Aktienindex S&P-500 US-Börsenrally völlig losgelöst

Der Bullenmarkt bei den US-Aktien in den vergangenen sechs Jahren war einer der stärksten aller Zeiten – doch er geht mit einer der schwächsten Konjunkturerholungen seit dem Zweiten Weltkrieg einher.

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Händler an der New Yorker Wall Street: Der US-Index S&P-500 hat kräftig zugelegt. Quelle: ap

New York Vier Mal in diesem Jahr haben die Aktienmärkte bereits Verlustphasen von mindestens drei Prozent durchgemacht. Als die Anleger zuletzt die Nerven verloren, in den 26 Tagen bis zum 15. Oktober, stieg die Marktvolatilität auf ein Drei-Jahres-Hoch, während der Standard & Poor's 500 Index um bis zu 9,8 Prozent absackte. Als Grund dafür wurde alles Mögliche bemüht – Europa, die US-Notenbank Fed oder Ebola.

Es gibt aber auch andere Erklärungsansätze. Einer lautet, dass die Investoren endlich ein Wirtschaftswachstum sehen wollen, das mit dem Markt Schritt hält. Von März 2009 bis Ende Juni 2014 hat der S&P 500 in jedem Quartal durchschnittlich 4,7 Prozent zugelegt, rund fünf Mal stärker als das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der USA. Das ist die größte Diskrepanz seit mindestens 1947.

„Ich glaube, dass die Abweichung auf diesem Niveau nicht von Dauer sein kann und dass der Markt deshalb Schwierigkeiten hat”, sagte Daniel Genter von RNC Genter Capital Management der Nachrichtenagentur Bloomberg. „Der Markt will jetzt sehen, dass das Wachstum in die richtige Richtung geht, sonst kippt die Stimmung.”

So schnell wie die Märkte ins Trudeln geraten waren, haben sie sich wieder erholt. Der Chicago Board Options Exchange Volatility Index sackte letzte Woche um 27 Prozent ab, während der S&P 500 um 4,1 Prozent stieg. Daten zum Häusermarkt und zum Verbrauchervertrauen hatten gezeigt, dass die US-Wirtschaft an Dynamik gewinnt. Zugleich nahm die Europäische Zentralbank Anleihekäufe auf und dämpfte damit die Sorgen um die Konjunktur im Euroraum.

Im langfristigen Rückblick haben die Aktien meist vor dem BIP angezogen. Im Durchschnitt gab es bei den Kursen einen Vorlauf von zwei Monaten, wie Datenreihen zeigen, die bis 1927 zurückreichen. Bei 14 Rezessionen, die es seitdem gab, hat der S&P 500 im Quartal vor der BIP-Erholung um mindestens zwölf Prozent zugelegt. Das geschah auch 2009, als der Index im Zeitraum April bis Juni, dem letzten Rezessionsquartal, um 15 Prozent stieg.

Ein Investor, der erst bei einem überdurchschnittlichen BIP-Anstieg eingestiegen ist, hat den 190-Prozent-Anstieg im S&P 500 seit März 2009 verpasst. Während das Wirtschaftswachstum bei unter drei Prozent verharrte, stiegen die Kurse, die US- Arbeitslosigkeit fiel auf 5,9 Prozent, die Zinsen hielten sich weiterhin auf Rekordtiefs und die Neubauverkäufe stiegen gegenüber 2011 um 73 Prozent.

„Ich glaube nicht, dass es eine Relation, eine konsistente Quote, zwischen dem Wirtschaftswachstum und dem Aktienmarkt gibt”, sagt Laszlo Birinyi von Birinyi Associates. „Was wir 2010 und 2011 gesehen haben war vielleicht ein Markt, der stärker war als die Konjunktur. In der Zukunft werden wir möglicherweise beobachten, dass die Wirtschaft aufholt, ohne dass der Aktienmarkt große Gewinne verzeichnet.”


Aktienbewertung um elf Billionen Dollar angestiegen

Während der gesamten Rally waren die Unternehmensgewinne ein besserer Leitfaden für den Kaufzeitpunkt von Aktien als das BIP-Wachstum. Während sich die Zwölf-Monats-Gewinne im S&P 500 seit 2009 auf durchschnittlich 103,21 Dollar je Aktie verdoppelt haben, wird der Index mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 19 gehandelt. Seit 1990 lag das KGV im Durchschnitt bei 25, wie von Bloomberg zusammengestellte Daten und Indizes von S&P Dow Jones zeigen.

Gleichzeitig sorgen sich die Investoren, dass das Geld mit Mitteln verdient wurde, die bald ausgeschöpft sind. Seit 2009 sind die Unternehmensgewinne mit einer Jahresrate von 14 Prozent gestiegen, fast drei Mal schneller als der Umsatz. Denn die Unternehmen senkten ihre Kosten, anstatt zu investieren, um Nachfrage zu bedienen, die vielleicht nie kommt. Daher haben die Vorstände die Erträge genutzt, um Aktien-Rückkäufe nahe den Allzeithochs zu finanzieren.

„Sie können die Kosten nicht mehr viel stärker senken, und sie können nicht viel mehr Aktien zurückkaufen”, sagt David Lafferty, Leitender Marktstratege bei Natixis Global Asset Management. „Die Zeit, da die Firmen ihre Gewinne deutlich schneller als die Umsätze steigern konnten, geht zu Ende.”

Seit Beginn des Bullenmarkts ist die Aktienbewertung im S&P 500 um mehr als elf Billionen Dollar angestiegen. Im selben Zeitraum stieg das BIP pro Quartal um 0,9 Prozent – die schwächste Erholung seit 1947. Nie zuvor in den 16 Bullenmärkten seit 1938 ist es vorgekommen, dass die Aktienbewertungen 68 Monate lang stiegen, ohne dass es ein einziges Jahr mit einem BIP-Wachstum von über drei Prozent gab.

Die Gefahr für die Investoren spiegelt sich auch in den Bewertungen im Verhältnis zum Umsatz wider. Seit dem Tiefpunkt bei den weltweiten Aktienbewertungen im März 2009 ist das Kurs- Umsatz-Verhältnis im S&P 500 etwa drei Mal so schnell angestiegen wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis. Es stieg von 0,7 auf 1,8 im September – der höchste Stand seit mehr als einem Jahrzehnt.

„Der Marktpreis ist bereits höher ist als der, den das BIP-Wachstum in den kommenden sieben bis zehn Jahren tragen kann”, sagt John Allen, Investmentchef bei Aspiriant. „An den Aktienmärkten müssen wir uns auf stärkere Schwankungen oder aber auf fallende Kurse einstellen.”

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