Aktienrückkauf Wie Konzerne sich für die Börse dopen

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Keine Kritik an der Wall Street

Da allerdings verläuft ein atlantischer Graben: Schlechte Nachrichten haben die Händler an der Wall Street in den vergangenen Wochen wahrlich genug gehört. Und so werden kritische Fragen zu den massiven Aktienrückkäufen der US-Unternehmen mit bösem Blick bestraft. „Die Buybacks haben das geschafft, was weder die Notenbank noch die ordentlichen Wirtschaftsdaten erreicht haben. Sie haben den Negativtrend am US-Aktienmarkt beendet“, sagt Binky Chadha, globaler Chefstratege der Deutschen Bank, mit Blick auf den Crash zum Jahresbeginn und die dann einsetzende heftige Rückkaufwelle. An den Börsen gelte wie in der freien Wirtschaft: Angebot und Nachfrage regeln den Preis. Die Nachfrage nach US-Aktien hat zuletzt stark nachgelassen, also seien die börsennotierten Unternehmen eingesprungen und hätten ihre eigenen Papiere gekauft.

„Das ist eine altbekannte Strategie, um die Kurse zu stützen, und das hat erneut funktioniert“, sagt Chadha. Die heftigen Schwankungen seien aus dem Markt genommen worden. Ohne die Aktienrückkaufe „hätte sich nicht so schnell ein Boden gebildet“. Tatsächlich haben US-Unternehmen in den turbulenten ersten vier Wochen dieses Jahres deutlich mehr eigene Papiere gekauft als etwa im Vorjahreszeitraum. Beinahe jede fünfte gehandelte Aktie ging von Investoren auf die Bücher der Unternehmen.

Auch bei Goldman Sachs sieht man die Buybacks als „treibende Kraft“ der letzten Markterholung. Vor allem Hedgefonds hätten sich von vielen Titeln getrennt und konzentrierten sich nur noch auf wenige Werte. „Die einzige echte Nachfrage nach vielen US-Aktien stammt derzeit von den eigenen Konzernen“, bilanziert David Kostin, leitender US-Aktienstratege bei Goldman. „Die Aktienrückkäufe sind gekommen, um zu bleiben“, sagt Chadha.

Gesund klingt das nicht. Aber kritische Stimmen an der Wall Street zu Aktienrückkäufen? Fehlanzeige.

Probleme vertagt und vergrößert

William Lazonick, Wirtschaftsprofessor an der University of Massachusetts Lowell, hält diese Einstellung für fatal. „Hier werden Kurse künstlich aufgebläht – und Probleme einzig vertagt und vergrößert.“ Statt in Aktienrückkäufe sollten die Konzerne ihre Gewinne verwenden, um weiteres Wachstum zu generieren, findet Lazonick. Investitionen in Forschung oder Maschinen, höhere Löhne für die Mitarbeiter oder das Anbieten von Aus- und Fortbildungen sichere langfristige Gewinne – und dadurch auch einen steigenden Aktienkurs.

Was Dax-Konzerne an ihre Anleger ausschütten

Buybacks hingegen würden Erwartungen wecken, die die Konzerne niemals erfüllen könnten – außer, sie blähen die Kurse durch immer voluminösere Aktienrückkäufe auf. „Die Programme werden zu einer Sucht. Immer mehr, immer größer“, sagt Lazonick. „Zynisch wird das Prozedere, wenn Mitarbeiter entlassen werden und Investitionen gestrichen werden, um die Kosten der Buybacks zu finanzieren.“ ExxonMobil oder die Biokette WholeFoods seien solche Negativbeispiele. „Da bleibt nicht mehr viel Geld übrig, um Zukunftsinvestitionen zu tätigen“, sagt Lazonick.

Das gilt selbst für diejenigen Konzerne, die aufgrund ihrer Geschäftsmodelle einem noch stärkeren Wandel unterliegen als klassische Industrieunternehmen, etwa aus der Ölbranche. Der Techindustrie müsste eigentlich mehr an Innovationen als Treiber für den Aktienkurs als an Rückkäufen gelegen sein. „Ihr verspracht mir Kolonien auf dem Mars. Stattdessen bekam ich Facebook“, ätzte der US-Astronaut Buzz Aldrin, der als zweiter Mensch den Mond betrat, schon im November 2012 auf dem Titelblatt des US-Technologiemagazins „MIT Technology Review“. Seitdem hat sich wenig geändert, was auch an der Börsenkultur liegt.

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