Aktien, Anleihen, Gold Der Brexit rüttelt (wieder) die Weltfinanzmärkte durch

Das Pfund im Abwärtsstrudel, Bundesanleihen mit Minusrenditen, Gold so teuer wie seit zweieinhalb Jahren nicht – und die Aktienkurse weltweit unter Druck: Wohin der Brexit die globalen Finanzmärkte treibt.

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Rund um die Welt ist die Kurserholung nach dem Brexit ins Gegenteil umgeschlagen. Quelle: AFP

Düsseldorf/Frankfurt Die politische Krise in Großbritannien und die Furcht vor einer Abkühlung der Weltwirtschaft setzen den Finanzmärkten am Mittwoch erneut zu. Staatsanleihen und Gold sind gefragt, das britische Pfund und Aktien werden von Anlegern geschmäht.

In Deutschland rutscht der Dax mehr als zwei Prozent ins Minus, die Deutsche-Bank-Aktie gehört mit einem Rückgang von zwischenzeitlich mehr als sechs Prozent zu den größten Verlierern. Der Tagestiefwert von 11,38 Euro ist ein neues Rekordtief.

Ausgelöst hatte den zweiten Kursrutsch nach dem Brexit die Meldung über große britische Immobilienfonds, die Anlegern keine Rückgabe ihrer Anteile mehr gestatten. In der Nacht auf Mittwoch fiel dann das Pfund Sterling auf ein neues 31-Jahres-Tief von 1,2801 Dollar. Zuletzt war die Währung also im Jahr 1985 so billig.

Der Dax liegt am Mittag mehr als 200 Punkte im Minus bei 9318 Zählern, der Euro Stoxx 50 gibt um die zwei Prozent auf 2.757 Punkte nach. Der Londoner Auswahlindex FTSE 100 gibt ebenfalls nach, wenn auch weniger stark um etwa ein halbes Prozent. Der Index kann die Verluste begrenzen, da einige Wert vom schwachen Pfund profitieren, das die Käufe der Aktien attraktiver macht. Viele Rohstoffkonzerne an der Londoner Börse sind global tätig und rechnen in Dollar ab – der Brexit gilt für sie nicht als große Gefahr, anders als für Immobilienentwickler und Finanztitel. An der Londoner Börse taumelten die Immobilienwerte von einem Tief zum nächsten. Barratt Development und Taylor Wimpey um bis zu 5,7 Prozent ab.

Gefragt sind am Mittwoch dagegen die als sicher geltenden Anlagen wie Gold oder Bundesanleihen. Das Edelmetall liegt mehr als 1,3 Prozent im Plus bei 1.373 Dollar. Die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe liegt bei minus 0,196 Prozent. Das Kalkül vieler Anleihekäufer: Als Ausweichreaktion sind Staatsanleihen gefragt, das treibt die Kurse. Wer jetzt Anleihen kauft, kann diese nach weiteren Kursgewinnen teils mit beachtlichen Aufschlägen verkaufen.

Doch die Spekulation ist trügerisch. Denn geht die Spekulation auf Kursgewinne nicht auf, bleibt der Anleiheeigner auf Papieren sitzen, die bis zum Ende der Laufzeit negative Renditen bedeuten.


„Die Kuh ist nicht vom Eis zu bekommen“

„Eine Lösung, die Kuh namens Brexit vom Eis zu bekommen, ist nicht in Sicht“, beschreibt Konstantin Oldenburger, Analyst des Online-Brokers CMC Markets die Perspektive vieler Anleger. „Im Gegenteil: Kein Anleger weiß, ob und wann und erst Recht nicht unter welchen Bedingungen ein Austritt aus der Europäischen Union erfolgen kann und wird.“

Die angelaufene Kür für die Nachfolge des zurückgetretenen Premiers David Cameron biete ebenfalls kaum Hinweise auf den Kurs der neuen britischen Regierung, betonte Commerzbank-Analystin Thu Lan Nguyen. Schließlich habe sich die aussichtsreichste Kandidatin, Innenministerin Theresa May, vor dem Referendum gegen den Brexit ausgesprochen. „Auf der anderen Seite hat May seit ihrer Kandidatur eine recht harte Linie in Bezug auf die Verhandlungen mit der EU angedeutet.“

Für die Börsen sind solche Unwägbarkeiten Gift. Das Gegenmittel könnten die Notenbanken liefern - doch auch von ihnen ist wenig Linderung zu erwarten. Mit steigenden Leitzinsen und dann ebenfalls anziehenden Bond-Renditen rechnet an der Börse momentan kaum jemand.

