Abgang von der Börse Wie Aktionäre durch Delisting faktisch enteignet werden

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Börsenmechanismen außer Kraft gesetzt

Einzig die Börse Düsseldorf hält dagegen. Das BGH-Urteil gehe in die „falsche Richtung“, sagt Vorstand Thomas Dierkes. „Nach der Delisting-Ankündigung mag allenfalls der Großaktionär noch Stücke billig kaufen.“ Düsseldorf sei die einzige Börse, an der „Hauptversammlungsbeschluss und Kaufangebot bei einem Totaldelisting obligatorisch“ seien. Rechtlich ist das möglich, für Börsenregeln gilt das BGH-Urteil nicht: „Der weiter gehende Anlegerschutz in einer Börsenordnung ist immer möglich“, sagt Kapitalmarktrechtler Herbert Harrer, Partner bei Linklaters.

Allein: In Düsseldorf bleiben Hintertürchen. Erstens gilt Dierkes anlegerfreundliche Börsenordnung nicht im Freiverkehr. Und zweitens entlässt Dierkes Unternehmen, wenn sie an einer anderen Börse im regulierten Segment notiert bleiben. Dann muss der Vorstand nur versprechen, die Notiz mindestens ein Jahr beizubehalten. Mehr als eine Ehrenerklärung, räumt er ein, sei das nicht. „Wenn das Unternehmen die Einjahresfrist nicht einhält, haben wir keine Möglichkeit, es zu sanktionieren.“

Strabag-Aktionär Dieter Dürer (Name geändert) ist enttäuscht: Im Oktober hat Thomas Birtel, Chef der österreichischen Strabag SE, verkündet, dass es bei einem Streubesitz von damals 6,7 Prozent „Ziel“ sei, die deutsche Tochter Strabag AG von der Börse zu nehmen. „Anleger dachten an Squeeze-out“, sagt Dürer. Dabei werden die letzten Aktionäre zwangsweise aus der Aktie gedrängt – bekommen aber eine Abfindung. Mit dem Delisting rechnete keiner. „Ich kann meine Aktien quasi nur noch dem Großaktionär andienen und der mir den Preis diktieren. Das untergräbt die Aktienkultur.“

Abfindung wird unattraktiv

Das BGH-Urteil hat Mechanismen außer Kraft gesetzt, die an der Börse jahrzehntelang galten. So müssen sich Anleger wohl daran gewöhnen, dass sie von findigen Aufkäufern, wenn diese den Vorstand hinter sich haben, bei Übernahmen übers Ohr gehauen werden. Bislang mussten Aufkäufer Aktionären bei einem Übernahmeangebot oder wenn sie einen lukrativen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag abschließen wollten, mindestens den durchschnittlichen Börsenkurs der letzten drei Monate bieten. Nach einem Delisting aber gibt es keinen Kurs mehr. Der Preis muss dann per Wertgutachten ermittelt werden – und das gibt der Aufkäufer in Auftrag, der an einem möglichst niedrigen Preis interessiert ist. „Ein Delisting macht die Spekulation auf eine Abfindung unattraktiver“, folgert Christian Kames, Chef der M&A-Abteilung bei der Citigroup Deutschland, die bei Übernahmen berät.

Wer sich als Anleger zu billig abgespeist fühlt, kann die Abfindung vor Gericht überprüfen lassen. Doch diese sogenannten Spruchverfahren sind teuer und dauern Jahre. Markus Neumann, Vizechef der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger, hat da Erfahrung: „Ist ein Unternehmen nicht mehr notiert, gibt es nur noch den Geschäftsbericht nach den Vorschriften des Handelsgesetzbuches HGB – und da muss vieles nicht mehr bilanziert werden. Mit den spärlichen Informationen können Aktionäre schwer den Wert bemessen.“

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