Betrüger ziehen die Kurse hoch Die Aktien-Mafia kassiert Anleger ab

Schmierige Tippgeber ziehen die Kurse Hunderter Aktien nach oben und kassieren Anleger ab. Wer sind diese Leute, wer sind ihre Hintermänner, wie arbeiten und woran verdienen sie – und warum sind sie den Ermittlern immer einen Schritt voraus?

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Oberstaatsanwalt Philipp Zmyj-Köbel Quelle: Christof Mattes für WirtschaftsWoche

Akten, Akten – Stapel auf dem Sideboard, Ordner auf dem Schreibtisch, Papierberge am Beistelltisch. Sein Büro: groß wie ein Tanzsaal. Die „sehr großen Zimmer“ bräuchten die Frankfurter Fahnder, meint Oberstaatsanwalt Philipp Zmyj-Köbel, „weil man sonst wegen der Aktenberge nicht mehr reinkäme“.

Die Stapel in der Abteilung für Kapitalmarktstrafsachen dürften kaum kleiner werden. Am Main sind noch über 100 Verfahren offen, in denen es um Aktien geht, deren Kurse Betrüger manipuliert haben: Obskure Rohstoffunternehmen, Energieaktien oder Internet-Werte, deren Kurse stiegen, nachdem sie in Börsenbriefen oder im Internet empfohlen wurden. Werden Anleger angelockt, laden die Täter oder ihre Hintermänner eigene Papiere bei ihnen ab.

Zmyj-Köbel hebt die Tasse mit den chinesischen Motiven, nimmt einen Schluck Chai-Biotee, atmet ruhig durch – und scheint doch innerlich zu kochen. Die Akten stapeln sich auch, weil Leute fehlen, die sich in Wirtschaftssachen auskennen, sagt der 50-Jährige. „Wir haben zu wenig Personal bei der Polizei“, so der Oberstaatsanwalt, „mitunter werten meine Staatsanwälte selbst Konten aus, um Geschädigte zu ermitteln und sie anzuschreiben – eine Aufgabe, die eigentlich die Polizei übernehmen müsste.“

Anleger ausgenommen

Und doch ist Zmyj-Köbel mit seiner Abteilung zuletzt ein bemerkenswerter Schlag gegen eine vermeintliche Bande von Kursmanipulateuren gelungen. Sein Staatsanwalt Torsten Krach hat monatelang ermittelt, Telefone abhören lassen, Täter hinter Decknamen gefunden und mindestens vier Haftbefehle erwirkt. An die 50 Ordner füllen die Akten des Verfahrens.

Der daraufhin eröffnete Prozess vor dem Landgericht Frankfurt und Recherchen der WirtschaftsWoche zeigen erstmalig im Detail, wie das Netzwerk der Kurspusher funktioniert – vom Hintermann über den Vermittler bis hin zu Aktienhändlern, Bankern und Werbern.

Die Täter manipulieren Kurse und ziehen Tausende Anleger über den Tisch – mit zum Teil sehr plumpen Mitteln. Aktuell wirbt ein Anbieter im Newsletter mit „1000 Prozent Gewinn“. Wer das Kleingedruckte liest, merkt, dass den wohl andere einstreichen werden: Eigentümer und Mitarbeiter des Verlags dürfen die beschriebenen Papiere halten: „Wir möchten (...) davon profitieren, wenn die Aktien der von uns dargestellten Unternehmen an Wert gewinnen.“

Zum Prozessauftakt des Frankfurter Verfahrens finden sich im Saal I drei Herren ein. Die Staatsanwaltschaft hat sie wegen des Verdachts auf bandenmäßigen Betrug und Marktmanipulation angeklagt. Der prominenteste ist Ex-TV-Moderator Markus Frick, 41, Anfang 2013 festgenommen, 2011 vom Landgericht Berlin wegen Marktmanipulation in 36 Fällen zu 21 Monaten auf Bewährung verurteilt. Er hat Aktien empfohlen, die er über verschlungene Kanäle besessen und verkauft hat, als Anleger angebissen haben.

