Bilanzen unter der Lupe Wie Dax-Unternehmen ihre Bilanzen aufpumpen

Dax-Unternehmen haben in ihren Bilanzen eine Riesenblase aufgebaut. Es geht um aufgeschobene Abschreibungen von 217 Milliarden Euro. Lösen sich die Luftbuchungen auf, drohen Aktionären massive Verluste.

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Aufgeblähter Bulle vor einem Aktienchart Quelle: dpa, Montage

Wahre Gemeinheiten spielen sich immer im Hintergrund ab. So ist es wohl kaum einem Aktionär der Deutschen Lufthansa aufgefallen, dass sich das Eigenkapital seines Unternehmens mit einem Federstrich um gleich 2,3 Milliarden Euro reduzierte. Erkennbar wurde dieser Einbruch nur für diejenigen, die kontinuierlich die Berichte der Kölner Fluggesellschaft verfolgen und gleichzeitig ein bisschen Bilanzregelkunde mitbringen. Jahrelang durften Unternehmen ziemlich lax mit den Rückstellungen in der Bilanz für ihre aktuellen und künftigen Pensionäre umgehen. Seit 2013 ist damit Schluss, seither müssen börsennotierte Aktiengesellschaften realitätsnäher die Ansprüche für die Altersvorsorge bilanzieren. Die Effekte sind – wie erwartet – teils dramatisch. Bei der Lufthansa wanderte fast ein Drittel des Eigenkapitals weg von den Aktionären hin in die Taschen der Pensionäre. Die Eigenkapitalquote rutschte zum Anpassungszeitpunkt von erträglichen 28,6 auf recht magere 20,4 Prozent.

Das Beispiel des Dax-Konzerns zeigt: Ein Blick, der über die aufgehübschten und oft verdrehten Gewinnmitteilungen ihrer Unternehmen hinausgeht, lohnt für alle Anleger. „Wer nicht auch einmal einen kritischen Blick auf die Bilanz seines Unternehmens wirft, der verpasst oft substanzielle Veränderungen“, sagt Peter Leibfried, Professor für Rechnungslegung und Wirtschaftsprüfung an der Universität St. Gallen. Nicht erkannt haben viele Investoren schon viele Gefahren, die in den Bilanzen der Unternehmen schlummern. So durften und dürfen etwa Banken einen Großteil ihrer Vermögenspositionen selbst schätzen.

Bilanzen sind immer noch nicht sauber

Der Effekt ist bekannt: Billionen an dem Anschein nach wertvollen Vermögen bilanzierten die Geldinstitute. Und – naive Investoren zogen lange Zeit mit: Sie jazzten die Papiere der Banken angesichts vermeintlich blendender Bilanzen so hoch, dass der Sektor vor Beginn der Finanzkrise beispielsweise mehr als 22 Prozent der Gesamtkapitalisierung des breiten S&P-500-Index ausmachte. Das Ergebnis der Luftbuchungen ist bekannt. Pleiten und Rekapitalisierungen sind bis heute die Folge; mit Beginn der Krise im Sommer 2007 verloren S&P-500-Bankpapiere binnen 18 Monaten 77 Prozent an Wert; der Kurs der Deutschen Bank liegt heute, fünf Jahre nachdem die Blase in den Bilanzen platzte, immer noch drei Viertel unter seinem Hoch.

Auch jetzt sind viele Bilanzen nicht sauber, lassen sich in den Zahlenwerken der Unternehmen Milliardenbeträge an fehlgebuchtem Kapital finden, bildet sich eine neue gigantische Blase, die von vielen Investoren und Analysten ignoriert wird.

Zu viel Geld hingeblättert

Der Bilanzposten, der derzeit die größte Gefahr für das Vermögen der Aktionäre an ihrem Unternehmen in sich birgt, heißt Goodwill, im Deutschen auch Firmenwert genannt. „Hier gibt es ein enormes Abschreibungspotenzial, das zu erheblichen Gewinneinbrüchen führen kann“, sagt Gerrit Brösel, Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Wirtschaftsprüfung, an der Fernuniversität Hagen.

Ein Firmenwert oder eben Goodwill taucht immer dann in der Bilanz als eine Vermögensposition auf, wenn Unternehmen bei Übernahmen zu viel Geld auf den Tisch gelegt haben; wenn sie mehr bezahlten, als das im Nachgang der Übernahme ermittelte Vermögen der neuen Tochter wirklich wert ist (siehe Grafik). Skurril, aber wahr: Dann erlauben die Bilanzregeln, diese Prämie auf die neu eingekaufte Tochter als Zusatzvermögen in die Bilanz zu buchen, eben als sogenannten Goodwill oder Firmenwert. Noch hübscher für die Finanzchefs der Unternehmen: Früher mussten sie dieses Zusatzvermögen, die Übernahmeprämie also, regelmäßig abschreiben, über 10 bis 15 Jahre. Investoren hatten also die Gewissheit, dass heiße Luft nach Übernahmen sukzessive aus der Bilanz genommen wurde. Seit zehn Jahren jedoch dürfen die Unternehmensvorstände nach einer dramatischen Änderung der Bilanzregeln mehr oder weniger nach Lust und Laune abwerten oder nicht.

Keine Überraschung: Sie tun es seither so gut wie nicht mehr oder nur dann, wenn sich überbewertetes Vermögen nicht mehr vertuschen lässt.

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