Berenberg-Chefvolkswirt Holger Schmieding „Draghi hat auch den deutschen Mittelstand gerettet“

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"Es gibt keine Liquiditätsschwemme in der Eurozone"

In Deutschland ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den ersten drei Monaten des Jahres um 0,8 Prozent im Vergleich zum Vorquartal gestiegen, in Spanien um 0,4 Prozent. Das ist noch ein Weg, den die Spanier da zurücklegen müssen.

Da hatte der warme Winter in Deutschland aber sehr nachgeholfen. Im zweiten Quartal hat Spanien um 0,5 Prozent zugelegt, während Deutschland als Ausgleich für den Wintereffekt fast gar nicht gewachsen ist. Wir müssen eines immer beachten. Reformen brauchen Zeit. Auch in Deutschland hat sich die Agenda 2010 des Jahres 2003 doch erst ab 2006 ausgezahlt. Erst dann setzte ein kräftiges Wachstum ein. Hätten wir die Agenda bereits Anfang 2006 abschließend beurteilt, hätten wir sagen müssen, was für eine Katastrophe. Denn die ersten Ergebnisse der Agenda 2010 waren wirtschaftliche Probleme, höhere Schulden, heftige Proteste und ein Anstieg der Arbeitslosigkeit auf Rekordniveau in Deutschland. Den Eurokrisenländern jetzt zu sagen, es klappt ja nicht, wäre genauso, als hätte man Anfang 2006 gesagt, die deutsche Erfolgsagenda 2010 sei völliger Unsinn.

Die Europäische Zentralbank hat Anfang Juni die Leitzinsen auf ein historisches Tief gesenkt. Gleichzeitig kündigte sie eine neue Geldspritze für die Banken an und pumpt damit noch mehr billiges Geld in den Markt. Wie sinnvoll und hilfreich ist es, das schwache Wachstum und die niedrige Inflation mit noch mehr Kredit zu bekämpfen?

Die EZB hat im Rahmen der Eurokrise die Liquidität nicht dauerhaft aufgebläht. Als die völlig verschreckten Banken in den Turbulenzen der Krise mehr Vorsichtskasse brauchten, hat die EZB ihnen diese Liquidität geliehen. Aber nahezu die gesamte Zusatzliquidität, die die EZB in der Krise von Juli 2011 bis Mitte 2012 in den Markt gepumpt hat, ist mittlerweile wieder zu ihr zurückgeflossen.

Die Reaktionen zum OMT-Programm

Es gibt also keine Liquiditätsschwemme in der Eurozone?

Nein, derartige Behauptungen sind Unsinn. Während die Tagesschau über jede Liquiditätsspritze der EZB berichtet hat, wurde das anschließende Zurückfließen des Geldes zur EZB leider kaum jemals erwähnt. Seit  Draghis-Worten vom Juli 2012, seit dem Nachlassen der Angst, geht die Zusatzliquidität im Bankensystem kräftig zurück.

Wenn Draghi mit seiner Geldpolitik alles richtig gemacht hat und sich die Eurokrisenländer nach ihrer Meinung auf einem guten Wachstumspfad befinden, warum muss die EZB noch einmal bis zu 700 Milliarden Euro in den Bankensektor pumpen?

Was die EZB jetzt im Juni 2014 angekündigt hat, ist im Wesentlichen, dass die Anfang 2015 auslaufenden Dreijahres-Tender ersetzt werden durch einen Zwei-Jahres-Tender, also durch Liquidität für zwei Jahre. Dabei haben die Banken die Option, diese Tender um bis zu zwei Jahre zu verlängern, wenn sie mehr Kredite an Unternehmen und Haushalte vergeben. Die neuen Maßnahmen ersetzen im Wesentlichen die auslaufenden Dreijahres-Tender. Zum größten Teil ist es also gar nicht frisches Geld. Allerdings halte ich den neuen Mehrjahres-Tender eigentlich nicht für nötig. Ein Jahrestender hätte wohl auch ausgereicht.

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