In Frankfurt wird Frick in Handschellen vorgeführt. Blasses Gesicht, die Hände übereinandergelegt, der Rücken krumm. Die Anklage: Frick und Komplizen sollen über die Börsenbriefe „Deutscher Aktiendienst“ und „Kursraketen24“ die Kurse des Shoppingportals LetsBuyIt, der heute insolventen Technologiefirma Autev und der auf Online-Spiele spezialisierten Venatus getrieben haben. Hintermänner hätten die Nachfrage der Leser genutzt, um Papiere loszuschlagen. Frick wurde durch seine TV-Show „Make Money“ auf N24 bekannt. Fans verschlangen sein Buch „Ich mache Sie reich“, abonnierten seine E-Mail-Hotline – und kauften, was er empfahl.

"Herr Frick machte einen sehr ehrlichen Eindruck"

Aus Fricks E-Mail-Dienst Real-Depot vom 6. Mai 2012:

„Wir waren vor Ort in Paris und haben (...) mit dem Vorstand gesprochen (...). Alles hat uns überzeugt. Auch andere Analysten waren vor Ort und wir erwarten deshalb neue Kaufempfehlungen für LetsBuyIt.“

„Herr Frick machte einen sehr ehrlichen Eindruck“, sagt die 73-jährige Gisela Günther (Name geändert und der Redaktion bekannt) aus dem hessischen Taunusstein. Sie und ihr Mann hatten Frick einst auf einem Börsenseminar die Hand geschüttelt. In ihrem Wohnzimmer plätschert der Zimmerbrunnen, als es an der Tür klingelt – der Verkäufer von Bofrost. Sie wolle nichts, sagt die alte Dame. Doch der Fahrer preist eine neue Spezialität an. „Das kann ich mal probieren“, erwidert sie – und kauft. Es scheint, als ziehe sich das durch ihr Leben: Dinge kaufen, die andere ihr aufdrängen.

Markus Frick Quelle: dpa Picture-Alliance

Real-Depot vom 6. Mai 2012:

„Wichtig ist, dass Sie vor uns investiert sind, denn wir werden im Mai die Aktie LetsBuyIt neu ins Real-Depot aufnehmen. Wir müssen uns jetzt beeilen, denn gestern sind die Umsätze drastisch angestiegen.“

Die Werbung für Fricks Aktiendienst landete ungefragt im E-Mail-Postfach des Ehepaares. Im Mai 2012 bestellen die Günthers den Börsenbrief – ohne zu wissen, dass Frick dahintersteckt. 249 Euro kostet das Sonderangebot für gut sieben Monate. Die Macher des Briefes empfehlen solide Werte: BMW, Lanxess, Hugo Boss. Das ist typisch: Haben Anleger erst mal Vertrauen gefasst, kommen die dubiosen Tipps.

Sie habe sich dann schon gewundert, sagt die Rentnerin, dass auf einmal total unbekannte Aktien empfohlen worden seien. Trotzdem investierte das Ehepaar über 20 000 Euro in LetsBuyIt .

Solange die Bande für die Aktie trommelte, fragten Anleger das Papier nach – und wurden reichlich mit Aktien bedient. Nach rund drei Wochen aber wirkten die Empfehlungen nicht mehr, drückte das überreiche Angebot den Kurs: „Plötzlich sind die Dinger voll runtergegangen“, schimpft die alte Dame – ihr Geld war weg.

Real-Depot vom 31. Mai 2012:

„Wir (...) wurden gefragt, warum wir am Dienstag nicht mutig waren und nochmals LetsBuyIt bei 0,60 Euro einkauften (...) aber nach diesem Kursdesaster hat uns echt der Mut gefehlt.“

Eilig holt der Ehemann einen Stapel Börsenbriefe. „Kennen Sie den? Oder den?“, fragt er. Ein bisschen Hilfe brauche er bei der Anlageentscheidung, sagt der 75-Jährige und deutet auf ein Buch: „Tradingpsychologie – So denken und handeln die Profis“. Menschen, zitiert er den Inhalt aus der Erinnerung, würden vom Unterbewusstsein gesteuert. „Sie wissen, was Sie falsch machen und machen es wieder falsch.“

Im Zentrum der Frankfurter Ermittlungen steht die Berliner ISP Finanz. Geld verdient sie offiziell mit der Web-Seite moneymoney.de und dem Börsenbrief „MoneyMoney“, den sie an Anleger vertreibt. Alleiniger Gesellschafter war mindestens bis Juni 2012 Walter Frick, Vater von Markus Frick. Der Senior hat die Firma 2008 gegründet und Sohn Markus bis Mitte 2012 zum Geschäftsführer bestellt; die Taten der im Prozess verhandelten Marktmanipulation fallen in diese Zeit. ISP-Sitz ist die Sophie-Charlotten-Straße 30, an der damals auch der Sohn gemeldet war.

