25 Jahre "Schwarzer Montag" Wie es zu Börsencrashs kommt

Heute jährt sich der "Schwarze Montag" - der schlimmste Kurssturz an der New Yorker Börse - zum 25. Mal. Warum es immer wieder zu solchen Einbrüchen kommen wird - und warum niemand daraus lernt.

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Hektisches Treiben in der Aktienbörse in Frankfurt (Hessen) am 20.10.1987. Quelle: dpa

Aktienhändler die dabei waren, werden diesen Tag nie vergessen: Am 19. Oktober 1987 brachen an der New Yorker Börse wie aus heiterem Himmel die Aktienkurse ein, binnen weniger Augenblicke lösten sich Abermillionen in Luft auf. Der Tag ging als "Schwarzer Montag" in die Finanzgeschichte ein. Dass sich der schwarze Montag nun an einem Freitag jährt, mag den ein oder anderen Anleger an den "Black Friday" von 1929 zurück erinnern. Ein weiteres Datum, an dem Börsianer weltweiten den Atem anhielten. Doch egal, wie tief die Kurse einbrechen, was der Auslöser war oder wie lang die Baisse anhält - ist das Tal erst einmal durchschritten, schüttelt sich der Aktionär und macht weiter wie gehabt. Meist sind die Verluste der Indizes binnen Tagen wieder reingeholt und der jeweilige schwarze Tag oder Monat wird zu einer historischen Marke: "Weißt du noch, als damals der Dow Jones abgestürzt ist?"

Überforderte Makler, zu viele Orders

Dabei waren viele Börsencrashs absehbar. So erinnert sich Fidel Helmer von der Privatbank Hauck & Aufhäuser, der seit mehr als 40 Jahren an der Frankfurter Börse aktiv ist, an die Zeit vor dem schwarzen Montag 1987: "Die Verkaufsaufträge gingen waschkörbeweise ein", sagt er. "Viele Makler waren total überfordert, manche Kollegen übernachteten sogar in der Börse, die Pizzadienste hatten Hochkonjunktur." Die Kursverläufe zeigten stetig nach oben, die Euphorie für den Aktienhandel war seit fünf Jahren nahezu ungebremst. Auch wenn die Unternehmensgewinne stagnierten oder weniger stark stiegen, als erwartet: die Kurse stiegen, stiegen, stiegen. Aktienhändler verlangten damals schon weit mehr als 100.000 Dollar Jahresgehalt - und bekamen dies auch meistens. "Die Leute sind durchgedreht", sagte der als Crash-Prophet bekannte Roland Leuschel. "Sie haben ihren Maßstab verloren."

Um noch besser, noch schneller von der Euphorie-Blase profitieren zu können, wurden elektronische Handelssysteme eingeführt beziehungsweise verbessert. "Der Markt war ernsthaft gestört", bekannte die US-Notenbank Fed im Nachhinein. Doch in der Zeit von 1982 bis 1987 gab es nur eine Devise: Gier ist gut.

Dann hat es "klick" gemacht

Wenn sich Leuschel an seine Zeit damals an der Wall Street erinnert, sagt er: "Ich kam zurück und dachte, wenn die Profis alle so denken, dann muss es scheppern." Und das tat es. Auf einmal war das Vertrauen weg. Die Fed spricht rückblickend von einem "gewaltigen systemischen Schock." Plötzlich rückten die Inflation und das US-Handelsdefizit in das Bewusstsein der Investoren. Sie verkauften. Und zwar mehr als 600 Millionen Aktien - fünf Mal so viel wie üblich.

"Es machte klick. Es war, als würden die Zuschauer eines voll besetzten Theaters versuchen, durch einen einzigen Ausgang nach draußen zu gelangen", erinnert sich der US-Finanzprofessor Chris Lamoureux. Computergesteuerte Handelsprogramme wirkten wie Katalysatoren: Binnen Sekunden rollte eine Verkaufslawine. 508 Punkte büßte der Dow-Jones-Index damals ein: 22,6 Prozent Verlust an einem einzigen Tag. Damit verpuffte rund ein Viertel des amerikanischen Börsenkapitals. In Tokio gab es daraufhin den bis dato schwersten Kurssturz in der Geschichte der japanischen Börse, in Sydney büßten Aktien binnen 45 Minuten 20 Prozent ihres Wertes ein, in Hongkong wurde die Börse für den Rest der Woche geschlossen.

