Letztlich sollten Anleger zwar die ausgewiesenen Kursziele nicht für bare Münze nehmen, die Analysen haben es aber dennoch in sich – und viele Aktienempfehlungen weisen zumindest in die richtige Richtung. Ralf Frank, Geschäftsführer der deutschen Analystenvereinigung DVFA, betont, dass die Analysen neben langen Zahlenreihen sich auch mit vielen anderen Aspekten eines Unternehmens beschäftigen. „Ein Analysten-Report ist nicht nur reiner Zahlensalat, sondern speist sich auch aus weichen Faktoren wie etwa der Marktpositionierung im Vergleich zur Konkurrenz, dem Markenwert von Produkten oder nicht zuletzt aus direkten Gesprächen mit Vorständen und Wettbewerbern“, erklärt Frank. „Anleger, Händler und institutionelle Anleger schätzen an den Analystenberichten deren Fähigkeit, einen Markt zu bewerten, die Güte eines Unternehmens einzuschätzen und die wesentlichen Treiber eines Marktes zu benennen. Ein guter Analyst beantwortet diese Fragen.“
"Wichtig sind die Köpfe"
Profi-Investoren achten daher genau darauf, von wem eine Analyse stammt. „Es gibt sehr gute Analysten in den vielen Research-Abteilungen, die sich über lange Jahre eine hervorragende Expertise in Einzelbereichen herausgearbeitet haben, diese Analysen verfolgen wir aufmerksam“, bestätigt Vermögensverwalter Bauer. „Wichtig sind uns die Köpfe und nicht die Namen der Häuser. Noch wichtiger ist die Unabhängigkeit in der Analyse.“
DVFA-Geschäftsführer Frank bestätigt das: Trotz aller mühsam erworbenen finanzmathematischen Methoden, der Datennormierung und fachmännischen Risikokalkulation seien die Einschätzungen immer auch subjektiv gefärbt. „Da sich die Analysten einer Aktie grundsätzlich alle auf die gleichen Informationen berufen und diese verdichten, liegen die Einschätzungen und Empfehlungen meist nicht allzu weit auseinander“, so Frank. „Es gibt einige Analysten, die sich weiter weg vom Konsens wagen. Sie zeichnet eine gewisse intellektuelle Hartnäckigkeit aus. Ausbildung, Erfahrung und Unabhängigkeit spielen für das Urteil des einzelnen Analysten einen große Rolle.“ Das Unternehmen Starmine, eine Tochter des Börsendatenanbieters Thomson Reuters, nimmt deshalb einmal jährlich eine Bewertung der einzelnen Analysehäuser vor und nennt die treffsichersten Analysten. Aber auch das jährliche Ranking zeigt: Kaum einem Analysten gelingt es mehrfach, in dem Ranking weit oben zu landen. Regelmäßig gelingt dies nur drei Prozent von mehr als 1500 untersuchten Analysten.
Mauer zwischen Analysten und Aktien-Verkäufern
Um die Unabhängigkeit der Analysten ist es auch rein formell nicht allzu gut bestellt. Ein Analyst ist schließlich kein Verbraucherschützer oder gemeinnützig auf Staatskosten tätig wie die Stiftung Warentest. Selbst Verbandsgeschäftsführer Frank rät davon ab, sich bei diesem Thema Illusionen hinzugeben. „Analysten sitzen nicht im Elfenbeinturm und blicken auf den breiten Markt herab“, sagt Frank. „Bei der Arbeit eines Analysten zählt auch die Kommerzialität. Zwar ist er in seinem Urteil unabhängig, aber er covert natürlich vorzugsweise Aktien, die umsatzträchtig sind. Schließlich wird auch seine Tätigkeit von den Transaktionsgebühren bezahlt, die sein Arbeitgeber – etwa eine Investmentbank - einnimmt.“
Grundsätzlich ist es Analysten in den meisten Häusern verboten, sich intern mit den Kollegen aus dem Investmentbanking über einzelne Aktienbewertungen auszutauschen. Gerade ihre Compliance-Abteilungen haben die Banken in den vergangenen Jahren trotz schwerer Zeiten für die Branche nochmals aufgerüstet, um Marktmanipulation und Insidergeschäfte auszuschließen. Die sogenannten „Chinese Walls“, also die Abschottung der Research-Abteilungen der Analysten von der Verkaufsseite, dürfen nicht brüchig werden, zumal sonst harte Strafen und ein unermesslicher Reputationsschaden drohen. Im Allgemeinen scheint diese Abgrenzung auch ganz ordentlich zu funktionieren, heißt es in Analystenkreisen.