Über das Konto der ISP liefen auch Einnahmen aus weiteren Börsenbriefen. Eine Rechnung, die der Redaktion vorliegt, beläuft sich auf 99 140 Euro – für die Vermarktung eines anderen Börsenbriefes. Fragen dazu haben weder ISP noch Frick beantwortet.

Fricks Vater will von nichts gewusst haben

Walter Frick, schrieb sein Anwalt schon früher, habe mit den Vorgängen im Prozess gegen Sohn Markus „nicht das Geringste zu tun“. Er sei ein „schwer arbeitender“ älterer Herr, der die Öffentlichkeit nichts angehe. Seine ISP aber hat zwischen 2010 und Ende November 2012 rund elf Millionen Euro verdient. Sollte der Senior von den fragwürdigen Geschäften seines Sohns und Geschäftsführers tatsächlich nichts bemerkt haben?

Wie das System arbeitet, zeigt das Beispiel der Aktie LetsBuyIt, die Frick empfahl. Einen Teil der Papiere des Unternehmens hielt 2012 zumindest indirekt der Investor Castro Khatib. Der gebürtige Israeli lebt in Monaco, Mitglieder seiner Familie wechselten sich zwischen 2009 und Mitte 2011 im Verwaltungsrat der LetsBuyIt ab. Auch Khatib mischt dort zeitweise mit.

Eiskalter Abverkäufer. Geschäftsmann Castro Khatib beauftragte seine Bank, Aktien von LetsBuxIt zu verkaufen - wenige Tage bevor ein Börsenbrief massiv für diese Aktie warb. Quelle: dpa Picture-Alliance

Khatib soll, so sagte in Frankfurt ein Zeuge vor Gericht, „großes Interesse“ an Werbung für die Aktie gehabt haben – vermutlich, um profitabel verkaufen zu können. Für eine Stellungnahme war Khatib nicht erreichbar. In der Frick-Anklage heißt es, dass LetsBuyIt an der Börse Frankfurt von Januar bis Ende April 2012 zwischen 1,80 und 2,05 Euro notiert habe. „Der Umsatz“ sei gering gewesen, „insgesamt wurden überhaupt nur an 11 Tagen Aktien gehandelt. An den übrigen Handelstagen blieb die Aktie umsatzlos“. Khatib hätte seine Anteile bis dahin kaum verkaufen können, schon gar nicht zu einem guten Preis.

Machtlose Aufsicht

Khatib soll nach Aussage des Zeugen Manfred Haindl (Name geändert und der Redaktion bekannt) vor Gericht Drahtzieher der LetsBuyIt-Manipulation gewesen sein. Haindl, der sich selbst „Kapitalmarktberater“ nannte, saß einige Wochen in Untersuchungshaft, weil die Staatsanwaltschaft vermutet, dass er ein Mitglied der Bande um Frick gewesen sei. Fragen dazu beantwortete er nicht. Vor Gericht sagte der Anfang 30-Jährige mit den gegelten Haaren, er sei durch die Frankfurter Wertpapierhandelsbank Renell auf LetsBuyIt aufmerksam gemacht geworden. „Renell hat mich darauf angesprochen, ob es eine Empfehlung zu der Aktie geben kann“, so Haindl. Renell beteuert, dass die Bank „kein Interesse“ habe, „Wertpapieraufträge mit zweifelhaftem Hintergrund“ auszuführen. „Eine aktive Beteiligung unseres Unternehmens an Marktmanipulationen hat es nicht gegeben.“

Let's push it! Wie der Aktienkurs von LetsBuyIt im Mai 2012 per Börsenbrief manipuliert worden ist

Renell hat nicht nur die „neue“ LetsBuyIt – es gab schon einmal ein gleichnamiges Vorgängerunternehmen am Neuen Markt – an die Börse gebracht, sondern auch einen großen Teil der Aktien im berüchtigten First Quotation Board der Deutschen Börse. Im Jahr 2010, brüstete sich Renell in einer Präsentation, sei die Bank mit 65 Notierungen hier Marktführer gewesen. Das Board war der am wenigsten regulierte Bereich der Börse.

