Herr Rapp, in den vergangenen Wochen ging es am Aktienmarkt zu wie auf einer Achterbahn: schnell runter, langsam rauf. Waren das nur Korrekturen oder droht ein kompletter Richtungswechsel?
Das ist die entscheidende Frage. Ich bin erstaunt, wie wenig das schlechte Abschneiden des Dax zuletzt thematisiert wurde. Zeitweise sind wir 13 Prozent unter die Bewertungen vom Jahresbeginn gefallen. In vielen deutschen Portfolios, die oftmals sehr Dax-lastig sind, sieht es nicht gut aus.
Sie glauben also, trotz der scharfen Korrektur steht der Super-GAU noch aus?
Wenn man alle Märkte, also zum Bespiel auch die Rohstoffsektoren, konjunktursensitive Branchen oder auch das Verhältnis von Aktien zu Renten – die Stock-Bond-Ratio - mal genauer analysiert, sieht das Gesamtbild nicht gut aus. Die seit drei Jahren stabile Stock-Bond-Ratio hat zuletzt kräftige Einschläge erfahren. Die Probleme sind deutlich erkennbar: Erstens die faktisch vorhandenen deflationären Trends. Zweitens ist Wirtschaftswachstum inzwischen ein extrem knappes Gut, selbst in den USA, wo es noch ganz gut läuft. Drittens die von den wichtigen Staaten mehrheitlich verfolgte Austeritäts-Politik, in Deutschland, Europa insgesamt und selbst in China, wo die Regierung Exzesse ausschwitzen oder sanieren möchte. In der Summe verliert die globale Wirtschaft dadurch deutlich an Flughöhe.
Zur Person
Heinz-Werner Rapp ist als Vorstandsmitglied der oberste Investmentstratege beim Vermögensverwalter Feri mit Hauptsitz in Bad Homburg. Feri verwaltet zusammen mit dem Mutterkonzern MLP ein Vermögen von rund 26 Milliarden Euro für vermögende Familien, Stiftungen und institutionelle Investoren.
Das allein wäre aber noch kein Grund für einen dramatischen Absturz, allenfalls für Kursrückgänge.
Es gibt überall Mikro-Risse in den Marktsegmenten, die direkt an der Konjunkturentwicklung und am Wachstumszyklus hängen. All diese Bereiche haben zuletzt massiv verloren und teilweise auch bestehende Trends gebrochen. Das sieht für mich nicht mehr nur nach einer Korrektur aus. Es sind grundsätzliche Risse im Bild, die eher in eine schwierige Richtung deuten.
Aktien gelten noch nicht als überbewertet. Das Absturzpotenzial sei deshalb begrenzt, glauben die meisten Marktbeobachter und Experten. Ist das ein Trugbild?
Bis vor kurzem waren die Märkte viel zu naiv und in ihrer virtuellen Realität unterwegs. Da ist noch eine Menge Platz für Enttäuschungen. Das Problem liegt in den optisch niedrigen Risikokennzahlen. Risikoarme Marktsegmente sind jedoch eine Illusion. Diese Situation entspricht dem Persaud-Paradox, einer wenig bekannten Theorie des Ökonomen Avinash Persaud. Sie besagt, dass die Beobachtung scheinbarer Sicherheit an den Anlagemärkten im Zeitablauf ein steigendes Risiko erzeugt. Das lässt sich insbesondere an den Rentenmärkten gut beobachten, teilweise auch am Aktienmarkt.
Das müssen Sie genauer erklären.
Seit drei Jahren bewegen sich die Anleihemärkte stetig aufwärts. Die Maßnahmen der Notenbanken und der Anlagezwang bestimmter Großinvestoren haben wesentlich dazu beigetragen. Der Herdentrieb der Anleger hat den Trend verstärkt. Dadurch ist die Volatilität, also die Schwankungsbreite der Kurse, immer weiter gesunken und zuletzt auf einem historisch extrem niedrigen Niveau angelangt. Die Anleger haben zudem für eine attraktivere Rendite immer höhere Risiken in Kauf genommen, etwa durch Käufe von Hochzinsanleihen. Aber typische Risikomanagement-Systeme der Anlageprofis, die sich – insbesondere am Rentenmarkt – an der Volatilität bemessen, geben dann die falschen Signale und gaukeln zu große Sicherheit und Stabilität vor.
