Absturz der Digitalwährung Ethereum-Börse entschädigt Anleger

Nach dem Absturz der Digitalwährung Ethereum um 96 Prozent geriet die Onlinebörse GDAX in die Kritik. Nun geht sie auf die Anleger zu und will diese doch für ihre Verluste entschädigen. Das ist nicht ganz uneigennützig.

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Bitcoin: So klappt der Einstieg in die Kryptowährung Quelle: Reuters

Düsseldorf Dieser Absturz hatte Schlagzeilen gemacht: Am Mittwoch vergangener Woche kam es zu einem bisher nicht gesehenen Kurssturz bei Ethereum, der nach dem Bitcoin zweitgrößten Digitalwährung der Welt. Der Wert eines Ethereum, abgekürzt Ether, stürzte von rund 317 Dollar auf 13 Dollar ab. Zahlreiche große Börsen setzten den Handel kurzzeitig aus, darunter der Marktplatz GDAX, der zum US-Marktführer Coinbase gehört. Nach Freigabe des Handels erholte sich der Ethereum-Kurs schnell und stieg wieder auf knapp 300 Dollar. Aktuell notiert ein Ether bei 250 Dollar.

Der Schaden war da jedoch bereits angerichtet. Durch den Kursverfall von rund 96 Prozent verloren zahlreiche Anleger binnen Minuten Hunderte oder Tausende Dollar. Im Internet machten diese ihrem Ärger Luft. Ein ganzes Ether-Depot für einen Schleuderpreis zu verkaufen, während die Währung bei anderen Marktplätzen im 275-Dollar-Bereich notiert habe, sei Diebstahl, schrieb ein Nutzer. GDAX habe den Handel nicht rechtzeitig angehalten, damit sich der Preis mit dem auf anderen Marktplätzen abgleiche. „Ihr habt Menschen auf schreckliche Art und Weise enttäuscht.“

Der Protest scheint Eindruck gemacht zu haben. In einem Blogeintrag erklärt der Vizechef des Börsenbetreiber, Adam White, nun folgendes: „Wir werden einen Prozess in Gang setzen, der die Kunden-Accounts, die vom Preisrutsch am 21. Juni (...) betroffen sind, kompensiert. Dies wird dazu führen, dass die Kunden ihren ursprünglichen Kontostand auf die Höhe von vor dem Preisrutsch zurückgesetzt bekommen.” White betont, dass Kunden, die vom Preisrutsch profitiert und Ethereum zu besonders billigen Kursen gekauft haben, nicht von der Rücksetzung betroffen seien. All diejenigen aber, die Verluste erlitten hätten, sollten auf Firmenkosten entschädigt werden.

Der Schritt des Marktplatzbetreibers kommt überraschend. Kurz nach dem Kurssturz hatte GDAX noch erklärt, dass die umstrittenen Geschäfte nicht rückabgewickelt werden. Nach jetzigem Wissensstand wäre GDAX zu seinem kundenfreundlichen Vorgehen auch nicht verpflichtet. Denn so verständlich der Ärger aus Anlegersicht auch sein mag: Viele Marktbeobachter sehen den Fehler auf Seite der Kunden.

Tatsächlich haben die meisten langfristig orientierten Investoren beim Crash und der anschließenden Erholung kein Geld verloren. Sie waren bei den ersten rapiden Kursbewegungen in Wartestellung gegangen oder hatten sie schlicht ignoriert. Geld verloren haben vor allem kurzfristig orientierte Neueinsteiger, die mit der Aussicht auf Spekulationsgewinne in den Markt eingestiegen waren. Letztere hantierten oft mit sogenannten Stop-Loss-Positionen. Diese sollen Verluste eigentlich begrenzen, lösten aber mit automatischen Verkaufsordern eine Preisspirale nach unten aus. Der GDAX-Vizechef erwähnt das Phänomen in seinem Blogeintrag ausdrücklich.

Stop-Loss-Positionen zu setzen, ohne die Hintergründe zu verstehen, ist gefährlich, warnt Thomas Beutler, Finanzexperte der saarländischen Verbraucherzentrale. Im Zweifel drohten hohe Verluste. „Diese Erfahrung muss man eben als Spekulant machen“, sagt Beutler. Viele Marktplätze für Kryptowährungen sind noch jung. GDAX etwa ist vor gerade einmal zwei Jahren gegründet worden, die Zahl der potentiellen Käufer und Verkäufer ist im Vergleich zu herkömmlichen Aktien- und Anleihebörsen gering. „Werte mit niedrigem Handelsvolumen sind besonders anfällig für einen ,Flash-Crash'“, bilanziert der Verbraucherschützer.