Verkäufe kurz vor der Werbeaktion

In Börsenkreisen heißt es, dass bei mindestens einem Drittel der Papiere im Board manipuliert worden ist. „Im First Quotation Board war ein großer Teil der Aktien, die an die Börse gebracht worden sind, eine Erfindung, um den Aktienkurs zu manipulieren und wertloses Papier teuer zu verkaufen“, sagt Oberstaatsanwalt Zmyj-Köbel. Ende 2012 schloss die Börse das Board, aufgrund von „massiven und häufigen Verdachtsfällen auf Marktmanipulation“. Recherchen belegen, dass Castro Khatib Kunde von Renell war und er der Bank kurz vor Fricks Werbeaktion für LetsBuyit Verkaufsaufträge für die Aktie erteilt hat. Unterlagen eines Bankinsiders zufolge hat Renell „umfangreiche Verkäufe“ von LetsBuyIt-Aktien ausgeführt. Die riefen im Sommer 2012 die Finanzaufsicht auf den Plan. Die BaFin wollte wissen, wann und für wen die Bank Aufträge abgewickelt habe. Abzuliefern seien Mails, Audiomitschnitte, Chatprotokolle, Verträge und Namen und Adressen von Auftraggebern.

"Let's sell at 2.11"

Renell zierte sich, Antworten blieben schwammig. Die BaFin musste mehrfach nachhaken. Aufträge seien „in der Regel mündlich erteilt“ worden, so die Bank. Nicht immer: In einer Mail zum Beispiel schreibt Khatib an einen Renell-Händler: „Let’s sell at 2.11“ – er wollte für 2,11 Euro verkaufen. Renell legt Wert darauf, dass die Bank Anfragen der Aufsicht „stets umfassend beantwortet“ habe.

Der Aufsicht reichten die Antworten der Bank jedoch nicht: Sie drohte Zwangsgeld an, Renell sollte 5000 Euro zahlen, weil nicht alle Fragen beantwortet worden seien. Es war nicht das erste Mal, dass Renell ins Visier der Behörde geraten ist: Eine Geldwäsche-Sonderprüfung der Aufsicht soll zu dem Ergebnis geführt haben, dass die Bank bei Geldwäsche-Kontrollen schwerwiegende Fehler machte. Die Bank schwieg dazu. Konsequenzen hat das alles ohnehin kaum. Die Vorstände amtieren noch, Renell betreut in Frankfurt rund 60 Aktien.

Auszug aus einem Vertrag zum Abverkauf einer Aktie, unterschrieben von Renell-Chef Marc Renell. Der Vertrag zeigt, dass Renell von den Verkaufserlösen 20 Prozent bekommen sollte – andere Banker dürften davon wohl bloß träumen. Renell hat Fragen der Redaktion zu dem Vertrag nicht beantwortet. (zum Vergrößern bitte anklicken)

Schläft die Bankenaufsicht?

Klären kann das womöglich ein Bankinsider. Er will anonym bleiben, beim Treffen in einem Hinterhofcafé blickt er nervös umher. Die Aufsicht habe Renell mit Auskunftsersuchen überschüttet, sagt er. „Die BaFin hat zwar wild gefaucht, aber ist ja doch nur ein zahnloser Tiger.“ Die BaFin verwies in einer Stellungnahme auf ihre Verschwiegenheitspflicht.

Renell brachte alles an die Börse

Die Bank habe Dutzende zweifelhafte Aktien ins First Quotation Board gebracht. „Es hat sich sehr schnell rumgesprochen, dass Renell einfach alles an die Börse bringt“, sagt er. Banken bekommen für solche Listings Geld. Diese Gebühren aber sollen für Renell nur Peanuts gewesen sein: Zusätzlich hätten Manager von Renell auch mit dem Gedanken gespielt, sich Aktien übertragen zu lassen, sagt der Mann, und hebt seine Tasse an den Mund, als könne er sich dahinter verstecken. Renell bestreitet, jemals eine „Entlohnung in Form von Aktien“ bekommen zu haben.

