Ende April wurden 30 Prozent aller Staatschulden der Eurozone, Schuldverschreibungen im Gesamtwert von etwa 2000 Milliarden Euro, mit negativen Renditen gehandelt. Negative Renditen hatte es bei allen bisherigen Programmen quantitativer Lockerung bis dato nicht gegeben.
Ein Zins von Null ist bereits ein Verstoß gegen den gesunden Menschenverstand, denn er schafft den Preis für Kapital ab und damit dessen sinnvolle Allokation. Die negative Verzinsung setzt hier noch einen drauf. Verkauft wird dieses Phänomen aber als Versicherungsprämie für das sichere Parken von Kapital.
So war es möglich, dass der Markt bei einem Rendite-Niveau von 0,05 Prozent ein Renten-KGV von 2000 (!) akzeptierte. Nach den Exzessen am Neuen Markt vor 15 Jahren also nun neue Bewertungsparadigmen am Rentenmarkt? Das ließ sorgenvoll aufhorchen, denn es roch nach Korrektur.
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Frank Träger, 55, berät seit 2002 börsennotierte Small- und Mid-Caps in Kapitalmarkt- und Investor-Relations-Fragen. Zuvor war er Analyst und Fondsmanager beim Bankhaus Sal. Oppenheim jr. & Cie. und beim Versicherungsriesen Axa.
Klar ist, dass die Kursrisiken an den Anleihemärkten hoch waren - und sind. Kleinste Veränderungen im fundamentalen Erwartungsrahmen der Investoren haben eine überproportionale Wirkung. Das betrifft die anziehenden Inflationserwartungen, ausgelöst durch die Erholung des Ölpreises, und die erstmals wieder marginal positiven Daten zur Kreditentwicklung bei einem gleichzeitig strammen Wachstum der Geldmenge M3 mit einer Jahresrate von vier Prozent.
Anleihen - zum Nennwert emittiert - sind bei einem Rendite-Niveau von knapp über Null praktisch Zero-Bonds. Deren finanzmathematische Kapitalbindungsdauern sind identisch mit der Gesamtlaufzeit. Bei solchen Anleihen fällt die Reagibilität des Kurses auf kleinste Renditeveränderungen am höchsten aus. Der Crash im Bund-Future war tatsächlich beachtlich. Er radierte die bisherige Jahresperformance am Rentenmarkt praktisch aus.
Fragen zum EZB-Anleihekaufprogramm
Die Preisentwicklung im Euroraum bereitet den Notenbankern Sorgen. Im Januar und Februar sind die Verbraucherpreise auf Jahressicht jeweils gesunken. Deshalb befürchten die Währungshüter eine Deflation, also einen anhaltenden Preisrückgang quer durch die Warengruppen. Das könnte dazu führen, dass Verbraucher und Unternehmen Anschaffungen in Erwartung weiterer Preissenkungen verschieben und die Wirtschaft erlahmt. Dies will die EZB mit den Käufen verhindern: „Das Programm wird dazu beitragen, die Inflation wieder auf ein Niveau zurückzuführen, das mit dem Ziel der EZB im Einklang steht.“ Die EZB strebt eine Teuerungsrate von knapp zwei Prozent an.
Die EZB kauft Wertpapiere am Sekundärmarkt - also nicht direkt bei Staaten, sondern bei Banken oder Versicherern. So wird Geld ins Finanzsystem geschleust. Die EZB erwartet, dass das Programm den Unternehmen in ganz Europa helfen wird, leichter Zugang zu Krediten zu erhalten. Das werde die Investitionstätigkeit steigern, Arbeitsplätze schaffen und das Wirtschaftswachstum insgesamt stützen. Dafür druckt sich die EZB quasi selbst Geld, die Menge (Quantität) des Zentralbankgeldes nimmt zu, daher der Begriff „Quantitative Lockerung“ (QE).
Die EZB will Papiere von Eurostaaten, von internationalen Institutionen wie der Europäischen Investitionsbank (EIB) oder von nationalen Förderbanken wie der KfW kaufen. Bei Staatsanleihen gilt: Gekauft werden nur Papiere von guter Bonität. Anleihen, die von Ratingagenturen als Ramsch gewertet werden, sind außen vor - es sei denn, das Land befindet sich in einem Sanierungsprogramm der EU und erfüllt alle Sparauflagen. Die Überprüfung des Programms muss abgeschlossen sein. Damit ist im Moment ausgeschlossen, dass die EZB Anleihen Zyperns oder Griechenlands kauft.
