Abby, Meryl, meine Herren: 2017 war ein perfektes Jahr. Geht es 2018 so weiter?
Abby Joseph Cohen: Ja und nein. Ja, weil die Wirtschaftsdaten gut sind, die Zeichen stehen überall auf nachhaltiges Wachstum. Wenn aus dem Ausland rückgeführtes Kapital für Kapitalinvestitionen und andere langfristige Investments eingesetzt wird, könnte uns das für die Zukunft viel nützen. Nein, weil die Steuersenkung zu einem Zeitpunkt kommt, an dem die US-Wirtschaft keine Stimulierung braucht. Und langfristig wird das Haushaltsdefizit weiter nach oben gehen.
Jeff Gundlach: Im Grunde haben wir den Aktienmarkt mit Schulden nach oben getrieben. In den Bewertungen steckt eine Menge Optimismus. Es sieht so aus, als trete der S&P 500 in eine Übertreibungsphase ein.
Mario Gabelli: Die Steuersenkung hilft – psychologisch und wirtschaftlich.
Gundlach: Ja, aber Ende 2018 könnte sich die Geschichte drehen, in Richtung Defizitängste. Die Steuereinnahmen in den USA werden geschätzt 280 Milliarden Dollar niedriger ausfallen. Gleichzeitig steigen die Militärausgaben, und es könnte noch ein Infrastrukturprogramm kommen. Das kann das Defizit auf 1,2 Billionen Dollar hochjagen. Gleichzeitig wirft die Fed Anleihen im Volumen von 600 Milliarden Dollar auf den Markt. Und 2019 werden dazu noch eine Menge Unternehmensanleihen fällig. Das könnte für den Anleihemarkt problematisch werden, es drohen Kursverluste.
Best of Wall Street: Die Experten
Jeff Gundlach wird gefeiert als Nachfolger von Bill Gross als „Bondkönig“. 2009 gründete er mit Partnern Double- Line Capital in Los Angeles. Ihm vertrauen Anleger inzwischen rund 110 Milliarden Dollar an. Sein Privatvermögen wird vom US-Magazin „Forbe “ auf 1,9 Milliarden Dollar taxiert.
Scott Black gründete 1980 Delphi Management in Boston. Auf das Gespür des Value-Investors vertraut unter anderem New Yorks Exbürgermeister und Börsendienst-Gründer Michael Bloomberg. Black zählt zu den bekanntesten Sammlern impressionistischer und früher moderner Kunst.
Abby Joseph Cohen ist leitende Anlagestrategin bei der Investmentbank Goldman Sachs in New York. Sie wurde weltweit berühmt durch ihre Vorhersage des großen Bullenmarktes in den Neunzigerjahren.
Mario Gabelli ist Chef und Großaktionär der Investmentfirma Gamco Investors, die inzwischen 42 Milliarden Dollar Anlegergeld verwaltet. Mit geschätzt 1,7 Milliarden Dollar Privatvermögen zählt er zu den 500 reichsten US-Amerikanern.
Meryl Witmer ist mitverantwortlich für die Anlagestrategie der New Yorker Investmentfirma Eagle Capital Partners, die 25 Milliarden Dollar anlegt. 2013 berief sie Warren Buffett in das Direktorium von Berkshire Hathaway.
Oscar Schafer überwacht den New Yorker Hedgefonds Rivulet Capital, der über eine Milliarde Dollar anlegt. Der Musikliebhaber, geschätztes Privatvermögen 500 Millionen Dollar, ist auch Chairman der New Yorker Philharmoniker.
Henry Ellenbogen steuert den 20 Milliarden Dollar schweren New Horizons Fund der US-Fondsgesellschaft T. Rowe Price. Er ist heißer Anwärter auf den Titel „Fondsmanager des Jahres 2017“ des Analysehauses Morningstar.