Der Insider schiebt ein Blatt über den Tisch, die letzte Seite eines Vertrags, den Chef Marc Renell unterschrieben hat. Darin wurde festgelegt, zu welchem Preis wie viele Aktien eines Unternehmens verkauft und wie die Erlöse unter mehreren Partnern verteilt werden sollten. Renell sollte demnach 20 Prozent des Verkaufserlöses bekommen – für eine Bank extrem ungewöhnlich. Renell hat Fragen der Redaktion zu dem Vertrag nicht beantwortet.

Geld für die Briefkastengesellschaft

Die Frankfurter Staatsanwälte verdächtigen Renell-Mitarbeiter zudem, den Kurs und das Handelsvolumen einer anderen Aktie beeinflusst zu haben. Geschäfte sollen abgesprochen worden sein. Mitte März rückte dann die Staatsanwaltschaft Stuttgart bei drei Händlern an. Die Ermittler vermuten, dass sie die Aktie von Clean Enviro Tech, angeblich ein Technologieunternehmen, immer wieder ge- und verkauft haben.

Das ist zwar verboten, aber typisch beim Aktienpush: Anleger sollen glauben, dass ein Papier liquide ist, also jederzeit handelbar. Weder Renell noch Clean Enviro Tech haben Fragen dazu beantwortet. Letztere soll nur eine Briefkastengesellschaft ohne Mitarbeiter und Umsatz sein. Und der Push soll gelaufen sein, wie so oft: Aggressive Werbung für die Aktie, massiver Kursanstieg, Auftraggeber verkaufen eigene Papiere. Brutto sollen die Täter 2,3 Millionen Euro erlöst haben.

"Ganz schnell auf vier Euro"

Zurück zu LetsBuyIt und dem Frick-Verfahren: Berater Haindl sagte vor Gericht, er sei sich mit Khatib handelseinig geworden. Die Provision sei an den Kurs gekoppelt gewesen. Etwa die Hälfte, von dem, was verkauft worden sei, sollte fließen – vor Gericht sprach Haindl von rund zwei Millionen Euro. Dafür habe er auch den Kontakt zwischen Khatib und Frick organisiert.

Schon eine Woche nach Beginn der Werbeaktion in den Börsenbriefen – so sagte es Zeuge Haindl aus –, soll Khatib per Kurier 500 000 Euro in bar an den Main bringen lassen haben, per Auto aus der Schweiz. Mehrere Zehntausend Euro behielt Haindl ein, er bezahlte damit den Fahrer und einen Mann, der 30 000 Euro bekommen haben soll. Nach Informationen der WirtschaftsWoche handelte es sich bei dem Mann um einen Aktienhändler. Den Rest des Khatib-Geldes hat Haindl dann zu Frick gebracht. Der hatte laut seinem Geständnis stolze 1,9 Millionen Euro in bar kassiert.

Der Prozess in Frankfurt macht klar, wie detailliert Aktienpusher ihre Aktionen planen. Abgesprochen war, wie lange die Werbung pro Aktie dauern und über welchen Börsenbrief sie gepusht werden sollte, so hieß es über den Spielanbieter Venatus, dass der erst „ganz schnell auf vier Euro steigen“ sollte und dann zwischen drei und fünf Prozent am Tag. Für Leser der Börsenbriefe sollte es wohl nach einem gesunden Kursanstieg aussehen. Fricks Anwalt wollte insgesamt keine Stellungnahme abgeben.

Die Verkäufer hatten bereits zu Beginn der Aktion Verkaufslimits an der Börse platziert. Sie achteten offenbar darauf, dass nicht zu schnell zu viel verkauft wurde, schließlich sollte der Kurs steigen.

Real-Depot vom 6. Mai 2012:

„Bitte schreiben Sie uns Anfang Juni keine Email, ob Sie nun bei 3 Euro noch einsteigen können, denn heute bekommen Sie das Papier für nur 2,05 Euro. Günstiger wird es nicht mehr werden.“

Anleger Fridolin Wagner (Name geändert und der Redaktion bekannt) besitzt noch LetsBuyIt-Aktien – unverkäufliche Depotleichen. Der dunkelhaarige Mann im grau melierten Sakko wirkt keineswegs naiv. Er ist kaufmännischer Leiter bei einem internationalen Unternehmen, ist verheiratet, hat vier Kinder und ein großes Haus mit Garten.

