Anleihen Fondsmanager gruseln sich

„Wer sich die Entwicklungen an den Anleihemärkten ansieht, muss an Halloween keine Gruselfilme anschauen“, meint Anthony Doyle, Stratege beim Fondshaus M&G Investment. Was ihm und anderen Experten so viel Angst macht.

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Auch die Anleihemärkte sind unheimlich. Quelle: Imago

Frankfurt Die Finanzwelt kann ein unheimlicher Ort sein – und das nicht nur an Halloween. Aktuell ist es vor allem die Welt der Anleihen, die manchem Experten einen Schauer über den Rücken jagt. Negative Renditen, die Jagd nach immer längeren Laufzeiten, die niedrigen Erwartungen an die Inflation und dazu Notenbanken, die die Märkte mit Geld fluten. Die Anleihemärkte ähnelten momentan einer „Freakshow“ meint Anthony Dolye, Stratege beim Fondshaus M&G Investment.

Geradezu furchterregend ist dabei die Entwicklung der Staatsanleihen. Weltweit rentieren Staatsanleihen der Industrienationen im Umfang von rund zehn Billionen Dollar im Minus. Das entspricht mehr als einem Drittel aller ausstehenden Staatspapiere. Die Kurse vieler Bonds sind so sehr gestiegen, dass die Renditen für Neueinsteiger immer deutlicher ins Minus rutschten. Wer die Papiere jetzt kauft und bis zur Fälligkeit hält, bekommt also inklusive Zinszahlungen weniger heraus, als er angelegt hat.

Nach der Methode „Buy and hold“ verfahren allerdings auch bei Anleihen die wenigsten Fondsmanager. Und ihnen drohen schmerzhafte Kursverluste, wenn die Zinsen wieder steigen. Die Kursverluste fallen dabei umso größer aus, je länger die Laufzeit beziehungsweise die Duration der Anleihen ist, eben weil Anleger ihr Kapital mit längerer Laufzeit länger binden. Ein Beispiel: Wenn die Rendite der zweijährigen Bundesanleihe um ein Prozent steigt, fällt der Kurs um weniger als zwei Prozent. Bei einer 30-jährigen Bundesanleihe bedeutet ein Renditeanstieg um einen Prozentpunkt gleich einen Kursverlust von fast 23 Prozent.

Das Problem: Das Niedrigzinsumfeld treibt Anleger immer stärker in Anleihen mit langer Laufzeit. Zuletzt hat Österreich sogar eine 70-jährige Anleihe begeben, bei der ein Renditeanstieg um einen Prozentpunkt einem Kursverlust von fast 43 Prozent entspräche. Doyles Schlussfolgerung: „Wenn Inflation und Leitzinsen wieder ansteigen, könnten die Anleger hohe Verluste erleiden.“ Da der Ölpreis wieder deutlich gestiegen sei und Handelsbarrieren in Mode kämen, sei ein inflationärer Schock möglicherweise näher, als viele derzeit glaubten.


Panik, Supernova, Mega-Blase

M&G-Experte Doyle ist beileibe nicht der erste, der die Entwicklung an den Anleihemärkten gruselig findet. Der bekannte amerikanische Fondsmanager Bill Gross warnte zuletzt im Sommer vor einer Kursblase an den Rentenmärkten: Sie sei „eine Supernova, die eines Tages explodieren wird“. Ähnlich sieht das Robert Halver, der in Deutschland prominente Marktstratege der Baader Bank: „Kein Investor unter 55 Jahren kennt mehr steigende Anleiherenditen“, sagte er im Sommer. Eine Richtungsänderung aber hätte fatale Auswirkungen. Bei einer Umkehr drohe an den Bondmärkten eine Verkaufspanik. Vor einem Monat schlug Jeffrey Gundlach, Chef des US-Geldverwalters Doubleline Capital und Herr über mehr als 100 Milliarden Dollar Anlagekapital mindestens genauso harte Töne an: „Die Zinsen waren seit 5.000 Jahren noch nie so niedrig wie heute.“ Dabei erlebe der Rentenmarkt „die größte Blase, die es je gegeben hat“.

Die Frage ist indes, ob die Blase schnell platzen wird oder ob nicht einfach langsam Luft entweicht. Die meisten Strategen rechnen mit letzterem. Dennoch: Eben wegen der Verschiebung auf die langen Laufzeiten dürften Investoren selbst bei moderaten Renditeanstiegen in ihren Portfolios wegen der Kursverluste rot sehen. Einen kleinen Vorgeschmack darauf gab es bereits in den vergangenen fünf Handelstagen, in denen zum Beispiel die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe von null auf bis zu 0,22 Prozent stieg. Schon diesen Anstieg innerhalb so kurzer Zeit bezeichnen Händler als „Ausverkauf“ an den Rentenmärkten.

Besonders furchteinflößend finden viele Investoren den Einfluss der Notenbanken. Die umfangreichen Anleihekaufprogramme der Europäischen Zentralbank (EZB), der Bank of Japan und der Bank of England haben viel zu den niedrigen Renditen beigetragen. Der Druck auf das Finanzsystem steige, doch es sei völlig unklar, wie die Verzerrungen wieder abgebaut werden könnten, meint dazu Doyle. Das Problem dabei sei, dass negative Zinsen, gekoppelt mit wenig Wachstum und strenger Regulierung auch die Geschäftsmodelle vieler Unternehmen und Banken erschüttern.

Und nicht nur in den Industrienationen, sondern auch in den Schwellenländern braut sich Übles zusammen. Allen voran macht dabei China Doyle nervös. Das übermäßige Kreditwachstum könnte das gesamte Bankensystem des Landes unter starken Druck setzen, zumal sich das Wirtschaftswachstum Chinas weiter abschwächt. Ein Platzen dieser Blase würde auch westliche Anleger nicht kalt lassen, fürchtet Doyle: „Denn der gefährlichste Satz der Finanzwelt lautet: Dieses Mal ist alles anders.“

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