Anleihen-Crash Abpfiff für die Zinswende

Der Crash bei Bundesanleihen war beachtlich. Er radierte die bisherige Jahresperformance praktisch aus. Doch das war noch nicht der Boden, auf dem eine Zinswende gedeiht. Die EZB gibt sich nicht geschlagen. Sie will beweisen, dass sie allein die Zügel führt und entscheidet, wohin Renditen, Euro und Aktien laufen.

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Zinswende Aufmacher Quelle: dpa, Montage

Ende April wurden 30 Prozent aller Staatschulden der Eurozone, Schuldverschreibungen im Gesamtwert von etwa 2000 Milliarden Euro, mit negativen Renditen gehandelt. Negative Renditen hatte es bei allen bisherigen Programmen quantitativer Lockerung bis dato nicht gegeben.

Ein Zins von Null ist bereits ein Verstoß gegen den gesunden Menschenverstand, denn er schafft den Preis für Kapital ab und damit dessen sinnvolle Allokation. Die negative Verzinsung setzt hier noch einen drauf. Verkauft wird dieses Phänomen aber als Versicherungsprämie für das sichere Parken von Kapital.

So war es möglich, dass der Markt bei einem Rendite-Niveau von 0,05 Prozent ein Renten-KGV von 2000 (!) akzeptierte. Nach den Exzessen am Neuen Markt vor 15 Jahren also nun neue Bewertungsparadigmen am Rentenmarkt? Das ließ sorgenvoll aufhorchen, denn es roch nach Korrektur.

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Klar ist, dass die Kursrisiken an den Anleihemärkten hoch waren - und sind. Kleinste Veränderungen im fundamentalen Erwartungsrahmen der Investoren haben eine überproportionale Wirkung. Das betrifft die anziehenden Inflationserwartungen, ausgelöst durch die Erholung des Ölpreises, und die erstmals wieder marginal positiven Daten zur Kreditentwicklung bei einem gleichzeitig strammen Wachstum der Geldmenge M3 mit einer Jahresrate von vier Prozent.

Anleihen - zum Nennwert emittiert - sind bei einem Rendite-Niveau von knapp über Null praktisch Zero-Bonds. Deren finanzmathematische Kapitalbindungsdauern sind identisch mit der Gesamtlaufzeit. Bei solchen Anleihen fällt die Reagibilität des Kurses auf kleinste Renditeveränderungen am höchsten aus. Der Crash im Bund-Future war tatsächlich beachtlich. Er radierte die bisherige Jahresperformance am Rentenmarkt praktisch aus.

Fragen zum EZB-Anleihekaufprogramm

Aber es spricht auch Einiges dafür, dass einfach nur die Volatilität am Rentenmarkt dramatisch gestiegen ist. Kommentatoren sprechen von einer Verzehnfachung des Renditeniveaus. Da sich die Renditen aber nicht von sechs auf 60 Prozent erhöht haben, sondern von 0,05 auf 0,5 Prozent, würde die logarithmische Sichtweise helfen, die Kirche im Dorf zu lassen.

Dennoch: Es gibt eine höhere Volatilität am Anleihemarkt und die wird durch die Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) mit verursacht. Für Kaufen-und-Halten-Anleger, die Marktstabilität und Marktkontinuität bringen, scheint die Eurozone als Anlageregion mehr oder weniger verbrannt.

Volatilität könnte weiter steigen

Durch das QE-Programm ist die EZB selbst ein beherrschender Spieler am Markt geworden und das Bankensystem ist der Broker für dieses Programm. Somit ist das Handelsmotiv die treibende Kraft am Markt. Anleiheinvestments bringen durchaus noch Rendite, nämlich dann, wenn die Anleihen wie Aktien gehandelt werden. Die Spekulation richtet sich auf die Kurs- beziehungsweise Renditeveränderung.

Das absolute Renditeniveau und die Frage, ob daraus Verpflichtungen erfüllt werden können, treten in den Hintergrund. Insofern verwundert es nicht, wenn die Big Five der weltweit agierenden US-Banken (Goldman Sachs, Citigroup, Bank of America, JP Morgan und Wells Fargo) ihren Reingewinn des ersten Quartals in Höhe von zusammen 22 Milliarden Dollar maßgeblich im Anleihehandel verdient haben. Und die Volatilität könnte noch weiter steigen.

Ökonomen zu den Staatsanleihenkäufen der EZB

Am 21. April twitterte der US-Starinvestor Bill Gross, Wetten auf fallende Kurse zehnjähriger Bunds seien der Short des Lebens. Dass „Bond-Gurus“ wie Gross öffentlich über das Eingehen von Short-Positionen sinnieren – fraglich bleibt, ob sie derartige Strategien auch selbst umsetzen oder lieber nach ihren medienwirksamen Statements heimlich auf die Gegenseite gehen – könnte bei den Lenkern des Smart Money, die gerne jede Kurve am Markt ausfahren, den Spieltrieb geweckt haben.

Die EZB wird es gewiss gewurmt haben, dass ausgerechnet seit Beginn des QE-Programms die Renditen gestiegen sind. Aber kein Leerverkauf ohne eine Wertpapierleihe! Worüber trotz der großen Relevanz noch nicht viel berichtet wurde: Die EZB selbst stellt dem Markt die zuvor aufgekauften Anleihen per Wertpapierleihe zur Verfügung. Damit soll ein Austrocknen des Marktes verhindert werden.

Mario Draghi dürfte sich also die Hände reiben, wenn „Shorties“ großvolumig Anleihen am Markt leer verkaufen. Denn so kann er jederzeit einen Short-Squeeze auslösen. Die kurzfristig angekündigte Volumenausweitung des QE-Programms in den kommenden Wochen könnte genau darauf abgezielt haben. Offiziell mit saisonalen Liquiditätsschwankungen am Markt während der Sommermonate begründet, drängt sich der Verdacht auf, dass der eigentliche Hintergrund der Aktion war, eine kraftvolle Gegenreaktion auf den jüngsten Renditeanstieg auszulösen.

Die EZB will so eindrucksvoll beweisen, dass nur sie allein die Zügel führt und entscheidet, wohin Renditen, Euro und Aktien laufen. Die EZB macht deutlich, dass sie sich, trotz der Fragwürdigkeit ihres Programms, noch nicht am Ziel fühlt und ein Stopp der Anleihekäufe kaum in Frage kommt. Das ist noch kein fester Boden, auf dem eine Zinswende gedeiht.

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