Was Investoren für die lukrativste Geldanlage halten
Das Meinungsforschungsinstitut Forsa befragt einmal jährlich im Auftrag von pro aurum die Deutschen nach ihren Anlagestrategien. Hier die Ergebnisse vom Juni 2015 - im Vergleich zu den Vorjahren. Zuerst wurden den Bürgern fünf Geldanlagen genannt, mit der Bitte, anzugeben, welche davon aus ihrer Sicht derzeit am besten als langfristige Geldanlage mit mindestens drei Jahren Laufzeit geeignet ist.
Gold platziert sich zum fünften Mal in Folge an erster Stelle, diesmal allerdings deutlicher vor Aktien, die seit 2011 Zuwächse erzielten, aber aktuell in der Anlegergunst gesunken sind: 30 Prozent der Bürger würden sich heute für Gold entscheiden, weil sie vermuten, dass diese Anlage nach mindestens drei Jahren Laufzeit im Vergleich zu den vier anderen Geldanlagen den meisten Gewinn bringt. Gold konnte somit um zwei Prozentpunkte zulegen.
Nur noch 23 Prozent halten Aktien für besonders lukrativ, wenn es um langfristige Geldanlagen geht. Im Vorjahr hatte dieser Wert mit 27 Prozent offenbar einen Gipfel erreicht.
Es folgen Fondsanteile mit zwölf Prozent. Fonds sind in der Gunst der Anleger wieder leicht gegenüber dem Vorjahr gestiegen. 2013 hatte dieser Wert mit 13 Prozent noch ein Hoch erreicht, war aber 2014 auf elf Prozent zurückgefallen.
Fest- beziehungsweise Termingeld hielten sieben Prozent der Befragten für die lukrativste langfristige Geldanlage. Seit 2011 ist diese Anlageklasse deutlich ins Hintertreffen geraten, damals glaubten noch 22 Prozent der Befragten, Termin- und Festgelder würden auf drei Jahre betrachtet den meisten Gewinn abwerfen.
Drei Prozent nannten Anleihen als aussichtsreichste Anlageklasse, im Vorjahr waren es nur zwei Prozent. Anleihen spielen somit für Privatanleger praktisch keine Rolle. Ernüchternd: Knapp jeder vierte Bürger (24 Prozent) kann nicht sagen, welche dieser Anlagen am besten geeignet wäre, um langfristig möglichst viel Gewinn zu erzielen. Die Angaben "weiß nicht" oder "keine davon" kamen bereits in den Vorjahren ähnlich häufig vor.
Tatsächlich sind die Risiken viel größer?
Die anhaltenden Interventionen der Notenbanken haben das Risiko künstlich niedrig gehalten. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat in seinem Economic Report und seinem Financial Stability Report die Gefahren ebenfalls skizziert. Im Economic Report wurden zuletzt für immer mehr Volkswirtschaften die Wachstumsprognosen gesenkt. Im Bericht zur Finanzstabilität hat der IWF davor gewarnt, dass zu viel naives Geld in den Rentenmarkt fließt, vor allem in zwei Bereiche: Jene, die aufgrund der niedrigen Volatilität als risikoarm wahrgenommen wurden, und in Bereiche mit unterschätztem Liquiditätsrisiko. In letzteren besteht die Gefahr, dass der Handel für spätere Verkäufe nicht liquide genug ist, also ein Handel zum aktuellen Kurs nicht zustande kommt. Akzeptiert ein größerer Verkäufer deutliche Preisabschläge, droht eine Kettenreaktion.