Es ist Saison: Von den großen Aktiengesellschaften informierte am vergangenen Montag Lkw-Hersteller MAN über seine Bilanz, am Mittwoch stellten sich Metro und Tui auf der Hauptversammlung den Aktionärsfragen zum Konzernabschluss, an diesem Donnerstag informiert die Commerzbank über das abgelaufene Geschäftsjahr, Chipproduzent Infineon lädt seine Aktionäre nach München, in der Schweiz will Lebensmittelriese Nestlé mit seinem Jahresergebnis überzeugen.
Spätestens auf ihrer Hauptversammlung sollten die gedruckten Geschäftsberichte der Konzerne vorliegen. Fondsmanager, Analysten, Beteiligungsgesellschaften sowie kreditgebende Banken lesen sie mit Akribie. Aber die meisten Privatanleger sind entmutigt, wenn sie in den dicken Geschäftsberichten der Unternehmen blättern, in die sie ihr Geld investiert haben. Lesbar und verständlich sind meist noch die Berichte von Vorstand und Aufsichtsrat, die sowohl das vergangene Geschäftsjahr Revue passieren lassen als auch einen Ausblick auf die Geschäftsentwicklung vermitteln wollen. „Der Konzernlagebericht ist vom Tiger zum Bettvorleger geworden“, sagt etwa Ralf Frank, Geschäftsführer der Analystenvereinigung DVFA. „Konzipiert als eine knappe, präzise Zusammenfassung, sind sie heute ganze Romane.“
Aber spätestens beim eigentlichen Zahlenwerk steigen viele Anleger aus. Zu undurchsichtig, kompliziert und finanzmathematisch sind die Aufstellungen, noch dazu gespickt mit Fachtermini.
Die kritischsten Zahlen im Fokus
Den ausführlichen Konzernabschluss zu ignorieren, ist für Anleger jedoch fatal. Denn gerade diese Zahlen und Bilanzposten bieten noch das unbestechlichste Bild vom Zustand eines Unternehmens – und sind zudem die Basis für die Ausschüttungen an die Aktionäre sowie die weitere Kursentwicklung. Die nackten Zahlen eines von Wirtschaftsprüfern testierten Abschlusses sprechen Bände - und folgen strengeren Regeln als die in den Pressemitteilungen und Präsentationen oft kolportierten künstlichen Kennzahlen zweifelhafter Aussagekraft - zu denen wir später noch kommen werden.
Leider ist aber der Informationsaufwand für Anleger größer geworden. Früher, als noch ausschließlich nach den HGB-Regeln bilanziert wurde, hätte für Anleger ein genauer Blick in Bilanz sowie Gewinn- und Verlustrechnung genügt, um zu wissen, ob das Unternehmen gut wirtschaftet, erinnert sich Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer bei der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). „Damit sich heute ein Anleger ein treffendes Bild vom Zustand eines Unternehmens machen kann, muss er gleich vier Bestandteile eines Konzernabschlusses nebeneinander legen: Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Kapitalflussrechnung und den Eigenkapitalspiegel“, sagt Rechtsanwalt Tüngler.
Bilanzbegriffe und was sie bedeuten
HGB steht für Handelsgesetzbuch. Nach dessen Vorschriften müssen Unternehmen in Deutschland ihren Jahresabschluss vorlegen. Der Abschluss nach HGB ist für die auszuschüttenden Dividenden und die Steuerrechnung maßgeblich. Die internationalen Rechnungslegungsstandards nach IFRS, nach denen große Kapitalgesellschaften ihre Konzernbilanz aufstellen müssen, orientieren sich eher an den amerikanischen Rechnungslegungsvorschriften nach US-GAAP. Die internationalen Regeln machen Konzernabschlüsse grundsätzlich besser vergleichbar, folgen aber anderen Grundsätzen, zum Beispiel bei der Bewertung von Unternehmenskäufen oder anderen Vermögenswerten. Leider werden die IFRS-Regeln deutlich häufiger vom International Accounting Standards Board (IASB) geändert, als dies bei den HGB-Vorschriften im deutschen Rechtsystem der Fall ist.