Anfang 2012 kam die erste Werbemail vom Deutschen Aktiendienst, ungefragt – und weckte doch Interesse. „Ich musste Wochen warten, bis ich in den Verteiler aufgenommen worden bin“, sagt Wagner. So glaubte er, Zugang zu einem ausgewählten Kreis zu bekommen.

Geprellter Anleger Quelle: Klaus Weddig für WirtschaftsWoche

Real-Depot vom 10. Mai 2012:

„Wenn Sie schon investiert sind, dann können Sie sich freuen, denn LetsBuyIt wird in den nächsten Wochen über 3,50 Euro steigen.“

Der Kurs der LetsBuyIt stieg tatsächlich. Wagner verabschiedet sich auf eine Geschäftsreise. „Ich habe kurz an Verkaufen gedacht, aber die Gier war doch größer als das Hirn“, sagt er. Es lief schief, als er wieder nach Hause kam, stand die Aktie am Einstandskurs, am Ende hat er 22 000 Euro in den Sand gesetzt. „An Betrug habe ich nicht gedacht, eher: shit happens“, sagt er heute. Dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, merkte er erst, als auf seine Anfragen hin keine Antwort mehr vom Aktiendienst kam. „Ohne die Empfehlung wäre ich nie auf die Papiere gekommen –, aber die Entscheidung zum Kauf habe ich ganz alleine getroffen“, sagt Wagner.

Frick geht in Revision

Real-Depot vom 28. Mai 2012:

„Nun spekulieren wir auf einen Wieder-Einstieg bei LetsBuyIt im Real-Depot. Bitte bedenken Sie, dass die Analysten (...) ein Kursziel von über 5,00 Euro angesetzt haben.“

Seine Geschichte muss Wagner als Zeuge vor Gericht wiederholen, „bestimmt eine Stunde lang“. Frick habe „keinen Ton“ gesagt, bloß „sein smarter Anwalt“ habe ihn ganz schön auseinandergenommen. Ob er noch mal mit einem Börsenbrief anlegen würde? „Nur, wenn ich ihn selbst gefälscht habe“, sagt er und lupft die Brille.

Frick wurde Ende Februar gemeinsam mit einem Mitangeklagten wegen Marktmanipulation verurteilt. Das Verfahren des dritten Angeklagten wurde gegen Zahlung von 20 000 Euro eingestellt. Der Mann war nur für Technik zuständig. Die beiden anderen Angeklagten aber, sagte Richter Klaus Wiens, „handelten vorsätzlich“. Ihre Werbeschreiben enthielten „unwahre Angaben“. So gab es weder den namentlich genannten Chefredakteur Schindler, noch ein Real-Depot. Um nicht entdeckt zu werden, hatten die Männer Synonyme verwendet. Ihre Mobiltelefone waren auf falsche Namen zugelassen.