Verbot des Hochfrequenzhandels bringt nichts

Die schwärzesten Börsentage aller Zeiten
Farbenprächtig blühende Tulpen im Erholungspark Britzer Garten in Berlin Quelle: dpa/dpaweb
Strände Neukaledoniens - hier «Kuto Bay» Quelle: dpa-tmn
Broker stehen am 25. Oktober 1929 in der New Yorker Boerse waehrend des Boersenkrachs, der die Weltwirtschaftskrise einleitete ('Schwarzer Freitag'). Quelle: AP
Blick auf das leere Autobahnkreuz Duisburg-Kaiserberg. Wegen der Ölkrise wurde am 02.12.1973 zum zweiten Mal ein sonntägliches Fahrverbot verhängt Quelle: dpa
Hektisches Treiben in der Aktienbörse in Frankfurt (Hessen) Quelle: dpa
United Airlines planes arrive at Denver International Airport in Denver Quelle: REUTERS
 Boris Jelzin, links, neben Alexander Korschakow Quelle: AP

Doch eine Lehre zogen die Akteure der Finanzmärkte aus der selbstgemachten Krise nicht. "Nach 14 Tagen war alles vergessen", sagt Fidel Helmer von der Privatbank Hauck & Aufhäuser. Andere, die ihr Geld trotz der fallenden Kurse in Aktien investierten, verdienten viel Geld, als sich die Werte erholten. Aber immerhin haben die internationalen Handelsplätze auf den Crash reagiert, wenn es schon die Anleger nicht tun. Sie führten elektronische Notbremsen für Kursachterbahnen ein.

  • wenn an den US-Börsen ein Index um mehr als zehn Prozent abstürzt, kann der Handel an der Wall Street für längere Zeit ausgesetzt oder sogar für den gesamten Tag beendet werden
  • an den europäischen Börsen ermöglichen die elektronischer Handelssysteme Unterbrechungen sogar bei einzelnen Aktien

Aber weder diese Notbremsen noch das Verbot des Hochfrequenzhandels werden weitere Crashs verhindern können. Deshalb plädieren Finanzexperten überall auf der Erde für eine Regulierung mit Sinn und Verstand statt mit dem Holzhammer. "Die Regulierung darf sinnvolle Handelsstrategien - auch von Hochfrequenzhändlern - nicht verhindern. So zielen diese zum Beispiel darauf ab, aus Preisdifferenzen am Markt oder aus der Geld-Brief-Spanne Erträge zu erzielen", sagt Peter Gomber, Professor für e-Finance in Frankfurt. Um Liquidität und Preiseffizienz im Markt steigern zu können, seien die ultrakurzen Reaktionszeiten nötig. Sonst steige das Risiko für den Akteur.

Die Strategien der Blitz-Trader

Aber selbst die für Europa geplante Mindesteinstelldauer von Angeboten würde ein Ereignis wie den Flash Crash aus dem Frühsommer 2010 nicht verhindern können. "Der Handel wird immer stärker automatisiert und die Zahl der Transaktionen nimmt kontinuierlich zu. Und wo gehobelt wird, da fallen Späne, so dass Pannen auch in Zukunft nicht ausgeschlossen sind", sagt Gomber.

Er ist sich sicher, dass sich trotz aller Neuerungen Börsencrashs nicht verhindern lassen. Dafür ist der Mensch zu gierig und vergisst zu schnell.

Anleger lieben Blasen

Die Weisheiten der Investoren
Crahs-Prophet und Börsenguru Marc Faber: Er kritisiert vor allem Notenbanken und Regierungen. Durch die lockere Geldpolitik von FED und EZB seien gefährliche Gleichgewichte entstanden. Im Krisenfall hält der Börsenguru grundsätzlich ein "Goldverbot" für "absolut realistisch". Trotzdem empfiehlt Faber Investitionen in Gold. Die jüngste Goldpreis-Korrektur sei eine gute Gelegenheit um weiter zuzukaufen. Quelle: Gian Marco Castelberg
Ein Tipp zum saisonalen Verhalten: "Verkaufe im Mai, aber vergiss nicht im September wieder zu kaufen" (Englisch: "Sell in May and go away. But remember to come back in September"). Der Spruch ist allerdings nicht immer richtig. Historisch gesehen lag der Dax in den Sommermonaten 1994 bis 2009 häufiger im Minus als im Winter, aber eine eindeutige Tendenz ist daraus nicht abzuleiten. Seit dem Ausbruch der Finanzkrise lohnt es sich sogar umgekehrt zu investieren - also im September zu verkaufen und im Mai wieder einzusteigen. Quelle: Fotolia
Blick in den Zuschauerraum des Staatstheaters im brandenburgischen Cottbus Quelle: dpa
ein Vater mit seinem Sohn bei einer Schlittenpartie Quelle: dpa
Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler und Rainer Brüderle. Quelle: dpa
Eine indische Braut umgben von anderen Frauen Quelle: dapd
Buddha-Statue in Sri Lanka Quelle: dpa

