet der Arbeitskreis Aktien-indizes, der aus Vertretern der Deutschen Börse und der Banken besteht. Der Kandidat muss seinen Firmensitz in Deutschland haben. Die Aktie muss im Qualitätssegment der Börse notiert sein, dem Prime Standard; sie muss regelmäßig im elektronischen Xetra-System den Besitzer wechseln, und mindestens fünf Prozent müssen dem breiten Publikum gehören, man spricht von Streubesitz.

Wenn diese formalen Anforderungen erfüllt sind, zählen der Börsenwert des Streubesitzes und das Handelsvolumen in der Aktie. Eine Aktie steigt in den Dax auf, wenn sie nach beiden Kriterien zu den 30 Größten gehört – allerdings nur, wenn ein bestehendes Dax-Mitglied nach mindestens einem der beiden Maßstäbe aus den Top 35 gefallen ist. Zuletzt schied 2007 der Pharma-Konzern Altana deswegen aus; der Branchenkollege Merck rückte nach.

Auch aktuell gibt es Abstiegskandidaten, vor allem TUI und Infineon, deren Börsenwert auf fast vier Milliarden Euro gesunken ist. Große TecDax- oder MDax-Werte wie K + S und Q-Cells übertreffen das immer deutlicher und werden als Dax-Kandidaten gehandelt. Relativ sicher in den Dax käme auch die Aktie der Deutschen Bahn. Erreicht sie beim Börsengang die anvisierten 30 Milliarden Euro Marktwert bei einem Streubesitz von 25 Prozent, fährt sie dank einer Sonderregel ohne die turnusmäßige September-Sitzung direkt in den Dax.

Weil es wegen der allgemein bekannten Dax-Kriterien einfach ist, sich die Neulinge schon Monate zuvor zu errechnen, versuchen immer wieder Anleger, aus den Wechseln Profit zu schlagen. Sie kalkulieren mit steigender Nachfrage nach den Aktien und dadurch höheren Kursen. Das klappt auch oft. So legten die Ex-Siemens-Töchter Epcos und Infineon allein in den drei Monaten vor ihrem jeweiligen Dax-Eintritt um 217 und 109 Prozent zu. Doch das „nur auf den Index-Aufstieg zurückzuführen, wäre naiv“, meint Zimmermann, „schließlich fielen die Kursgewinne in den Technologie-Boom“.

Dennoch: Auch SAP schaffte schon 1995 knapp 50 Prozent Kursplus in den drei Monaten vor dem Dax-Debüt; der Deutschen Börse gelangen 2002, mitten in der Baisse, 20 Prozent Plus; ähnlich stark legten MLP und Post im Vorfeld ihrer Dax-Eintritte 2001 zu, von Hausse damals keine Spur. Der plötzliche Nachfragesog nach einem Index-Debüt kann immens sein, weiß Christian Herrmann, Leiter der IR beim Dax-Kandidaten K + S. „Nachdem wir vor einigen Jahren in den globalen Index Stoxx 600 gekommen waren, stieg unsere Aktie an einem Tag um zehn Prozent.“ Anleger, die auf Kursgewinne mit potenziellen Dax-Neulingen wetten wollen, müssen Kandidaten aber sehr früh identifizieren. Zimmermann: „Die allermeisten Dax-Aktienfonds werden nach wie vor aktiv verwaltet – und deren Manager wissen um den Vorläufer-Effekt bei den Kandidaten. Sie versuchen, früh einzusteigen und auf keinen Fall zu spät wieder rauszugehen.“

Für die Deutsche Börse ist der Dax eine lukrative Einnahmequelle. Im September 1990 trug das Deutsche Patentamt in München die Marke Dax ein. Die Namensidee hatten zuvor schon andere: 1970 verweigerte das Patentamt BASF noch die Eintragung eines Waschmittels mit dem Namen „Dax“ – der könne doch mit der südfranzösischen Stadt Dax verwechselt werden. Bei der Börse befürchteten die Patentschützer eine solche Gefahr nicht mehr.

Sehr bald darauf startete dann an der neuen Deutschen Terminbörse ein reger Handel mit Futures und anderen Finanzvehikeln, die sich auf den neuen Index bezogen. Etwas später kamen Optionsscheine auf den Dax hinzu, später Zertifikate. „Große Emittenten bezahlen der Börse derzeit für eine Dax-Globallizenz 350.000 Euro pro Jahr“, sagt der Vertreter einer Frankfurter Zertifikate-Bank.