Warum sollte GDAX also überhaupt Kunden entschädigen, die sich an einem jungen Markt schlicht verzockt haben? Ganz uneigennützig ist das Vorgehen des Börsenbetreibers jedenfalls nicht.


Warum GDAX die Kunden entschädigt

Einen Hinweis auf die Motivation, die Kunden entgegen der ersten Ankündigung aus eigenen Mitteln zu entschädigen, gibt Vizechef Adam White selbst. „Langfristig haben wir den Ehrgeiz, Marktführer unter den Handelsplattformen zu sein, als vertrauenswürdigster Anbieter großen Institutionen und professionellen Händlern zu dienen.“ Mit der beschlossenen Entschädigung wolle GDAX das eigene langfristige Engagement unterstreichen und den „Glauben an die Zukunft dieser Branche“ demonstrieren, heißt es wolkig.

Beobachter vermuten Kalkül hinter der Entscheidung. „Das ist wahrscheinlich eine Image-Kampagne. Die Börsen profitieren aufgrund der hohen prozentualen Beteiligung am Handel selbst von hohen Kursen. Und Ethereum und Bitcoin als Währung leben ja in erster Linie vom Vertrauen der Anleger“, sagt etwa Darius Karampoor. Der Kieler Unternehmer investiert seit Jahren am Kryptowährungsmarkt und hat einen der ersten deutschen Onlineshops aufgebaut, der Bitcoins als Zahlungsmittel akzeptiert. „Für Kundenfehler zu bezahlen, wird sicher nicht Schule machen“, glaubt er. Schließlich machten Kunden regelmäßig Fehler. „Sowas kann sich kein Anbieter auf Dauer leisten.“

Auch Verbraucherschützer Thomas Beutler warnt davor, die Entscheidung der Börse GDAX, zockende Anleger nun zu entschädigen, überzubewerten. Die Gefahr, durch Internetwährungen Geld zu verlieren, habe sich durch die Entscheidung der großen US-Börse nicht verringert – im Gegenteil: „Man muss sich beim Thema Kryptowährung immer wieder vor Augen führen, dass ein Wert nur dann vorhanden ist, wenn diese Währung sich auch nachhaltig etabliert und Akzeptanz findet“, erklärt Beutler. Eine Kryptowährung, die niemand als Zahlungsmittel akzeptiere, sei wertlos. „Ein Totalverlust sollte also immer in Betracht gezogen werden.“

Der Finanzexperte warnt denn auch vor einem blauäugigen Investment in Digitalwährungen – und der Hoffnung auf schnelle Spekulationsgewinne. „Ich befürchte, dass viele Einsteiger aus Euphorie, und ohne die dahinterstehende Technik zu verstehen, investieren. Dann kommt noch dazu, dass viele die Grundkenntnisse des Börsenhandels nicht kennen“, sagt Beutler. „Wer die kennt, weiß: Werte mit geringen Umsätzen können sehr stark schwanken und sind für Kursmanipulationen anfällig.“

Extreme Kursschwankungen verhindern könnte wohl nur eine stärkere staatliche Aufsicht über den Markt. Vorbilder gibt es: So hat Japan den Bitcoin zum gesetzlichen Zahlungsmittel erklärt, die Finanzaufsicht hat problematische Börsen geschlossen. Ähnliche Schritte sind hierzulande aber nicht absehbar. Das könnte sich rächen – denn die Popularität des Netzgelds dürfte unter Privatanlegern weiter steigen, glauben Forscher. Die Entscheidung von GDAX, geprellte Investoren zu entschädigen, dürfte hierbei eine untergeordnete Rolle spielen. Ökonomen zufolge ist es vor allem die aktuelle Niedrigzinspolitik in Europa und den USA, die Investoren in das Netzgeld treibt.

„Noch vor etwa zwei Jahren wurde Bitcoin als Randtechnologie für Libertäre und Computer-Freaks betrachtet. Inzwischen gewinnen Bitcoin und andere Kryptowährungen wie beispielsweise Ethereum auch im Mainstream immer mehr an Popularität“, schreibt etwa Demelza Hays von der Universität Liechtenstein. Kryptowährungen würden zunehmend als „sicherer Hafen in Zeiten stetiger Papiergeldvermehrung“ gesehen. Hays ist weniger pessimistisch, was die Lernkurve der Anleger im Umgang mit den Kryptowährungen angeht. „Im Laufe der Zeit werden die Menschen mit Bitcoin erfahrener werden, was die Unsicherheit und den daraus resultierenden Risikoabschlag auf den Preis von Bitcoin verringern wird.“

Der Trend könnte sich aber auch umkehren. Sollten etwa die Leitzinsen auf breiter Front steigen, so dürften die Krypto-Kurse vor allem eine Richtung kennen: nach unten. Eine Entschädigung durch die Börsenbetreiber dürfte es dann nicht geben.

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