Anlegeralphabet Hauptversammlung - Aktionärswahlen und Vorstandspranger

Auf Hauptversammlungen lässt so mancher frustrierte Aktionär gern die Sau raus. Folge H unseres Börsen-ABCs fragt kritisch, ob vernünftige Anleger sich einen Besuch der Aktionärsversammlung wirklich zumuten sollen.

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Ein Aktionär der Deutsche Börse AG am Rande der Hauptversammlung des Dax-Konzerns. Quelle: dpa

Diesmal geht es bei unserem Anlegeralphabet etwas turbulenter und polemischer zu als sonst. Das passt zum Thema, schließlich betrachtet so mancher Kleinaktionär die Hauptversammlung als Gelegenheit, seinen Frust über Gott und die Welt loszuwerden – und eher nebenbei vielleicht noch den einen oder anderen mehr oder weniger treffenden Kritikpunkt an der Arbeit des Vorstands und es Aufsichtsrats anzubringen.

Berechtigte Kritik an der Geschäftspolitik geht dabei oft unter im allgemeinen Weltschmerz, den eigenwillige Hauptversammlungs-Redner in ihren unvermeidbaren Wortmeldungen gern zum Besten geben. Dabei vergessen viele offensichtlich, dass die Hauptversammlung kein Stammtisch ist und auch keine Meckerecke, in der sich Individualprobleme vor einer verständnisvollen Zuhörerschaft ausbreiten ließen.

Für die anwesenden Vertreter der Großinvestoren oder für Finanzjournalisten mögen diese Beinahe-Büttenreden manchmal willkommene Abwechslung vom sonst nüchternen Tagesgeschäft bieten. Doch ist der Nutzwert vieler Beiträge für die Aktionärsdemokratie so überschaubar wie die Linsensuppenportionen, mit denen das Hauptversammlungspublikum in den Pausen abgespeist wird.

12.500 Würstchen hat Daimler bei der Hauptversammlung für 5.500 Aktionäre aufgetischt. Weil einer von ihnen mehrfach Würstchen zum Mitnehmen einpackte, kam es zum Streit. Auch die Polizei musste anrücken.

Wurst-Streit bei Daimler

Legendär ist die Anekdote von zwei Daimler-Aktionären, die am Rande der Hauptversammlung des Autokonzerns 2016 über die Verteilung der Würstchen am Büffet so heftig aneinander gerieten, dass die Polizei eingreifen musste. Das Problem solcher Possen: Sie lenken ab von der oft berechtigten Kritik an der Unternehmenspolitik und ziehen die anderen Aktionäre ins Lächerliche. Kein Wunder, wenn Vorstände und Aufsichtsräte solche Entgleisungen als Vorwand nutzen, die Streubesitz-Anteilseigner als eine Schar gieriger und ungehobelter Anspruchssteller zu karikieren.

Es ist nicht so, dass es auf den großen Hauptversammlungen gar keine konstruktiven Redebeiträge im Sinne der Aktionäre gäbe. Highlights der Aktionärsdemokratie kann man erleben, wenn etwa der Frankfurter Anlegeranwalt Klaus Nieding ans Mikrophon tritt und schonungslos aufzählt, was im Geschäftsjahr schief gelaufen ist, ohne dabei die guten Aspekte zu vergessen. Oder wenn der meinungsstarke und gleichzeitig zahlenaffine unabhängige Analyst Dieter Hein das Wort ergreift, um seine Kritik an Vorständen und Aufsichtsräten mit wasserdichten Analysen der Geschäftsberichte zu untermauern. Doch leider zählen solche Lichtgestalten zu den selteneren Erscheinungen auf Hauptversammlungen, die oft in den Parolen der Berufsquerulanten untergehen.

Dabei widmet das deutsche Aktiengesetz der Hauptversammlung als wichtigem Organ der Aktiengesellschaft einen ganzen Abschnitt mit rund 30 Paragraphen. Sie ermöglicht den Aktionären, ihre Rechte als Miteigentümer des Unternehmens geltend zu machen.

Kurz vor der entscheidenden Hauptversammlung spitzt sich beim Münchner Medienkonzern der Krach zwischen zwei verfeindeten Großaktionären zu. Die Lage scheint verfahren.
von Peter Steinkirchner

Aktionäre treffen wichtige Entscheidungen über das Unternehmen

So dürfen Vorstand und Aufsichtsrat erst nach mehrheitlicher Entlastung durch die Eigentümer in das neue Geschäftsjahr gehen. Auch Neubesetzungen im Aufsichtsrat muss die Hauptversammlung absegnen. Außerdem entscheiden die Aktionäre per Abstimmung, welcher Teil des Gewinns per Dividende an sie fließt oder in der Unternehmenskasse bleibt.

Eine persönliche Teilnahme an der Versammlung ist aber nicht nötig, um den Interessen des Streubesitzes Gewicht zu verschaffen. Wer als Privatanleger sicher stellen will, dass sein – wenn auch kleiner – Stimmenanteil nicht verloren geht, sollte an der Briefwahl teilnehmen oder seine Stimmrechte per Vollmacht auf einen Stimmrechtsvertreter zu übertragen. Denn bei der Abstimmung berücksichtigt, wird nur das bei der Hauptversammlung vertretene Kapital.

Das macht es Großaktionären noch leichter möglich, Entscheidungen in ihrem Sinne durchzudrücken. Völlig sinnlos sind all die Abstimmungen aber, wenn ein oder mehrere anwesende Mehrheitsaktionäre allein die Wahlen und Abstimmungen in ihrem Sinne entscheiden und die übrigen anwesenden Aktionäre somit nur noch Publikum bei einer gesetzlich vorgeschriebenen Formsache sind.

Vernünftige Privatanleger sollten sich den hier erhaltenen faden Vorgeschmack von Würstchen und Linsensuppe auf der Zunge zergehen lassen, bevor sie ihre kostbare Zeit in die Teilnahme an einer Hauptversammlung vor Ort investieren. Die Dienstleistungsfirmen, die im Auftrag großer Dax-Unternehmen deren Hauptversammlungen organisieren, schicken mit dem Abstimmungsbogen oft noch einen portofreien Antwortumschlag für die Briefwahl oder Stimmrechtsübertragung mit. Bequemer und nervenschonender für den Anleger geht es nicht.

Wer sich trotzdem unbedingt in den Tumult einer großen Dax-Hauptversammlung stürzen will – was am ehesten noch für Schüler, Studenten oder Ruheständler mit Interesse an Wirtschaft Sinn macht – sollte sich auf die eine oder andere Skurrilität gefasst machen.

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