Allein im Zertifikate-Geschäft dürften Lizenzeinnahmen von mehr als fünf Millionen Euro im Jahr zusammenkommen. Insgesamt dürfte die Marke Dax der Börse locker rund zehn Millionen Euro pro Jahr einbringen. Auch an Dax-Indexfonds verdient die Deutsche Börse durch Lizenzen und Gebühren für den Börsenhandel. Selbst die Information über den aktuellen Stand des Dax ist eine Geldquelle: Datenlieferanten müssen für die Veröffentlichung des Dax bezahlen.

Das Dax-Konzept entwickelt hat Frank Mella, 1988 Redakteur der Frankfurter „Börsen-Zeitung“. Er kam Anfang der Achtzigerjahre auf einer Journalistenreise nach Chicago auf die Idee, einen Index zu kreieren. Dort studierte er den Terminhandel, damals wie heute der größte der Welt. Und „dort wurde mir sehr schnell klar, dass ein moderner Kapitalmarkt einen allgemein akzeptierten Börsenindex als Referenzgröße braucht“. In Deutschland berechneten damals Zeitungen und Banken ihre eigenen Indizes. Beliebt waren etwa der Aktienindex der Commerzbank oder der FAZ-Index.

1987 bekam Mella von seinem Verleger den Auftrag, den Index der Börsenzeitung auszubauen. Er tüftelte daraufhin jahrelang „am Wochenende, abends oder nachts“ an seinem Konzept. Dabei hatte er vor allem zwei Ziele: Er wollte die Dividenden und Kapitalmaßnahmen der AGs in die Berechnung einfließen lassen, um die gesamte Wertentwicklung von Aktien darstellen zu können. Und er wollte einen Index als anerkannte Basis für Termingeschäfte bilden.

Beides ist ihm gelungen. „Das Drehbuch für den Dax habe ich geschrieben, den Film haben aber andere gemacht“, so Mella. Was er vornehm verschweigt: Auch die Einnahmen an der Kinokasse kassierten andere. Mella: „Die Konzeption des Index war Bestandteil meiner Arbeit bei der Börsenzeitung, dafür gab es nix extra.“

Immerhin: 1995 bekam er für die Konzeption des Dax das Bundesverdienstkreuz. Von Anfang an war die Deutsche Börse bei der Kreation des neuen Index mit im Boot. Bei der Berechnung half Artur Fischer, ein Technikfachmann der Deutschen Börse.

Fischer ließ auch die große Anzeigetafel im Börsensaal aufhängen. „Ein Geniestreich, der wesentlich zur Bekanntheit des Index beitrug“, sagt Mella. Manfred Zaß, damals Vorstand der DGZ-Bank und Aufsichtsrat der Börse, erfand den Namen. Er schlug vor, den Deutschen Aktienindex nicht DAI abzukürzen, sondern statt des ersten den letzten Buchstaben des Worts „Index“ zu nehmen. Der „Dax“ war geboren.

Prognosen, der Dax werde bald von Welt- und Branchenindizes verdrängt, haben sich nicht bewahrheitet. Dax-Investoren haben andere Probleme. 20 Jahre nach seiner Erfindung kämpft der Index mal wieder: mit galoppierenden Ölpreisen, den Flurschäden der Finanzkrise und dem drohenden Abschwung der Wirtschaft. Noch hält er sich wacker, bei 6500 Punkten.

Doch zum Geburtstag könnte die Lage besser sein; nicht nur charttechnisch ist sie so prekär wie lange nicht. „Anleger müssen sich in den nächszen 20 Jahren auf zunehmend schwierige Phasen einstellen“, sagt Joachim Schäfer, einer der dienstältesten Asset Manager Deutschlands, der den Dax seit dessen Geburtsstunde analysiert. „Die letzten 20 Jahre waren außergewöhnlich gut; das Wachstum der Firmen war dank der Globalisierung für die vielen Exportweltmeister im Dax enorm.“

Milan Dax, der 20-Jährige aus Anrath, will sich deshalb in Sachen Aktien weiter zurückhalten. Er verfolge die Kursentwicklung sehr interessiert, sagt er, halte selbst aber keine Aktien. In finanziellen Fragen vertraue er lieber der Anrather Sparkassen-Filiale. Bei der hat er sein Geld auf ein Sparbuch gepackt. Immerhin: Für sein Dax-Sparbuch muss er keine Lizenzgebühren an die Deutsche Börse zahlen.

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