Die in eine Unternehmung eingebrachten (investierten), auf der Aktivseite der Bilanz ausgewiesenen Vermögenswerte, vor allem Grundstücke, Gebäude, Maschinen und maschinelle Anlagen, Beteiligungen, Vorräte, Forderungen etc. Grundsätzlich sind die Unternehmen verpflichtet, entgeltlich erworbene Vermögenswerte zu Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu aktivieren. Der Wertminderung unterliegende Vermögensteile müssen während ihrer Nutzungsdauer abgeschrieben werden. Die Aktivseite informiert über die Mittelverwendung, also in welchen Werten das beschaffte Kapital investiert ist. Aus der Zusammensetzung der Aktivseite können – begrenzt – Schlüsse auf die Leistungsfähigkeit der Unternehmung gezogen werden, bei Gegenüberstellung zur Passivseite gegebenenfalls auch auf die Zahlungsbereitschaft.
Die auf der rechten Seite der Bilanz stehenden Bilanzpositionen, im Wesentlichen Eigenkapital und Verbindlichkeiten. Die Passivseite der Bilanz zeigt die Quellen, aus denen ein Unternehmen finanziert wird.
Die Umsatzrendite beschreibt das Verhältnis von Gewinn und Umsatz eines Unternehmens. Sie beschreibt, welchen Teil des Umsatzes das Unternehmen als Gewinn verbuchen kann. Der Gewinn eines Unternehmens ist jedoch Schwankungen unterworfen (z.B. Branchenabhängigkeit, Produktabhängigkeit), die eine genaue Bestimmung der Rentabilität erschweren können. Die Umsatzrendite eignet sich vor allem für unternehmensinterne Vergleiche. Sie gibt Aufschluss darüber, welche Rendite die verschiedenen Geschäftsbereiche eines Konzerns erwirtschaftet haben.
Der Bestand an Kapital einer Unternehmung kann aus zwei Quellen zugeführt worden sein: Vermögen der Eigentümer durch: Einzahlung der Unternehmer, Einbehaltung angefallener Gewinne, also Selbstfinanzierung; Vermögen Dritter. Eigenkapital in weitester Deutung sind sämtliche den Gläubigern einer Unternehmung haftenden Mittel, also auch z.B. das Privatvermögen eines voll haftenden Gesellschafters. In engerer Fassung wird unter Eigenkapital das bilanzielle Eigenkapital verstanden, das als Residualgröße aus den übrigen Positionen der Bilanz ermittelt werden kann, wodurch sich die Abhängigkeit des Kapitalausweises von den Bewertungen der Bilanzposten erklärt. Rechnerisch ergibt sich seine Höhe aus der Gleichung: Eigenkapital = Vermögen (Aktivseite der Bilanz) – Schulden – Einlageneinbehaltene Gewinne – Entnahmen – eingetretene Verluste
Die Eigenkapitalquote beschreibt die Beziehung zwischen Eigen- und Gesamtkapital. Dazu wird das auf der Passiva-Seite einer Bilanz ausgewiesene Kapital ins Verhältnis zur Bilanzsumme gesetzt. Je mehr Eigenkapital ein Unternehmen zur Verfügung hat, desto besser ist in der Regel die Bonität eines Unternehmens, desto höher ist die finanzielle Stabilität und desto unabhängiger ist das Unternehmen von Fremdkapitalgebern. Da Eigenkapital jedoch teurer ist als Fremdkapital belastet eine hohe Eigenkapitalquote die Rendite auf das eingesetzte Kapital.