So kam es nicht wesentlich später zu einer erneuten Euphorie am Markt: Ab 1995 schossen Technologieunternehmen nur so aus dem Boden, das Wort der Stunde war Internet-Start-up. Es entstanden Wirtschaftsmagazine, die fast ausschließlich über die sogenannte New Economy berichteten. Und die Investoren? Hatten die Dollarzeichen in den Augen und vertrauten auf steigende Aktien. Die Kurse der hippen Internetunternehmen stiegen mitunter zweistellig, was man von den Umsätzen nicht immer behaupten konnte. Neben der Homepage und dem Image "hipp und cool" generierten viele der Start-ups keinen Wert - Gewinne waren also zumindest auf Dauer nicht zu erwarten.

Anleger im Paradies

Trotzdem entstanden stündlich neue Fonds, die in den "neuen Markt" investierten, die deutsche Börse legte ein eigenes Marktsegment für New Economy-Investments auf. Jeder, der etwas auf sich hielt, brachte sein Unternehmen an die Börse. Und auch diejenigen, die Aktien skeptisch gegenüber standen, wurden spätestens mit dem Börsengang der Deutschen Telekom Ende der 1990er Jahre überzeugt. "Die Volksaktie kommt" jubelte damals die Bild. Mit Aktien konnte offensichtlich jeder ohne besonderes Zutun reich werden, wer in Internet-Startups investierte, konnte sogar stinkreich werden. Kleinsparer und Großinvestoren rund um den Globus waren verzückt - und kauften, kauften, kauften.

10 Tipps für Börseneinsteiger

Fünf Jahre lang, nämlich bis zum März 2000 ging der Hype gut, wie es auch von 1982 bis 1987 gut gegangen ist. Dann flog erst den Unternehmen und kurz darauf auch den Anlegern der Traum vom großen Geld um die Ohren. Die ersten Pleiten der New Economy, deren Gegenwert oft nur aus dem Gebäude und den darin befindlichen Computern bestand, ließen Anleger aufhorchen. Als dann bekannt wurde, dass einige der Hoffnungsträger ihre Umsätze künstlich aufgeblasen oder gleich ganz erfunden hatten, brach die Illusion vom schnellen, gefahrlosen Reichtum vollends zusammen. Nachdem die Großinvestoren verkauften, tätigten die Kleinsparer Panikverkäufe. Viele verloren ihr gesamtes Vermögen. Der Begriff der Dotcom-Blase entstand.

Spannend ist, dass der Kurssturz am gleichen Tag einsetzte, an dem ein heute immer noch erfolgreiches Unternehmen an die Börse ging. Am 13. März 2000 wagte der Technologiekonzern Infineon den Schritt aufs Parkett: Mit einem Volumen von mehr als sechs Milliarden Euro lancierte die ehemalige Siemenstochter die größte und teuerste Technologieaktie aller Zeiten, es handelte sich um den zweitgrößten Börsengang Deutschlands nach der Telekom. Und alle stürzten sich auf das Papier.

Die Folge: Die Aktie war 33-fach überzeichnet, das Systeme der Börse in Frankfurt kollabierte. Und mit dem Handelssystem brach auch der Volkssport Aktienhandel und die Lust auf Neuemissionen zusammen.

Ähnlichkeiten zum Hype um den Facebook-Börsengang sind natürlich rein zufällig.

Kein Mittel gegen Flash Crashs

Neben der Gier ist technisches Versagen eine oft unterschätzte Größe: Im Mai 2010 vernichtete ein Händler mit einer falschen Computerorder binnen weniger Augenblicke rund 800 Milliarden Dollar - weil das Handelsvolumen zu groß und das System zu schnell war. Der Händler hatte rund 75.000 Terminkontrakte im Gesamtwert von rund vier Milliarden Dollar zum Verkauf gestellt. Allerdings nicht wie üblich peu á peu, sondern sofort.

Für die Masse der Derivate fand sich in der kurzen Zeit aber kein Käufer, weshalb die Kurse bei den Derivaten abstürzten. Der Aktienmarkt infizierte sich binnen Minuten: In rund zehn Minuten stießen Anleger knapp 1,3 Milliarden Aktien ab, das waren sechs mal so viele wie sonst.

