Anleihemarkt „Die Nerven liegen blank“

Frankreich-Wahlen, Zweifel an Trumps Konjunkturpolitik oder die Drohgebärden Nordkoreas: Die Investoren werden zunehmend nervös. Das zeigt sich vor allem am Anleihemarkt. Viele Anleger fliehen in Gold.

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Die Investoren an den Bondmärkten werden immer nervöser. Quelle: Imago

Frankfurt An den Finanzmärkten ist es eine der großen Überraschungen des Jahres: Anleihen aus Deutschland, den USA und auch Japan sind bei Anlegern wieder gefragt. Die Kurse steigen, und im Gegenzug sind die Renditen der zehnjährigen Staatspapiere der drei Länder auf ihre niedrigsten Stände seit fünf Monaten gefallen. Dabei hätte im Januar hätte kaum ein Analyst Anleihen als gewinnbringende Anlage empfohlen.

Im Gegenteil: Den 35-jährigen Bullenmarkt für Bonds mit mehr oder weniger stetig steigenden Kursen der Staatsanleihen in Europa, den USA und auch Japan hatten Investoren bereits zu Beginn des Jahres unisono für beendet erklärt. Nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten im vergangenen November nahmen die Anleger dessen Versprechungen noch für bare Münze und stellten sich auf ein deutlich höheres Wirtschaftswachstum und noch weiter steigende Inflationsraten in den USA ein.

Beides machte Anleihen unattraktiv, Anleger verkauften sie in großem Stil und griffen stattdessen vor allem in den USA zu Aktien. Die US-Börsen hatten noch Anfang März neue Allzeithochs markiert, in Deutschland näherte sich der Dax einen Monat später bis auf 14 Punkte seinem Allzeithoch von 12.390 Zählern vom April 2015 an. Die Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihe war zu diesem Zeitpunkt auf bis zu 2,6 Prozent gestiegen, die der zehnjährigen deutschen Bundesanleihe lag bei fast 0,5 Prozent und die der zehnjährigen japanischen Staatsanleihe bei knapp 0,1 Prozent.

Doch in den USA ist die erste Euphorie über Trumps Wirtschaftspolitik verflogen. Nachdem der Präsident mit der Abschaffung der Gesundheitsreform seines Vorgängers Barack Obama so krachend gescheitert war, mehrten sich die Zweifel an der zügigen Umsetzung der Steuerreform, von der sich Börsianer an den Aktienmärkten viel erhoffen. US-Finanzminister Steven Mnuchin sprach dabei am Dienstag in einem Interview von „Verzögerungen im Zeitplan“ der Reform.

Noch entscheidender sind aktuell aber andere politische Brandherde: Vor allem mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen in Frankreich „liegen die Nerven blank“, wie es Constantin Pyhel, Analyst bei der DZ Bank ausdrückt. Seit Wochen machen sich Anleger Gedanken darüber, was passieren würde, wenn die rechtsradikale Marine Le Pen vom Front National, in der Stichwahl am 7. Mai das Rennen macht. Sie will unter anderem den Euro abschaffen.


Frankreich im Fokus

Die Sorgen über einen zwar für unwahrscheinlichen, aber nicht unmöglichen Sieg von Le Pen spiegeln sich vor allem an den Anleihemärkten wider. Die Renditen französischer Staatsanleihen sind deutlich gestiegen. Die zehnjährige französische Staatsanleihe rentierte im März mit 1,1 Prozent. Zuletzt ist sie zwar wieder etwas auf 0,9 Prozent gesunken, aber: Der Risikoaufschlag, also der Renditeabstand zur deutschen Bundesanleihe, liegt mit 0,74 Prozentpunkten immer noch nahe seines Jahreshochs und damit auf dem Stand vom Dezember 2012. Der hohe Risikoaufschlag liegt daran, dass die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe unter 0,20 Prozent und damit auf den niedrigsten Tand seit Mitte November gefallen ist. Anleger fliehen damit in deutsche Bundesanleihen.

Diese Verhalten hat sich verstärkt seit der extrem linke Politiker Jean-Luc Melénchon in den Umfragen für die erste Runde der französischen Präsidentschaftswahlen am 23. April aufgeholt hat. Auch er sieht den Euro äußerst kritisch. Eine Stichwahl zwischen Le Pen und Melénchon in der zweiten Runde der Wahlen am 7. Mai sieht die Commerzbank als „Schreckgespenst für die Märkte“. Ein Austreten Frankreichs aus der Euro-Zone hätten einen Ketteneffekt, nicht nur die Renditen französischer Anleihen, sondern auch die von Anleihen aus den Euro-Ländern würden massiv steigen. Die Länder könnten sich kaum noch refinanzieren, viele Währungen würden abwerten und damit die Anlagen auf einen Schlag weniger wert. „Manche Banken, Versicherer und Pensionskassen könnte das so hart treffen, dass sie in existenzielle Schwierigkeiten geraten würden und mit Hilfe des Staates gerettet werden müssten“, sagt Garland Hansmann, Portfoliomanager bei Investec Asset Management.

Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass Investoren in deutsche Staatsanleihen fliehen, bei denen sie auch in Horrorszenarien mit einer Rückzahlung ihres angelegten Geldes rechnen. Doch die Flucht in „sichere Anlagen“ zeigt sich auch an anderer Stelle. Die Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihe liegt mit unter 2,2 Prozent ebenfalls so niedrig wie zuletzt vor fünf Monaten. Auch in Japan gab es einen kräftigen Renditerutsch. Hier fiel die Rendite der zehnjährigen Anleihe erstmals seit November mit bis zu minus 0,005 Prozent ganz leicht in den negativen Bereich. Anleger, die die Anleihe kaufen, bekommen also – trotz Zins – weniger Geld zurück als sie angelegt haben.

Die Verunsicherung der Anleger lässt sich zudem am Goldpreis ablesen. Er ist zuletzt auf der Spitze auf über 1.290 Dollar je Feinunze (31,1 Gramm) gestiegen. Seit Anfang des Jahres hat der Goldpreis rund zwölf Prozent zugelegt und sich damit besser als amerikanische, japanische oder europäische Aktien entwickelt. Auch die Kursgewinne an den Anleihemärkten können mit der Entwicklung des Goldpreises bei weitem nicht mithalten. Der Edelmetallpreis wird damit seinem Ruf als Gradmesser für Unsicherheiten unterschiedlichster Art wieder einmal gerecht.


Viele Unsicherheitsfaktoren

Denn es sind ja nicht nur die Wahlen in Frankreich, die Investoren verunsichern. Auch mit Blick auf „Syrien, Nordkorea und die Türkei scheinen die politischen Unsicherheiten scheinen Überhand zu nehmen“, fasst Christian Apelt, Analyst bei der Helaba, die Lage zusammen. In der Woche vor Ostern hatte Trump einen syrischen Stützpunkt mit Raketen beschießen lassen. Es war die Reaktion auf einen mutmaßlichen Chemiewaffenangriff auf Rebellengebiete in Syrien, für den nach Auffassung der USA die syrische Regierung unter Staatspräsident Baschar Hafiz al-Assad verantwortlich ist. Das hat die Beziehungen zwischen den USA und Russland, das Assad unterstützt, auf einen neuen Tiefpunkt gebracht.

Dazu steigt die Nervosität mit Blick auf Nordkoreas Atomprogramm. Die USA befürchten vor allem, dass nordkoreanische Atomraketen eines Tages amerikanisches Festland erreichen könnten und haben Kriegsschiffe an die geteilte koreanische Halbinsel verlegt. In der Türkei fürchten Investoren nach dem Votum für die Einführung des Präsidialsystems eine schlechtere Beziehung zur Europäischen Union. Dazu kommen die Verhandlungen über Großbritanniens Ausscheiden aus der EU. „Der Brexit wird kommen, und die Premierministerin will mit den für Juni angesetzten Neuwahlen nur erreichen, dass die britische Regierung bei den Verhandlungen freie Hand hat“, meint dazu Dominic Rossi, einer der Chefanlagestrategen beim Fondshaus Fidelity International.

Doch bedeutet dies alles, dass die Flucht in die Sicherheit weitergehen wird? Beim Goldpreis meinen viele Analysten: Ja. Ein Grund dafür ist das Zinsumfeld. Denn das Argument, dass Gold keine Zinsen zahlt, verliert immer mehr an Bedeutung. Mit vielen Anleihen bekommen Anleger schließlich auch keine Zinsen mehr oder verlieren sogar dank Negativ-Renditen Geld. Zudem lasse sich Gold – anders als Anleihen – nicht beliebig vermehren, meint Alexander Posthoff, Portfoliomanager beim Anlagehaus Bantleon.

Anleihen dagegen befinden sich nach Meinung der meisten Experten weiter in einem Bärenmarkt. „Doch dieser Bärenmarkt kann viele Ausmaße und Formen annehmen und bedeutet nicht zwangsläufig, dass jetzt hinter jeder Kurve große Verluste lauern“, erklärt Jim Cielinski, Anleihechef beim Fondshaus Columbia Threadneedle. Die Anleiheblase sei schon geplatzt und die schmerzlichen Effekte der ersten Phase weitgehend überstanden.

In der Tat: Im vergangenen Juli rentierte die zehnjährige US-Staatsanleihe noch mit 1,3 Prozent, die Rendite der zehnjährigen deutsche Bundesanleihe markierte ihr historisches Tief mit minus 0,2 Prozent und die zehnjährige japanische Staatsanleihe mit knapp minus 0,3 Prozent.

Die jüngsten Kursanstiege und Renditerückgänge dürften damit lediglich ein zwischenzeitliches Phänomen sein. Der Einstieg in Anleihen empfiehlt sich damit nicht – allen Unsicherheiten zum Trotz.

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