Vor allem die Bewegung am Rentenmarkt Anfang Mai ist bemerkenswert. Innerhalb von fünf Handelstagen stieg die Rendite zehnjähriger deutscher Staatsanleihen um knapp 40 Basispunkte – der zweitstärkste Anstieg innerhalb einer Woche seit Beginn der Eurozone. Auch die Renditen nahezu aller anderen EWU-Anleihen stiegen auf neue Jahreshöchststände und somit auf Niveaus von vor der Ankündigung des EZB-Ankaufprogramms.
Der Abwärtstrend bei den Anleihekursen setzte nach der Veröffentlichung höherer Inflationszahlen aus Deutschland ein. Diese wurden mit einer möglicherweise schnelleren konjunkturellen Erholung in Verbindung gebracht. Doch es sind nicht nur fundamentale Ursachen, die zum Ausverkauf führten.
Ein Beleg hierfür: Die Sorgen um Griechenland haben zwar wieder zugenommen. Sie sorgen aber nicht - wie sonst üblich - für Zuflüsse in sichere Häfen wie zum Beispiel deutsche Bundesanleihen. Vor dem Crash neigten Bundesanleihen immer zu Kursgewinnen, wenn die Sorgen um das krisengeplagte Land zunahmen.
Ökonomen zu den Staatsanleihenkäufen der EZB
"Die EZB sollte keine Staatspapiere kaufen, denn dann würde sie die Zinsen der Wackelstaaten weiter drücken und sie anregen, sich noch mehr zu verschulden. Der Kauf wird von Artikel 123 des EU-Vertrages zu Recht verboten, weil er einer verbotenen Monetisierung der Staatsschulden gleichkommt. Man sollte auch bedenken, dass selbst die US-Notenbank Fed keine Staatspapiere von Gliedstaaten kauft. Kalifornien, Illinois oder Minnesota stehen am Rande der Pleite, und doch hilft die Fed ihnen nicht mit Krediten. Es ist schlichtweg unakzeptabel, dass die EZB meilenweit über die Fed hinausgeht, obwohl Europa den gemeinsamen Bundesstaat noch gar nicht gegründet hat. Die EZB-Politik treibt die Staaten Europas in Gläubiger-Schuldner-Verhältnisse und wird längerfristig nichts als Streit und Spannungen erzeugen."
"Die EZB verfehlt ihr Mandat der Preisstabilität und ist dabei, ihr wichtigstes Gut zu verlieren: ihre Glaubwürdigkeit. In letzter Instanz ist der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB ein notwendiges Übel, um ihrem Mandat gerecht zu werden. Je zögerlicher die EZB handelt, desto weniger effektiv ihre Geldpolitik und desto höher die Risiken."
"Ich sehe derzeit keine Deflationsgefahren, die Staatsanleihekäufe rechtfertigen könnten. Ohne die notwendigen Anpassungsprozesse in den Peripherieländern und dem ökonomisch vorteilhaften Ölpreisrückgang läge die aktuelle Inflationsrate in etwa um einen Prozentpunkt höher, als es derzeit der Fall ist. Die Jagd nach Rendite und die Risikobereitschaft an den Finanzmärkten würden weiter erhöht, der Anreiz, fürs Alter langfristig zu sparen, würde weiter vermindert."
"Seit Anfang 2009 ist der Zuwachs der Geldmenge M3 mit durchschnittlich 1,7 Prozent weit hinter dem Referenzwert von 4,5 Prozent zurückgeblieben, den einst EZB und Bundesbank für sinnvoll hielten. Entsprechend schwächelt die Konjunktur, während der Preisauftrieb auch ohne Öl gefährlich nah an die Deflation herankommt. In dieser Lage muss die EZB mit einer Offenmarktpolitik gegenhalten, also mit dem Kauf von Anleihen auf dem offenen Markt, der auch Staatsanleihen umfassen sollte."
"Es ist nicht notwendig, nun auch noch mit breit angelegten Staatsanleihekäufen auf den Ölpreisverfall zu reagieren. Die EZB sollte nicht nur auf Deflationsrisiken schauen, sondern auch berücksichtigen, dass sie als Käufer von Staatsanleihen den Regierungen zusätzlichen Anreiz gäbe, notwendige Strukturreformen aufzuschieben."
Die Ursachen für den jüngsten Crash am Rentenmarkt sind also wohl eher markttechnischer Natur. Erwartungen an ein breit angelegtes Staatsanleiheankaufprogramm sowie deren tatsächliche Ankündigung im Januar hatten die Kurse kräftig steigen lassen: Diese Preisanpassung nach oben erfolgte jedoch offenbar zu schnell und zu heftig. Zu rasch wurden psychologisch und markttechnisch wichtige Levels erreicht, bei denen eine kritische Masse von Investoren nicht mehr an einen weiteren Preisanstieg geglaubt hat.
Insbesondere das Erreichen von Niveaus jenseits der 160er-Marke beim Bund-Future dürfte, wie erst im Nachhinein klar wurde, das wohl wichtigste psychologische Signal in diesem Zusammenhang dargestellt haben. Viele Anleger hatten dieses Niveau beim Bund-Future vermutlich als Zielmarke anvisiert und beim Erreichen Gewinn mitgenommen. Als die Preise dann anfingen zu fallen, setzte die übliche Abwärtsspirale ein. Wichtige charttechnische Unterstützungsmarken wurden reihenweise unterschritten, was zu einem weiter steigenden Verkaufsdruck führte – niemand wollte zu früh auf der Käuferseite stehen.