Als Dividende bezeichnet man den Anteil am Gewinn, der je Aktie vom Unternehmen ausgeschüttet wird. Die Hauptversammlung beschließt nach dem Vorschlag von Vorstand und Aufsichtsrat über die Höhe. Die Dividende ist immer vom Bilanzgewinn abhängig und kann daher schwanken oder auch ganz ausfallen, etwa wenn die Ertragslage schlecht ist. Sie kann sogar aus den Rücklagen finanziert werden, wenn die Unternehmensgewinne nicht ausreichen.
Die Equity-Methode kommt bei der Bilanzierung von Unternehmensbeteiligungen zum Einsatz, an denen der Konzern weniger als 50 Prozent der Anteile hält. Dabei wird der Umfang der Beteiligung am Eigenkapital der Beteiligungsgesellschaft als Grundlage genommen, um den bilanziellen Anteil an Vermögenswerten in der Konzernbilanz abzubilden. Die wesentliche Größe ist dabei der anteilige Anspruch auf den Gewinn, der dem Konzern aus der Beteiligung zusteht. 100-prozentige Tochterunternehmen sind in einer Konzernbilanz hingegen unsichtbar, weil sie in den regulären Bilanzposten enthalten sind.
Während nach HGB in vielen Fällen die Anschaffungskosten von Finanz- und Sachanlagen in die Bilanz einflossen, fordert die Bilanzierung nach IFRS vorrangig eine Bewertung, die sich an den Marktpreisen orientiert. Existiert für diese Vermögenswerte kein Markt, wird der Bar- oder Zeitwert einer Vermögensposition durch die abgezinsten, monetären Vorteile, die dem Konzern bis weit in die Zukunft daraus erwachsen, durch finanzmathematische Verfahren und aufgrund von Schätzungen im Finanzplan ermittelt. Diese Bewertung nach Fair Value soll ein realistischeres Bild von Vermögenswerten liefern, als die puren Anschaffungspreise.
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt: Latente Steuern sind noch nicht entstandene Steuervor- und nachteile. Zumeist sind sie in nennenswerter Höhe unter den Aktiva einer Bilanz zu finden. Dabei handelt es sich überwiegend um sogenannte Verlustvorträge, die einer Steuerersparnis entsprechen. Macht ein Unternehmen Verlust, erwartet aber in Zukunft wieder Gewinne, können die bereits entstandenen Verluste die Steuerlast in den kommenden Jahren mindern. Die dann zu erwartende Steuerersparnis können Konzerne laut IFRS als Vermögenswert in der Bilanz ansetzen. Diese verbessern das Konzernergebnis, obwohl sie davon abhängen, dass ein Unternehmen den Weg in geplantem Umfang zurück in die Gewinnzone schafft. Passive latente Steuern sind entsprechend Steuerschulden, die erst in der Zukunft entstehen. Macht ein Konzern Verlust, bilanziert aber keine aktiven latenten Steuern, bedeutet das im Umkehrschluss, dass der Wirtschaftsprüfer nicht an einen Rückkehr in die Gewinnzone glaubt.
Im Zuge einer Unternehmenssanierung trennen sich Konzerne oftmals von ganzen Geschäftsbereichen. Um dem Leser einer Bilanz möglichst große Transparenz zu bieten, werden zum Verkauf stehende Geschäftsbereiche gesondert in der Bilanz aufgeführt. Damit wird die Bilanz um Unternehmensteile bereinigt, die in Zukunft wegfallen sollen. Gelingt der Verkauf jedoch nicht, kann das aber auch revidiert werden. Dann fließen die Bilanzgrößen der nicht fortgeführten Geschäftsbereiche zurück in die Bilanz.