Bislang vor allem wie ein Schmierstoff für Aktienmärkte. Da viele andere Geldanlagen wegen der niedrigen Zinsen kaum noch etwas abwerfen, stecken Investoren ihr Geld in Aktien. Die Kurse steigen. Experten warnen, dass dadurch Blasen an den Aktienmärkten entstehen können. Ähnliches gilt für Immobilienmärkte. Bundesbank-Vorstand Andreas Dombret sieht die Gefahr, dass viele Anleger auf der Suche nach Rendite zu Vermögenswerten greifen, die sie bisher wegen deren Risiken gemieden haben: „Die Entstehung von Preisblasen wird damit wahrscheinlicher, und das könnte zu einem Problem für die Stabilität des Finanzsystems werden.“
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann befürchtet, dass der Reformeifer in Krisenländern nachlassen könnte - schließlich wird das Schuldenmachen billiger, wenn die EZB als großer Akteur auf den Plan tritt. Kritiker werfen der EZB zudem vor, sie finanziere letztlich Staatsschulden mit der Notenpresse. Das mache die Notenbank abhängig von den Staaten und gefährde ihre Unabhängigkeit.
Im Prinzip schon, doch sie hat ihr Pulver weitgehend verschossen. Das gilt vor allem für die Zinsen, mit denen die Geldpolitiker eigentlich die Inflation steuern: Eine Zinssenkung verbilligt Kredite und soll Konjunktur wie Inflation antreiben. Doch die EZB hat den Leitzins schon auf 0,05 Prozent gesenkt, also quasi abgeschafft. „Gäbe es noch Spielraum, so hätte die EZB die Leitzinsen bereits gesenkt. Da diese Möglichkeit aber nicht mehr bestand, war das Programm zum Ankauf von Vermögenswerten das einzig geeignete Instrument, mit dessen Hilfe die EZB ein ähnliches Ergebnis erreichen konnte“, erklärt die EZB.
Aber es spricht auch Einiges dafür, dass einfach nur die Volatilität am Rentenmarkt dramatisch gestiegen ist. Kommentatoren sprechen von einer Verzehnfachung des Renditeniveaus. Da sich die Renditen aber nicht von sechs auf 60 Prozent erhöht haben, sondern von 0,05 auf 0,5 Prozent, würde die logarithmische Sichtweise helfen, die Kirche im Dorf zu lassen.
Dennoch: Es gibt eine höhere Volatilität am Anleihemarkt und die wird durch die Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) mit verursacht. Für Kaufen-und-Halten-Anleger, die Marktstabilität und Marktkontinuität bringen, scheint die Eurozone als Anlageregion mehr oder weniger verbrannt.
Volatilität könnte weiter steigen
Durch das QE-Programm ist die EZB selbst ein beherrschender Spieler am Markt geworden und das Bankensystem ist der Broker für dieses Programm. Somit ist das Handelsmotiv die treibende Kraft am Markt. Anleiheinvestments bringen durchaus noch Rendite, nämlich dann, wenn die Anleihen wie Aktien gehandelt werden. Die Spekulation richtet sich auf die Kurs- beziehungsweise Renditeveränderung.
Das absolute Renditeniveau und die Frage, ob daraus Verpflichtungen erfüllt werden können, treten in den Hintergrund. Insofern verwundert es nicht, wenn die Big Five der weltweit agierenden US-Banken (Goldman Sachs, Citigroup, Bank of America, JP Morgan und Wells Fargo) ihren Reingewinn des ersten Quartals in Höhe von zusammen 22 Milliarden Dollar maßgeblich im Anleihehandel verdient haben. Und die Volatilität könnte noch weiter steigen.
Ökonomen zu den Staatsanleihenkäufen der EZB
"Die EZB sollte keine Staatspapiere kaufen, denn dann würde sie die Zinsen der Wackelstaaten weiter drücken und sie anregen, sich noch mehr zu verschulden. Der Kauf wird von Artikel 123 des EU-Vertrages zu Recht verboten, weil er einer verbotenen Monetisierung der Staatsschulden gleichkommt. Man sollte auch bedenken, dass selbst die US-Notenbank Fed keine Staatspapiere von Gliedstaaten kauft. Kalifornien, Illinois oder Minnesota stehen am Rande der Pleite, und doch hilft die Fed ihnen nicht mit Krediten. Es ist schlichtweg unakzeptabel, dass die EZB meilenweit über die Fed hinausgeht, obwohl Europa den gemeinsamen Bundesstaat noch gar nicht gegründet hat. Die EZB-Politik treibt die Staaten Europas in Gläubiger-Schuldner-Verhältnisse und wird längerfristig nichts als Streit und Spannungen erzeugen."
