„Der Geist hier“, sagt Davide Usai, „ist an vielen Stellen noch der alte, auch wenn die Menschen neu sind.“ Das Telefon klingelt, er muss abnehmen, es ist wichtig. Der Bürgermeister. Man hat ein gutes Verhältnis, gegenseitiges Verständnis. Es geht mal wieder um Kultur, eine Ausstellung. Am Ende aber kommt doch wieder die gleiche Frage des Bürgermeisters an Usai: „Können Sie nicht etwas dazu geben?“
In diesen Momenten stockt dem Mann, der in seiner Ruhe durch wenig zu erschüttern wirkt, der Atem. „Wir haben allein seit 2009 als Stiftung sechs Milliarden verloren.“ Statt wie früher mehr als 50 Prozent hält man heute noch 1,5 Prozent der Anteile an der Bank. Das jährliche Budget ist von im Schnitt 150 Millionen auf 2,5 Millionen Euro zusammengefallen. Das Jahr 2016 ist das erste nach drei Jahren, in dem die Stiftung überhaupt wieder Geld ausgeben kann.
Das Modell der Symbiose aus Bank, Politik und Gesellschaft wankt
Und dennoch tun viele Sieneser so, als sei nichts gewesen. „Viele in der Kommune und im gesellschaftlichen Leben hier wollen einfach nicht verstehen, dass das Geld weg ist – und nie wieder kommt“, sagt Usai. Jeder hat mitbekommen, dass es der Bank nicht gut geht; aber niemand mag sich eingestehen, dass man hier ein Jahrzehnt lang über dem eigenen Niveau gelebt hat. Einer Stadt, die von 544 Jahren 539 Jahre lang sehr vieles richtig gemacht hat, ihren Selbstbetrug beizubringen. Wie soll das gehen?
Wissenswertes über Italien
Das Klima und die mediterrane Küche sind wohl ausschlaggebend für die hohe Lebenserwartung der Italiener. In Europa führen sie die Liste aller OECD-Staaten an, weltweit belegen sie den zweiten Platz. Die Lebenserwartung beträgt bei Frauen circa 83 Jahre, bei Männern 78 Jahre. Ungefähr 19 Prozent der Italiener sind älter als 65 Jahre.
Dennoch ist auch im Stiefelstaat der Trend zum Übergewicht festzustellen. Italien hat der adipösen Gesellschaft den Kampf angesagt und so gibt es in Italien einige Krankenhäuser, die sich ausschließlich um fettleibige Patienten kümmern.
Der Süßwarenfabrikant Michele Ferrero ist der reichste Mann Italiens. Sein Vermögen wird auf 17 Milliarden Dollar geschätzt. Leonardo Del Vecchio, Gründer von Luxottica, folgt auf Rang zwei.
Die italienische Landwirtschaft spielt insgesamt keine große Rolle. In zwei Bereichen sind die Italiener dennoch Weltspitze: So produzierte das Land 2010 rund 44,8 Millionen Hektoliter Wein. Nur Frankreich stellt mehr Wein her. Außerdem ist Italien, nach Spanien, der zweitgrößte Erzeuger von Olivenöl.
Italiens Handelspartner befinden sich in direkter Nähe zu dem Land. Deutschland ist der wichtigste Partner, gefolgt von Frankreich. Italiens Produkte erfreuen sich besonders in Großbritannien, Spanien und den USA großer Beliebtheit. Importiert wird aus den Niederlanden, China, Libyen und Russland.
Eindeutig Brillen herstellen! Denn Luxottica, mit Sitz in Agordo (Provinz Belluno) ist der weltgrößte Brillenhersteller. Seit 1995 kauft das italienische Unternehmen US-Marken wie Ray-Ban und Oakley auf.
Mailand, Turin und Genua sind die größten Wirtschaftszentren Italiens. Sie sind Teil des europäischen Wirtschaftsraumes, der durch neun Länder führt und "Blaue Banane" heißt. Zentrale Einrichtungen der Europäischen Union und 20 Weltstädte befinden sich in der Zone. Hier sind die Bevölkerung, die Wirtschaft, das Kapital und die Infrastruktur sehr gut verwoben und bilden somit eine wirtschaftliche Achse Europas. Vergleichbar ist dieser Wirtschaftsraum mit BosWash in den USA.
Kuriose Gesetze sind in Italien keine Seltenheit. So müssen Hunde dreimal täglich Gassi gehen. Die Polizei darf sich bei den Nachbarn auch erkundigen, ob dies eingehalten wird. Hohe Geldstrafen sind ausgesetzt, wer sich nicht an die Gesetze halten will. Wer sich in der Lombardei abends auf einer Bank ausruhen will, muss sich vergewissern, dass nicht mehr als drei Personen Platz nehmen. Denn in einem öffentlichen Park ist dies streng reglementiert.
Italien ist das Land mit den meisten Welterbestätten. Italien ist in Besitz von 100.000 Denkmälern. Darunter befinden sich nicht nur Kirchen, Galerien und Schlösser. Auch archäologische Funde, Brunnen und Villen fallen unter den Denkmalschutz.
Womöglich mit Hilfe einer Realität, die nicht mehr zu leugnen ist. Siena mag das schillerndste, größte, tragischste Beispiel aus der Krise des italienischen Staatskapitalismus sein - es ist nicht das einzige. Und überall in Italien wankt dieses Modell einer Symbiose aus Banken, Politik und Gesellschaft in diesen Wochen. Weil die Wirtschaft des Landes seit Jahren stagniert, steigt die Zahl der faulen Unternehmenskredite in den Bankenbüchern. Sollen sie diese abschreiben, geht das fast immer auf Kosten des gesellschaftlichen Lebens vor Ort.
Stiftung plant Rückzug aus der Banca
Die Konstruktion aus Bank, Bevölkerung und Stiftung ist in Siena nämlich keine Ausnahme. Landesweit haben sich die Italiener mit 31 Milliarden Euro über nachrangige Anleihen an ihren Banken beteiligt. 30 Prozent der Anteile an Italiens Banken werden laut einer Regierungseinschätzung von Stiftungen gehalten, die damit mehr oder weniger das Gemeinwohl fördern. Und wie in Siena wankt dieses System überall, sobald die jeweilige Bank kriselt. 20 Milliarden Euro sind so seit 2008 an Stiftungsvermögen in Italien verpufft.
In Siena versuchen sie es jetzt deswegen mit einem radikalen Schnitt: dem Komplettrückzug aus der Bank. „Warum sollte ich interessiert sein, eine Bank zu kontrollieren?“, fragt Usai. Und der Gesichtsausdruck lässt keinen Zweifel daran, dass dies eine rhetorische Frage ist. „Am besten wäre es, die Bank fände jemanden, der einen Mehrheitsanteil kauft.“ Freilich ist das keine ganz einfache Sache. Zum einen: Wer außer dem staatlichen Rettungsfonds Atlante bindet sich eine solche Bank ans Bein? Und: Selbst wenn sich ein Käufer findet, was passiert mit der Stadt? 2000 Menschen in Siena arbeiten für die Bank. Der Verkauf ist wie die dritte Stufe einer Katastrophe: Erst versiegte das Geld der Stiftung, dann verlieren die Anleihen der Bürger ihren Wert und schließlich 2000 gut bezahlte Bankmitarbeiter einer Mittelstadt ihren Arbeitsplatz. Nun diskutiert man, ob der private Rettungsfond Atlante einen Teil der faulen Kredite kauft.