Bill Priest leitet den Vermögensverwalter Epoch Investment Partners. Von New York aus legt er für Kunden aus der ganzen Welt über 42 Milliarden Dollar an.
Paul Wick bestimmt aus dem Silicon Valley heraus die Anlagestrategie des Columbia Seligman Communications & Information Fund. In dem Fonds des Experten für Chipaktien haben Anleger über sechs Milliarden Dollar investiert.
Bill Priest: Ohne Lohninflation werden die Renditen nicht stark anziehen und die Kurse nicht stark fallen. Der Dollar ist nach wie vor Leitwährung, höhere Defizite können wir aktuell verkraften. Das größte Thema ist die wachsende Bedeutung der Technologie. Technologie ist das neue Makro. Wenn Arbeitskräfte durch Technologie ersetzt werden, steigen die Margen. Wenn Gebäude und Anlagen durch Technologie ersetzt werden, steigt der Umsatz je Dollar Anlagevermögen. Werden weniger Sachanlagen benötigt, muss weniger Eigenkapital vorgehalten werden. Ausschüttungen an die Aktionäre können dadurch steigen. Wer kein kapitalschonendes Geschäftsmodell verfolgt, verliert an Boden. Geschäftsmodelle, die auf Bits aufbauen, werden sich gegenüber denen, die nur auf Atomen aufbauen, durchsetzen.
Henry Ellenbogen: Es hat Gründe, warum die sieben Top-Aktien der Welt – neben der „FAANG“-Gruppe aus Facebook, Apple, Amazon, Netflix und der Google-Mutter Alphabet gehören dazu noch Alibaba und Tencent aus China – Techplattformen sind. Diese globalen Plattformen erzeugen massiven Deflationsdruck. Amazon drückt die Preise von Konsumgütern und für Unternehmenstechnologie. Die sozialen Medien und Google sorgen für globale Informationstransparenz. Der technologische Wandel setzt sich in unterschiedlichsten Branchen durch. Kleine, wendige Unternehmen profitieren von diesen Plattformen. Im Wesentlichen schalten sie den Zwischenhandel aus und wenden sich direkt an die Kunden. Was die Steuerreform angeht, stimme ich Abby zu. Kapital wird in die USA fließen. Aber die zweite Ableitung ist noch wichtiger.
Die zweite Ableitung?
Ellenbogen: Wenn wir die Steuersätze an die international üblichen angleichen, konzentrieren sich Manager nicht mehr auf Steuervermeidung, sondern auf Investitionen und Effizienzsteigerung. Gewiss, Inflation ist ein Risiko, doch man muss den S&P 500 positiv sehen, selbst nach 102 Monaten Hausse.
Gundlach: Die Aussagen über den deflationären Effekt des Techsektors werden durch die Inflationsstatistik bestätigt.
Ellenbogen: Amazon verdient je ausgeliefertes Paket vor Steuern und Zinsen etwa ein bis zwei Dollar und macht Jagd auf Firmen, die pro ausgeliefertes Paket 150 Dollar verdient haben. Diese Mentalität führt dazu, dass Firmen in allen Branchen mehr über Effizienz nachdenken.
Priest: Man will diese Plattformunternehmen besitzen. Sie werden alle Branchen dominieren. Der Deflationseffekt der Technologie ist einer der Gründe, warum die Renditen bisher noch nicht stark gestiegen sind.
Sorgt der Deflationseffekt nicht dafür, dass Technologie stärker hinterfragt wird? Vor allem in Europa gibt es für Techgiganten regulatorischen Gegenwind.
Ellenbogen: Eine Regulierung dieser dominanten Techplattformen ist eines von zwei großen nicht geopolitischen Risiken für den Markt. Möglich wären auch Kursrückgänge, wenn diese Giganten anfingen, sich untereinander Konkurrenz zu machen, oder sich ihr Wachstum verlangsamt. Sollte das passieren, werden die Leute ein Anspringen der Inflation befürchten.