Wenn der Computer Millionen verzockt
Wegen technischer Probleme hat die Derivate-Börse Eurex den Handel am Montagmorgen vorübergehend gestoppt. "Die Aussetzung wurde durch eine fehlerhafte Zeit-Synchronisierung im System verursacht", teilte die Tochter der Deutschen Börse mit. Aus diesem Grund sei der Handel zwischen 08:20 und 09:20 Uhr (MESZ) angehalten und sämtliche Produkte auf den Stand vor Börseneröffnung zurückgesetzt worden. Dies ist die erste Unterbrechung an der Eurex seit dem 11. Oktober 2011. Damals hatten Probleme mit einem Großrechner den Handel mit Dax-Future, Bund-Future & Co. für mehrere Stunden zum Erliegen gebracht. Vergangene Woche hatte eine Panne die US-Technologiebörse Nasdaq drei Stunden komplett lahmgelegt. ´ Im Vergleich zum Vorjahr sind bei diesen Pannen aber immerhin keine Vermögen vernichtet worden... Quelle: Fotolia
440 Millionen in 45 MinutenNeu ist nicht immer besser. Die Börsenfirma Knight Capital verlor schnell die Freude an ihrer frisch installierten Software. In nur 45 Minuten bescherte die Software dem Börsenhändler einen Schaden von 440 Millionen US-Dollar. Das Programm kaufte und verkaufte fleißig verschiedene Aktien. Dabei kaufte der Computer zum Marktwert und verkaufte mit Rabatt. Pro Trade gingen zwar nur einige Cents verloren, doch der Computer war so schnell, dass bis zum Beheben des Fehlers 440 Millionen Dollar weg waren. Nur eine 400 Millionen Dollar schwere Finanzspritze einer Gruppe von Investoren sicherte letztlich das Überleben der Börsenfirma.Zur Umfrage: Das Software-Beratungsunternehmen SQS fragte die eigenen Berater nach den größten Software-Pannen 2012 und veröffentlichte die Ergebnisse. Quelle: AP
Der RohrkrepiererDas Börsenunternehmen Bats blamierte sich 2012 selbst. Beim Börsengang floppte die handelseigene Software des Börsenbetreibers und konnte nicht einmal den Kurs der eigenen Aktie anzeigen. Nach einer Serie von technischen Pannen musste die drittgrößte US-Börse Bats Global Markets schließlich die Notbremse ziehen und sich am Tag ihres Marktdebüts wieder aus dem Handel verabschieden. Die Aktie stürzte vom Ausgabepreis von 16 Dollar auf weniger als einen Penny ab. Quelle: AP
Größter Börsengang des Jahres wird größter FloppDer Börsengang des sozialen Netzwerks Facebook war das Thema an der Börse 2012. Doch der Börsengang floppte. Nicht nur weil sich der Wert die Aktie innerhalb weniger Tage halbierte, sondern auch weil die Nasdaq Probleme beim ersten Kurs der Aktie hatte. Die Anzeige des ersten Kurses verzögerte sich um mehrere Minuten. Dabei gingen wohl viele Orders einfach im Nichts verloren. Die Panne betraf laut SQS nicht weniger als 30 Millionen Aktien. Quelle: dpa
Peinliche Panne bei MicrosoftDer Cloud-Computing-Dienst „Azure“ von Microsoft hatte den 29.Februar schlicht und einfach vergessen. Der Dienst, der alle Daten von überall erreichbar machen soll, war zwölf Stunden lang nicht erreichbar. Microsoft entschuldigte sich für den Fehler, bei dem laut Microsoft keine Daten verloren gingen. Wegen des zusätzlichen 29. Februar kam auch ein Bezahlsystem der australischen Krankenversicherungen zwei Tage lang zum Erliegen. 150.00 Patienten konnten die Bezahlfunktion ihrer Versichertenkarte nicht nutzen. Quelle: dpa
Kündigungsgebühren aus dem NichtsEin deutscher Energieversorger kassierte bei seinen Kunden zu Unrecht ab. Eine Software hatte nämlich bei 94.000 Kunden Kündigungsgebühren angerechnet, obwohl keine angefallen waren. Das Energieunternehmen musste insgesamt 1,7 Millionen Euro zurückzahlen. Quelle: dpa
US-Regierung mit teurem UpdateTeuer ist nicht gleich gut. Ein Update der Steuer-Software der USA, das 1,3 Milliarden Dollar gekostet hatte, brachte den Steuerbeamten jede Menge Sorgenfalten. Insbesondere bei der Steuererstattung machte die Software Ärger. 85 Prozent aller Erstattungen kamen zu spät an. Quelle: AP

Vorwurf des Betruges fallen gelassen

Frick hat der Richter zwei Jahre und sieben Monate aufgebrummt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, da Frick Revision eingelegt hat. Für ihn dürfte das Verfahren in Frankfurt ohnehin nicht das letzte gewesen sein. Die Staatsanwälte am Main ermitteln weiter gegen ihn – wegen anderer Börsenbriefe. Eine Stellungnahme dazu gab er nicht ab. Sein Komplize hat ein Jahr und sechs Monate auf Bewährung bekommen und das Urteil akzeptiert.

