Bilanzen unter der Lupe Wie Dax-Unternehmen ihre Bilanzen aufpumpen

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Die Goodwill-Blase

Im Durchschnitt unterstellten die Dax-Unternehmen früher eine Nutzungsdauer für ihre Firmenwerte von knapp neun Jahren – sie schrieben jährlich 11,7 Prozent auf ihren Goodwill ab, so die Analyse der Universität St. Gallen. Im Jahr 2002 schrieben die 30 Dax-Finanzchefs angesichts taumelnder Börsen und schwacher Konjunktur sogar jeden sechsten Euro ab. Die damals noch strengen Bilanzregeln zeigten also Wirkung – zum Schutz der Aktionäre. 2013 kamen gerade einmal 2,6 Milliarden Euro oder 1,2 Prozent an Abschreibungen zusammen. Dabei liegt etwa der Dax-Kursindex immer noch knapp 20 Prozent unter seinem Hoch.

Wie sich der Anteil des Goodwill am Eigenkapital der Dax-Unternehmen entwickelt hat (für eine komplette Ansicht bitte anklicken)

Übersetzt: Während die Unternehmen seit einem Jahrzehnt offenbar nur solche Töchter gekauft haben, deren Wert von keiner Konjunktur-, Finanz- oder geopolitischen Krise tangiert wird, gestehen Investoren vielen Unternehmen weniger Wert zu als vor 14 Jahren, als der Dax-Kursindex sein letztes Hoch erreichte. Der Dax-Kursindex spiegelt die echte Wertentwicklung der 30 Dax-Aktien wider; im bekannten Dax selbst werden Dividenden noch dazugerechnet. „Nach den aktuellen Bilanzierungsregeln lässt sich ohne Übertreibung von einer Goodwill-Blase sprechen, die stetig wächst“, so Thomas Möhlmann-Mahlau, Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Rechnungslegung und Steuern, an der Hochschule Bremen. „Dass es sich um eine Blase handelt, ist nicht auszuschließen und ist weder von Analysten noch von Anlegern erkennbar“, sagt Bilanzexperte Brösel von der Fernuni Hagen.

Möhlmann-Mahlau hat jüngst gemeinsam mit Frank Sündermann, Leiter Kreditanalyse der KBC Bank, und Tobias Gundel, Berater bei Boege Rohde Luebbehuesen in Hamburg, 18 bekannte deutsche börsennotierte Unternehmen abgeklopft, von RWE über Freenet bis hin zu Sky. Ergebnis: Das gesamte Eigenkapital der Unternehmen lag Ende 2012 bei 64 Milliarden Euro. Bereinigt um planmäßige Abschreibungen auf den Goodwill jedoch, läge das Kapital bei nur 14,6 Milliarden Euro. „Das sind stille Lasten von knapp 50 Milliarden Euro oder 77 Prozent des bilanziellen Eigenkapitals“, so Möhlmann-Mahlau.

Neuer Vorstand kehrt bei Siemens aus

Einer der Gründe: Selbst während der Finanzkrise, als sich die Kurse der Dax-Unternehmen im Durchschnitt mehr als halbierten, ebenso wie mehrheitlich die anderer europäischer Unternehmen, waren höhere Goodwill-Abschreibungen „wider Erwarten überwiegend ausgeblieben“. Das ist die Quintessenz einer Studie, die Silvia Rogler, Professorin für Rechnungswesen und Controlling an der TU Bergakademie Freiberg, vergangenes Jahr vorstellte. Nach der Durchsicht von 640 Bilanzen von 160 deutschen börsennotierten Unternehmen zogen Rogler und ihr Team ein erschreckendes Fazit: Größere Abschreibungen auf die Wackelposition Goodwill gab es fast nur, wenn Vorstände ausgetauscht wurden. Neue Manager räumen offenbar die Bilanzen schnell auf, damit ihnen milliardenschwere Fehlinvestitionen ihrer Vorgänger nicht irgendwann vor die Füße fallen. Ein neuer Finanzvorstand hält dann gleich 39 Prozent der Goodwill-Position für nicht mehr tragbar, Vorstandschefs veranlassen eine ebenfalls noch dramatische Abwertung um im Durchschnitt 31 Prozent, so das Ergebnis der Uni Freiberg.

Siemens etwa begann erst nach einem Chefwechsel auf dem Posten des Diagnostik-Vorstands vor gut vier Jahren seine für elf Milliarden Euro zusammengekaufte Diagnostik-Sparte abzuwerten. Nur vier Monate nachdem seinerzeit Michael Reitermann dort den Chefposten übernommen hatte, vermiesten Abwertungen über 1,4 Milliarden Euro erstmals das Konzernergebnis. Auch der im vergangenen Jahr neu angetretene Puma-Chef Björn Gulden kündigte kurz nach seinem Amtsantritt Ende 2013 erst einmal Firmenwertabschreibungen und einen Gewinneinbruch an.

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