Es gibt keinen Schutz vor Computerpannen

Die Fehlersuche kostete die US-Börsenaufsicht fast ein Jahr, die Auswirkungen der Computerpanne waren binnen Sekunden sichtbar: 18 von 30 Aktien aus dem Dow Jones verloren mehr als fünf Prozent, der gesamte US-Leitindex rauscht um fast zehn Prozent nach unten. Aktien, die zu Beginn des Handelstages noch 30 Dollar und mehr kosteten, brachen auf Penny-Stock-Niveau ein. Die Parallelen zum schwarzen Montag von 1987 sind eigentlich unverkennbar: Auch damals sorgten ultraschnelle Deals dafür, dass der Flut von Verkäufen nicht beizukommen war.

Was aus 1000 Euro in zehn Jahren wurde

Helmer von Hauck & Aufhäuser sieht es gelassen: "Es wird immer wieder Pannen geben", sagt er. Das bedeutet natürlich auch, dass es für den einzelnen Anleger zwar sinnvoll ist, sich nicht in Blasen zu verrennen und rechtzeitig den Absprung von hochgehypten Anlageprodukten zu schaffen. Es bewahrt allerdings niemanden vor einem Crash.

Für den Gesamtmarkt hat Otto Normalinvestors Verhalten nun mal wenig Auswirkungen. Dafür ist sein investiertes Vermögen zu gering, das Volumen seiner Aufträge zu klein, seine Aktionen sind nicht weitreichend. Und selbst wer sein Geld in sichere Produkte investiert oder sein Risiko möglichst breit streut, ist dadurch nicht vor Systemfehlern geschützt. Nur weil ein Auto ab 1. Oktober mit Winterreifen fährt, heißt es nicht, dass ihm niemand mehr in die Seite fahren kann.

Die Gründe für Kursschwankungen

Doch wie entstehen solche Börsenpannen? Für die meisten computergenerierten Kurseinbrüche trifft eine der folgenden Erklärungen zu:

  • Flash-Orders: Diese Blitzaufträge arbeiten mit dem Volumen der Aufträge, die Einzelgewinne sind meist gar nicht so hoch. Bei einer Flash-Order informiert Computer A Computer B eine Tausendstelsekunde vor den anderen Marktteilnehmern über den kommenden Auftrag. Computer beziehungsweise Händler B kann so vor den anderen zugreifen und weiterverkaufen. Diese Art des Handels kann bei großen Volumina das Börsensystem überlasten und den weiteren Handel über Stunden beeinträchtigen.

  • Fat Finger Order: Der Händler, der den großen oder kleinen Crash ausgelöst hat, hat sich schlicht vertippt, eine Null zu viel eingegeben oder Stückzahl und Kurse verwechselt. Ginge es um ein Schiff oder Flugzeug anstatt um Milliarden, wäre hier wohl von menschlichem Versagen dir Rede. Und das lässt sich durch keine Systemoptimierung der Welt verhindern. Das einzig Gute: Die Fat Finger Order wirkt sich meist nur auf einzelne Aktien oder Derivate aus.

Helmer versucht zwar, die deutschen beziehungsweise europäischen Anleger zu beruhigen, in dem er sagt, dass die jüngsten Störungen allesamt in den USA auftraten. Erst vor ein paar Monaten hatte der Börsengang des Sozialen Netzwerkes Facebook die Handelssysteme überfordert und die Wall-Street-Firma Knight Capital geriet durch einen Softwarefehler an den Rand des Ruins. "In den Vereinigten Staaten werden die Marktstrukturen immer komplexer, da die Handelsplätze immer stärker miteinander vernetzt werden", sagt Helmer.

Kuriose Börsenpannen

Doch was nutzt das bei globalisierten Märkten? Dass die Fehler überwiegend in den USA passieren, schützt weder den Anleger in Deutschland, noch den in Indien oder Südafrika vor Kursverlusten. Die Märkte sind schließlich kein isoliertes System. Als im Mai 2010 der sogenannte Flash Crash den Dow Jones ins Bodenlose stürzen ließ, reagierte kurz darauf natürlich auch der Dax. Am Abend des 6. Mai um 20.30 Uhr mitteleuropäischer Zeit brach der Dax plötzlich um fast 300 Punkte ein, erholte sich aber - wie auch der Dow Jones - umgehend wieder.

Hinzu kommt, dass es unabhängig vom Handelssystem auch immer noch die Gefahr der Panik gibt. Diese muss gar nicht zwangsläufig durch eine Naturkatastrophe, einen Terroranschlag oder die nächste Herabstufung eines europäischen Schuldenstaates entstehen. Es genügt schon, wenn ein Händler in einem ansonsten ruhigen Marktumfeld eine große Verkaufsorder losschlägt. Dann kommt oftmals der Herdentrieb zum Vorschein. Wenn der Alpha-Investor vor dem Löwen flieht, zieht das Rudel mit - es kommt zu Kursausschlägen.

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