Durch das QE-Programm ist die EZB selbst ein beherrschender Spieler am Markt geworden und das Bankensystem ist der Broker für dieses Programm. Somit ist das Handelsmotiv die treibende Kraft am Markt. Anleiheinvestments bringen durchaus noch Rendite, nämlich dann, wenn die Anleihen wie Aktien gehandelt werden. Die Spekulation richtet sich auf die Kurs- beziehungsweise Renditeveränderung.
Das absolute Renditeniveau und die Frage, ob daraus Verpflichtungen erfüllt werden können, treten in den Hintergrund. Insofern verwundert es nicht, wenn die Big Five der weltweit agierenden US-Banken (Goldman Sachs, Citigroup, Bank of America, JP Morgan und Wells Fargo) ihren Reingewinn des ersten Quartals in Höhe von zusammen 22 Milliarden Dollar maßgeblich im Anleihehandel verdient haben. Und die Volatilität könnte noch weiter steigen.
Ökonomen zu den Staatsanleihenkäufen der EZB
"Die EZB sollte keine Staatspapiere kaufen, denn dann würde sie die Zinsen der Wackelstaaten weiter drücken und sie anregen, sich noch mehr zu verschulden. Der Kauf wird von Artikel 123 des EU-Vertrages zu Recht verboten, weil er einer verbotenen Monetisierung der Staatsschulden gleichkommt. Man sollte auch bedenken, dass selbst die US-Notenbank Fed keine Staatspapiere von Gliedstaaten kauft. Kalifornien, Illinois oder Minnesota stehen am Rande der Pleite, und doch hilft die Fed ihnen nicht mit Krediten. Es ist schlichtweg unakzeptabel, dass die EZB meilenweit über die Fed hinausgeht, obwohl Europa den gemeinsamen Bundesstaat noch gar nicht gegründet hat. Die EZB-Politik treibt die Staaten Europas in Gläubiger-Schuldner-Verhältnisse und wird längerfristig nichts als Streit und Spannungen erzeugen."
"Die EZB verfehlt ihr Mandat der Preisstabilität und ist dabei, ihr wichtigstes Gut zu verlieren: ihre Glaubwürdigkeit. In letzter Instanz ist der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB ein notwendiges Übel, um ihrem Mandat gerecht zu werden. Je zögerlicher die EZB handelt, desto weniger effektiv ihre Geldpolitik und desto höher die Risiken."
"Ich sehe derzeit keine Deflationsgefahren, die Staatsanleihekäufe rechtfertigen könnten. Ohne die notwendigen Anpassungsprozesse in den Peripherieländern und dem ökonomisch vorteilhaften Ölpreisrückgang läge die aktuelle Inflationsrate in etwa um einen Prozentpunkt höher, als es derzeit der Fall ist. Die Jagd nach Rendite und die Risikobereitschaft an den Finanzmärkten würden weiter erhöht, der Anreiz, fürs Alter langfristig zu sparen, würde weiter vermindert."
"Seit Anfang 2009 ist der Zuwachs der Geldmenge M3 mit durchschnittlich 1,7 Prozent weit hinter dem Referenzwert von 4,5 Prozent zurückgeblieben, den einst EZB und Bundesbank für sinnvoll hielten. Entsprechend schwächelt die Konjunktur, während der Preisauftrieb auch ohne Öl gefährlich nah an die Deflation herankommt. In dieser Lage muss die EZB mit einer Offenmarktpolitik gegenhalten, also mit dem Kauf von Anleihen auf dem offenen Markt, der auch Staatsanleihen umfassen sollte."
"Es ist nicht notwendig, nun auch noch mit breit angelegten Staatsanleihekäufen auf den Ölpreisverfall zu reagieren. Die EZB sollte nicht nur auf Deflationsrisiken schauen, sondern auch berücksichtigen, dass sie als Käufer von Staatsanleihen den Regierungen zusätzlichen Anreiz gäbe, notwendige Strukturreformen aufzuschieben."
Am 21. April twitterte der US-Starinvestor Bill Gross, Wetten auf fallende Kurse zehnjähriger Bunds seien der Short des Lebens. Dass „Bond-Gurus“ wie Gross öffentlich über das Eingehen von Short-Positionen sinnieren – fraglich bleibt, ob sie derartige Strategien auch selbst umsetzen oder lieber nach ihren medienwirksamen Statements heimlich auf die Gegenseite gehen – könnte bei den Lenkern des Smart Money, die gerne jede Kurve am Markt ausfahren, den Spieltrieb geweckt haben.
Die EZB wird es gewiss gewurmt haben, dass ausgerechnet seit Beginn des QE-Programms die Renditen gestiegen sind. Aber kein Leerverkauf ohne eine Wertpapierleihe! Worüber trotz der großen Relevanz noch nicht viel berichtet wurde: Die EZB selbst stellt dem Markt die zuvor aufgekauften Anleihen per Wertpapierleihe zur Verfügung. Damit soll ein Austrocknen des Marktes verhindert werden.
Mario Draghi dürfte sich also die Hände reiben, wenn „Shorties“ großvolumig Anleihen am Markt leer verkaufen. Denn so kann er jederzeit einen Short-Squeeze auslösen. Die kurzfristig angekündigte Volumenausweitung des QE-Programms in den kommenden Wochen könnte genau darauf abgezielt haben. Offiziell mit saisonalen Liquiditätsschwankungen am Markt während der Sommermonate begründet, drängt sich der Verdacht auf, dass der eigentliche Hintergrund der Aktion war, eine kraftvolle Gegenreaktion auf den jüngsten Renditeanstieg auszulösen.
Die EZB will so eindrucksvoll beweisen, dass nur sie allein die Zügel führt und entscheidet, wohin Renditen, Euro und Aktien laufen. Die EZB macht deutlich, dass sie sich, trotz der Fragwürdigkeit ihres Programms, noch nicht am Ziel fühlt und ein Stopp der Anleihekäufe kaum in Frage kommt. Das ist noch kein fester Boden, auf dem eine Zinswende gedeiht.