Den Vorwurf des Betruges – ungleich gravierender als Marktmanipulation – hat Zmyj-Köbel fallen lassen. Für Betrug müssen der Schaden beim Anleger und der Vermögensvorteil beim Täter deckungsgleich sein. Doch als die Kurse stiegen, haben auch Menschen Aktien verkauft, die mit den Börsenbriefen nichts zu tun hatten. „Wir hätten filtern müssen, welche Aktien von den Tätern verkauft worden sind“, erklärt Zmyj-Köbel. Verkäufe aber laufen oft über ausländische Banken. „Wir hätten uns daran einen Wolf ermittelt“, sagt Zmyj-Köbel. „In Wirtschaftsstrafsachen mit komplexen Sachverhalten ist es schwer, zu einer Verurteilung zu kommen“, hatte er schon im Schlussplädoyer in Frankfurt gesagt, „wenn man sieht, welche Anforderungen die Rechtsprechung stellt, und die sind ja in den vergangenen zehn Jahren massiv gestiegen.“

Anleger können sich nicht darauf verlassen, dass die Justiz ihr Geld schon zurückholen wird.

Die Szene organisiert sich neu

Real-Depot vom 31. Mai 2012:

„In der Redaktion haben wir (...) heftig diskutiert, wie man so etwas in Zukunft vermeiden kann. Die Lösung ist, dass wir (...) keine SmallCaps mehr empfehlen werden. Wir haben festgestellt, dass solche Empfehlungen von Spekulanten und Altaktionären dazu genutzt werden, um mit der Aktie Jo-Jo zu spielen.“

Die Durchsuchung im Zuge des Frankfurter Verfahrens hat der ISP nicht das Genick gebrochen. Der Laden von Vater Frick macht weiter, sein Frontmann heißt nicht mehr Markus Frick, sondern Jan Pahl. Der junge Mann nennt sich Finanzjournalist, hat Knopfaugen und das perfekte Lächeln für Zahnpastawerbung. Einer, dem Großmutti wohl jedes Versprechen abnehmen würde. Mitte März ist Pahl in Sakko und Schlips zum „MoneyMoney-Seminar“ gereist. Im InterCity Hotel am Flughafen Frankfurt hat ISP die Räume „Euro“ und „Dollar“ gemietet. 100 Menschen waren da, um Pahls Tipps zu lauschen.

Zwölf prominente "Verzocker"
Vince McMahon Quelle: AP
Eike Batista Quelle: dpa
Kweku Adoboli Quelle: REUTERS
Nick Leeson Quelle: REUTERS
Nelson Bunker Hunt; Herbert William Hunt
Jerome Kerviel Quelle: REUTERS
John Paulson Quelle: REUTERS

Pahl weiß, wie er Aufmerksamkeit bekommt – und hält sein Buch zwischen den Zuschauerreihen in die Luft. „Wer als Erster aufspringt und es greift, bekommt das Buch“, ruft Pahl ins Mikrofon. Exklusiv auf dem Seminar soll das Buch zusammen mit einer DVD über Devisenhandel 39 Euro kosten. 2000 Euro Gewinn könne man am Tag mit Devisenhandel erzielen, verspricht Pahl. „Ich will doch kein Hoeneß werden“, ruft ein Zuschauer. Pahl kontert: „Sie wollen nur nicht ins Gefängnis. Hoeneß hat damit auch 70 Millionen gemacht. Wenn man an der Börse was machen will, kommt man um Devisenhandel nicht herum.“ ISP und Pahl haben nicht auf Fragen geantwortet.

Die Szene organisiert sich neu, einige versuchen, ihr Geschäft zu legalisieren. Entscheidend für die Verurteilung sei, hatte Richter Wiens im Frick-Prozess betont, dass die Täter nicht offengelegt hatten, dass sie von steigenden Kursen profitieren.

Die Gauner haben verstanden. Viele arbeiten jetzt mit Warnhinweis. „Da steht drin: ‚Wir handeln grundsätzlich in diesen Werten und behalten uns vor, jederzeit und ohne Ankündigung zu kaufen und zu verkaufen.‘ Solange die Täter nur Stimmungen schildern und keine nachweisbar falschen Informationen geben, kommen wir da rechtlich schwer dran“, sagt Zmyj-Köbel.

Sein Problem ist das nicht mehr: Der erfolgreiche Oberstaatsanwalt wechselt nach Gießen, weit weg von der Börse. Mit den Aktenstapeln muss sich seit Anfang Mai sein Nachfolger herumschlagen.

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