Das zeigt etwa eine Entscheidung der schwedischen Notenbank: Sie verschiebt als Reaktion auf das Brexit-Votum den Zeitplan für eine Abkehr von der ultralockeren Geldpolitik. Es bestünden erhebliche Unsicherheiten über die wirtschaftlichen Entwicklungen im Ausland und dies habe nach dem Abstimmungsergebnis in Großbritannien zugenommen, teilte die Riksbank am Mittwoch mit.

Das Vereinigte Königreich ist Schwedens viertgrößter Exportmarkt. Die Notenbank will nun erst im zweiten Halbjahr 2017 damit beginnen, langsam die Zinszügel zu straffen. Bislang war dies für Mitte 2017 geplant gewesen. Ihren Leitzins beließ die Riksbank auf dem Rekordtief von minus 0,5 Prozent.

Auch in den USA wird die erhoffte Straffung der Geldpolitik auf sich warten lassen. Joseph Gagnon, ehemaliger US-Notenbanker und derzeit leitender Wissenschaftler der Denkfabrik Peterson Institute for International Economics, hält statt einer weiteren Leitzinserhöhung sogar eine Absenkung des Fed-Schlüsselsatzes auf minus 0,25 Prozent von aktuell plus 0,25 bis 0,5 Prozent für möglich. Dann könnte es auch erneut zu Anleihekäufen (Qantitative Easing, QE) kommen. Die dritte Runde der stützenden Wertpapierkäufe der amerikanischen Notenbank Fed war im Oktober 2014 zu Ende gegangen, im Dezember 2015 hatte sie die Zinsen erstmals seit fast zehn Jahren angehoben.


Weitere Lockerung der Geldpolitik durch die EZB?

Viele Experten gehen davon aus, dass die EZB ihre Geldpolitik im vierten Quartal noch weiter lockert. Und auch die Bank von England (BoE) komme um eine Wiederauflage des QE kaum herum, betont David Blanchflower, Wirtschaftsprofessor am Dartmouth College und ehemaliger britischer Notenbanker. „2008 hatten wir eine tiefe Wirtschaftskrise. Jetzt haben wir eine Wirtschaftskrise, verstärkt durch eine tiefe politische Krise.“

Vor diesem Hintergrund müssen Anleger auch weiterhin dafür bezahlen, Staaten wie Japan, Deutschland oder der Schweiz Geld leihen zu dürfen. Der Ratingagentur Fitch zufolge rentieren derzeit weltweit Papiere im Volumen von elf Billionen Dollar unter null Prozent. Das ist etwa das Dreifache der jährlichen Wirtschaftsleistung Deutschlands.

Auch Munich-Re-Chef Nikolaus von Bomhard erwartet, dass die Entscheidung der britischen Wähler die Märkte auf absehbare Zeit beschäftigen wird. Vor allem werde der Brexit wohl dafür sorgen, dass die Zinsen weltweit im Tief verharren. „Bisher dachte ich an ein bis zwei Jahre, aber das geht wohl über diesen Zeitraum hinaus“, sagte der Chef des weltgrößten Rückversicherers am Dienstagabend in München. Die US-Notenbank werde es in diesem Jahr wohl bei einer Erhöhung belassen, und die Europäische Zentralbank (EZB) habe keinen Grund, ihre Geldpolitik zu ändern.

Anleger beobachten zudem mit großer Sorge die Diskussion um die Lage italienischer Banken. Auf diesen lasten faule Kredite in Höhe von 360 Milliarden Euro. Das ist etwa ein Drittel aller Problem-Darlehen in der Euro-Zone. Der italienische Bankenindex fällt daher zeitweise auf ein Vier-Jahres-Tief. Die Aktien der krisengeschüttelten Banca Monte dei Paschi di Siena (BMPS) stiegen dagegen um bis 17 Prozent auf 0,31 Euro in Hoffnung auf eine staatliche Stützung des Kriseninstituts.

Aktienstrategen raten zur Vorsicht. „Die Gefahr eines Ausverkaufs ist nicht gebannt“, betont Analyst Markus Reinwand von der Hessischen Landesbank Lars Skovgaard Andersen, Investmentstratege von Danske Invest, sieht aber auch Potenzial für vereinzelte Kursgewinne bei Firmen aus Branchen wie Telekommunikation, Konsum und Pharma. Europäische Bankaktien müssten dagegen mit anhaltend starkem Gegenwind rechnen.

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