"Die EZB verfehlt ihr Mandat der Preisstabilität und ist dabei, ihr wichtigstes Gut zu verlieren: ihre Glaubwürdigkeit. In letzter Instanz ist der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB ein notwendiges Übel, um ihrem Mandat gerecht zu werden. Je zögerlicher die EZB handelt, desto weniger effektiv ihre Geldpolitik und desto höher die Risiken."
"Ich sehe derzeit keine Deflationsgefahren, die Staatsanleihekäufe rechtfertigen könnten. Ohne die notwendigen Anpassungsprozesse in den Peripherieländern und dem ökonomisch vorteilhaften Ölpreisrückgang läge die aktuelle Inflationsrate in etwa um einen Prozentpunkt höher, als es derzeit der Fall ist. Die Jagd nach Rendite und die Risikobereitschaft an den Finanzmärkten würden weiter erhöht, der Anreiz, fürs Alter langfristig zu sparen, würde weiter vermindert."
"Seit Anfang 2009 ist der Zuwachs der Geldmenge M3 mit durchschnittlich 1,7 Prozent weit hinter dem Referenzwert von 4,5 Prozent zurückgeblieben, den einst EZB und Bundesbank für sinnvoll hielten. Entsprechend schwächelt die Konjunktur, während der Preisauftrieb auch ohne Öl gefährlich nah an die Deflation herankommt. In dieser Lage muss die EZB mit einer Offenmarktpolitik gegenhalten, also mit dem Kauf von Anleihen auf dem offenen Markt, der auch Staatsanleihen umfassen sollte."
"Es ist nicht notwendig, nun auch noch mit breit angelegten Staatsanleihekäufen auf den Ölpreisverfall zu reagieren. Die EZB sollte nicht nur auf Deflationsrisiken schauen, sondern auch berücksichtigen, dass sie als Käufer von Staatsanleihen den Regierungen zusätzlichen Anreiz gäbe, notwendige Strukturreformen aufzuschieben."
Am 21. April twitterte der US-Starinvestor Bill Gross, Wetten auf fallende Kurse zehnjähriger Bunds seien der Short des Lebens. Dass „Bond-Gurus“ wie Gross öffentlich über das Eingehen von Short-Positionen sinnieren – fraglich bleibt, ob sie derartige Strategien auch selbst umsetzen oder lieber nach ihren medienwirksamen Statements heimlich auf die Gegenseite gehen – könnte bei den Lenkern des Smart Money, die gerne jede Kurve am Markt ausfahren, den Spieltrieb geweckt haben.
Die EZB wird es gewiss gewurmt haben, dass ausgerechnet seit Beginn des QE-Programms die Renditen gestiegen sind. Aber kein Leerverkauf ohne eine Wertpapierleihe! Worüber trotz der großen Relevanz noch nicht viel berichtet wurde: Die EZB selbst stellt dem Markt die zuvor aufgekauften Anleihen per Wertpapierleihe zur Verfügung. Damit soll ein Austrocknen des Marktes verhindert werden.
Mario Draghi dürfte sich also die Hände reiben, wenn „Shorties“ großvolumig Anleihen am Markt leer verkaufen. Denn so kann er jederzeit einen Short-Squeeze auslösen. Die kurzfristig angekündigte Volumenausweitung des QE-Programms in den kommenden Wochen könnte genau darauf abgezielt haben. Offiziell mit saisonalen Liquiditätsschwankungen am Markt während der Sommermonate begründet, drängt sich der Verdacht auf, dass der eigentliche Hintergrund der Aktion war, eine kraftvolle Gegenreaktion auf den jüngsten Renditeanstieg auszulösen.
Die EZB will so eindrucksvoll beweisen, dass nur sie allein die Zügel führt und entscheidet, wohin Renditen, Euro und Aktien laufen. Die EZB macht deutlich, dass sie sich, trotz der Fragwürdigkeit ihres Programms, noch nicht am Ziel fühlt und ein Stopp der Anleihekäufe kaum in Frage kommt. Das ist noch kein fester Boden, auf dem eine Zinswende gedeiht.