Kapital- und Gewinnrücklage unterscheiden sich in der Art ihrer Entstehung. Die Gewinnrücklage speist sich aus den Jahresüberschüssen der Vorjahre und sind quasi das Sparschwein eines Unternehmens. Die Kapitalrücklage hingegen speist sich aus Einzahlungen der Gesellschafter. Insbesondere für Mittelständler sind Kapitalrücklagen ein Steuersparmodell für die Eigentümer. Wie eine Schenkung an das Unternehmen lassen sich Gelder in der Bilanz parken, auf Beschluss der Eigentümer und er Geschäftsführung jedoch auch wieder auflösen. Aktienrückkäufe, wie sie zur Kurspflege derzeit bei vielen Börsenunternehmen beliebt sind, speisen sich zumeist aus Gewinn- und Kapitalrücklagen. Werden sie aus dem Handel genommen, senken sie in Höhe ihres Nominalwertes das gezeichnete Kapital, dass unter den Passiva zum Eigenkapital des Konzerns zählt.
Hinter den sperrigen Begriffen verbirgt sich nichts anderes, als das flüssige Geld in der Unternehmenskasse. Hierzu zählen insbesondere die jederzeit verfügbaren liquiden Mittel auf Firmenkonten, aber auch andere Zahlungsmittel breiter Akzeptanz, zum Beispiel Goldmünzen, oder Wertpapiere.
Anleger müssen jedoch nicht den ganzen Geschäftsbericht durcharbeiten. Oft genügt es schon, sich auf einige wesentliche Zahlen und Rechnungsposten zu konzentrieren. Im Folgenden wird es daher darum gehen, die neuralgischen Punkte eines Konzernabschlusses aufzuspüren und zu erklären, was sich dahinter verbirgt und worauf Anleger besonders achten sollten. Als Beispiel zur Erläuterung dient der Konzernabschluss von ThyssenKrupp. Zum einen, weil das Geschäftsjahr schon am 30. September endet und der Geschäftsbericht für 2013 daher schon vorliegt, zum anderen, weil es in Bilanz des Stahlkonzerns deutliche Bewegungen gab.
Grundsätzliches zum Jahresabschluss
Zunächst einmal: Jahresabschluss und Bilanz sind nicht dasselbe, auch wenn die Begriffe gern synonym verwendet werden. Bestandteile des Jahresabschlusses, den das Handelsgesetzbuch (HGB) ab 500.000 Euro Umsatz oder 50.000 Euro Gewinn vorschreibt, sind mindestens die Gewinn- und Verlustrechnung sowie die Bilanz. Hinzu kommen mitunter noch der Lagebericht der Geschäftsführung, eine Kapitalflussrechnung, ein Eigenkapitalspiegel und erläuternde Anhänge.
Nach deutschem Recht müssen Unternehmen einen Jahresabschluss nach den Regeln des HGB erstellen und im Bundesanzeiger veröffentlichen. Der HGB-Jahresabschluss – bei einer Unternehmensgruppe spricht man von einem Konzernabschluss - ist für die Ausschüttungen an die Aktionäre und die steuerliche Gewinnermittlung maßgeblich. Große Kapitalgesellschaften – also auch alle börsennotierten Unternehmen - müssen darüber hinaus auch einen Abschluss nach den internationalen Rechnungslegungsvorschriften, den International Financial Reporting Standards (IFRS), vorlegen. In der Regel werden es Anleger mit einem Konzernabschluss nach den IFRS-Regeln zu tun haben.
Laut DSW-Chef Tüngler ist das Lesen von Konzernabschlüssen seit der Einführung der internationalen Bilanzierungsregeln nach IFRS deutlich komplizierter geworden. „Zwar ist das Gesamtbild, das Anleger durch die Geschäftsberichte erhalten insgesamt besser geworden. Gleichzeitig haben aber die Unsicherheiten in Bezug auf Vermögenswerte und Ertragsgrößen durch Bewertungsmethoden nach IFRS nicht unbedingt abgenommen“, sagt Tüngler.
In unserem Ratgeber stellen wir die kritischsten Positionen in den Geschäftsberichten für Aktionäre vor und erklären, worauf Sie in Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung und Co. achten sollten.