Zudem wurde der Markt bildlich gesprochen auf dem falschen Fuß erwischt. Durch die das EZB Kaufprogramm rechneten die meisten Investoren mit weiter steigenden Preisen. Zudem hatten viele Anleger Positionen mit umfangreichen unrealisierten Gewinnen. Sie versuchten dann so viele ihrer Buchgewinne wie möglich zu retten – mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Anleihekurse.
Hinzu kommt, dass die Notenbanken der Euro Länder die Korrektur bislang als eine „gesunde Reaktion“ des Marktes erachten und sich dem Preisverfall dementsprechend (noch) nicht entgegen stellen. Im Gegenteil: die Notenbanken profitieren von den Umständen, die mit dem Preisrückgang einhergehen: einerseits vergrößert sich das ankaufbare Universum an Euro-Staatsanleihen. Andererseits können die Notenbanken Staatsanleihen nun zu geringeren Kursen ankaufen.
Insgesamt jedoch spricht vieles dafür, dass die jüngste Abwärtsbewegung bei den Anleihekursen das bleibt, was sie bis hierhin war: eine Korrektur in einem langfristigen Aufwärtstrend. Zum einen macht insbesondere der Bund-Future als einer der Hauptauslöser der Bewegung nach der Korrektur einen stark überverkauften Eindruck. Zweitens dürften die fundamentalen Gründe für die langfristige grundlegende Aufwärtsbewegung schon bald wieder mehr zum Tragen kommen.
Positiver Preiseffekt durch Liquiditätsengpass
Die kontinuierliche Nachfrage der Euro-Notenbanken im Rahmen ihrer Ankaufprogramme wird schon bald wieder eine stützende Komponente darstellen. Allein die schiere Größe des Staatsanleiheankaufprogramms spricht dafür. Vergleicht man das Programm der EZB mit den Ankaufprogrammen der Bank of Japan sowie der US-Notenbank, fällt auf, dass das Ankaufvolumen des EZB-Programms im Vergleich zur Neuverschuldung deutlich größer ist.
Deshalb kann sich auch die Vermutung einiger Experten, dass ähnlich wie in den USA mit dem Beginn des Ankaufprogramms die Zinswende einsetzt, als falsch erweisen. Des Weiteren lässt ein bevorstehender Liquiditätsengpass im Sommer einen stärkeren positiven Preiseffekt der Notenbanken-Nachfrage vermuten. Auch das spricht für ein baldiges Ende der Korrektur.
Allerdings besteht die Möglichkeit, dass die Renditeniveaus von kurz vor der Korrektur nicht noch einmal erreicht werden. Verantwortlich hierfür könnte die verbesserte konjunkturelle Lage in der Eurozone sein. Da die Inflationserwartungen wieder vorsichtig im Steigen begriffen sind und da auch der steigende Ölpreis auf einen baldigen Anstieg der realisierten Inflationsrate hindeutet, ist ein Rückgang der Rendite zehnjähriger Bundesanleihen unter die Marke von null Prozent keine ausgemachte Sache mehr.
Zudem dürften viele Anleger nach der erlebten Korrektur gewarnt sein. Jene, die die Korrektur überrascht hat, könnten nach der vermutlich bevorstehenden Gegenbewegung schneller bereit sein, sich von ihren Positionen zu trennen oder sogar dazu neigen, auf einen neuen etwaigen Short-Zug aufzuspringen.
Ein sehr ähnliches Bild ergibt sich bei den Aktienmärkten. Hier zeigten einfache technische Indikatoren, wie zum Beispiel der Abstand des Dax zu seiner 200-Tage-Durchschnittslinie, schon seit rund sechs Wochen eine deutliche Überhitzung an. Der deutsche Aktienmarkt war durch das Kaufprogramm der EZB sehr teuer geworden. Und man war auf den Weg hin zu einer irrationalen Übertreibung. Der Gewinnanstieg der Unternehmen konnte mit dem Anstieg des Dax (Mitte April waren es zwischenzeitlich +26 Prozent) nicht annähernd mithalten.
Die fundamentalen Perspektiven für die Unternehmen haben sich in den vergangenen Wochen jedoch nicht geändert. Aus europäischer Sicht sprechen unter anderem der schwache Euro, niedrigere Rohstoffpreise und die gute Konsumnachfrage für einen weiteren Anstieg der Unternehmensgewinne. Die in Europa jüngst begonnene Berichtssaison bestätigt diese Tendenz. Auch das Niedrigzinsumfeld wird Bestand haben und dürfte den Aktienmärkten weitere Mittelzuflüsse bescheren. Entsprechend dürften die europäischen Aktienmärkte wieder steigen. Jedoch: Wenn man wieder die Höchststände erreicht hat, wird sich zunehmend Nervosität bemerkbar machen.
Insgesamt kam die Korrektur zur rechten Zeit um die Marktteilnehmer daran zu erinnern, dass der Finanzmarkt sich dauerhaft nicht völlig von der fundamentalen Entwicklungen abkoppeln kann. Die generellen Treiber der Märkte sind noch in Kraft, daher dürften die bisherigen Trends wieder aufgenommen werden. Jedoch wird man nun vorsichtiger agieren und das ist auch gut so.