Blockchain Der stromfressende Alleskönner

Die Technik hinter den Bitcoins ist weit über die Finanzbranche hinaus einsetzbar. Doch die anfängliche Euphorie ist abgeflaut. Wenige Projekte werden umgesetzt. Ein Problem ist der teils absurd hohe Energieverbrauch.

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Der Blockchain-Technologie wird branchenübergreifend großes Potenzial zugeschrieben. Quelle: AP

New York Die Regierung in Dubai will ganz modern sein. Man könnte einwerfen, dass der Stadtstaat sich zunächst einmal demokratisieren sollte. Aber er hat sich ein anderes Ziel gesetzt: “Wir wollen in Dubai bis 2020 die weltweit erste Regierung auf Blockchain-Basis haben“, hieß es in einer Ankündigung vom April.

Anne Conelly, stellvertretende Chefin der Organisation Blockchain Canada, kennt noch weitere interessante Projekte. Flüchtlinge sollten ihrer Meinung nach künftig ihre persönlichen Daten einschließlich Berufsabschlüssen auf einer Blockchain speichern, sagte sie vor kurzem auf einer Veranstaltung in New York. Dann könnten sie sich jederzeit ausweisen, wo immer ihre Flucht sie auch hinträgt. Außerdem beschrieb sie eine Revolution bei Nahrungsmittel-Hilfen in Krisengebieten. Bisher gibt es dort ein Dilemma: Die direkte Lieferung von Lebensmitteln zerstört die örtlichen wirtschaftlichen Strukturen, bei der Aushändigung von Geld kann es aber zu Zweckentfremdung kommen. Die Blockchain soll die Lösung bringen. Bedürftige bekommen virtuelle Münzen auf ihr Smartphone gespielt, die sie in bestimmten Läden in Lebensmittel umtauschen können. Tatsächlich hat das United Nation’s World Food Program dieses System gerade schon bei rund 10.000 Flüchtlingen aus Syrien eingesetzt und will es vor allem in Jordanien noch deutlich ausdehnen, bis Ende 2018 auf alle Flüchtlingen in diesem Land.

Die Blockchain scheint also eine Art Zaubermittel zu sein. Entwickelt wurde sie als technisch tragendes System für die virtuelle Währung der Bitcoins. Weitere Projekte starteten zunächst im Finanzsektor. Aber inzwischen ist diese Technik als eine Art Alleskönner in vielen Branchen bekannt – und darüber hinaus auch zur Bewältigung öffentlicher Ausgaben gefragt. Das Problem dabei nur: Weil die Begeisterung vor wenigen Jahren so hohe Wellen schlug, macht sich jetzt eine gewisse Ernüchterung breit. Denn es zeigen sich jede Menge Probleme in der Umsetzung.

Schon der Begriff „Blockchain“ ist verwirrend. Zum Teil ist damit nur die Technik hinter den Bitcoins samt einiger Abwandlungen gemeint. Manchmal werden auch alternative Konzepte wie etwa Ripple, ein Bezahlungssystem für Banken, so genannt. Man unterscheidet öffentliche Blockchains, in die sich jeder mit seinem Computer einklinken kann, von privaten, die nur ausgewählten Mitgliedern zur Verfügung stellen. Es gibt auch Blockchain-Lösungen ohne wirkliche Blockchains. Denn ihren Namen hat die Technik davon, dass bestimmte Datensätze, die allen Teilnehmern zur Verfügung stehen, eine Rolle spielen. Diese sogenannten Blocks werden dann aneinander gehängt und bilden eine Kette, die „Chain“. Bei manchen Konzepten, etwa denen des Bankenkonsortiums R3, werden aber gar nicht jedem alle Daten übermittelt, sondern jeder soll nur die Informationen bekommen, die ihn selber angehen. R3-Chef David Rutter spricht daher lieber von „DLT“, das steht für „Distributed Ledger Technology“.

In der Tat bezeichnet DLT sehr genau, was der Clou der neuen Zaubertechnik ist. Es handelt sich um eine dezentrale Buchhaltung. Egal ob es um Zahlungen, Grundstücke, Gesundheitsdaten, Pass-Informationen, Lieferketten von Warenhäusern wie Wal-Mart, Wertpapiere, Energierechte oder was auch immer geht: In jedem Fall muss irgendwo Buch geführt werden, damit jeder den Überblick behält und weiß, was ihm zusteht und was nicht.

In Griechenland gab es zum Beispiel bis vor wenigen Jahren kein Katasteramt, mit der Folge dass Eigentumsrechte an Grundstücken oft unklar waren, was im Einzelfall sogar zu Prügeleien führen konnte. In den USA ist Identitäts-Diebstahl ein riesiges Problem – auch dagegen könnte eine eindeutige, umfassende Erfassung von Daten helfen. Zahlungen und Wertpapiergeschäfte müssen ordentlich abgewickelt – also verbucht – werden. In diesem Bereich finden die meisten Pilotprojekte zur Blockchain statt. Das mächtige Clearing-Haus DTCC in den USA etwa stellt einen guten Teil seines Derivate-Geschäfts auf die neue Technik um.


Etablierte Konzerne mischen mit

Mit der Blockchain findet die Buchhaltung nicht mehr in einer zentralen Instanz statt. Stattdessen gibt es eine Software, die allen Beteiligten in identischen Kopien zur Verfügung steht. Jeder kann so in die Buchhaltung einsehen. Außerdem, und das macht es kompliziert, kann auch jeder Beteiligte Buchungen vornehmen. Diesen Punkt haben alle Techniken, die mit „Blockchain“ oder „DLT“ oder ähnlich bezeichnet werden, gemeinsam.

Das Problem ist offensichtlich: Wenn jeder buchen darf, wer passt dann auf, dass nichts falsch verbucht wird? Bei privaten Blockchains ist das relativ einfach. Die Teilnehmer sind bekannt. Jeder Buchungsvorgang wird jedem bekanntgegeben, und wenn alle einverstanden sind, kann der nächste „Block“ geschrieben und die „Chain“, die Kette verlängert werden.

Bei öffentlichen Blockchains ist es schon schwieriger. Die Lösung bei der Blockchain, auf der die Bitcoins beruhen, ist das so genannte „Mining“. Das besteht darin, automatisch künstlich erschwerende Mathematik-Aufgaben zu stellen. Wer eine Aufgabe schafft, darf den nächsten Block schreiben und wird dafür mit Bitcoins belohnt, daher die Bezeichnung „Mining“. Die Idee ist, das Buchen so zu erschweren, dass immer nur einzelne Teilnehmer es schaffen, und vor allem, dass es nicht nachträglich gefälscht werden kann. Denn wer immer etwas in einem früheren Block fälschen will, muss alle nachfolgenden auch fälschen, weil die Blöcke mit einander verzahnt sind. Der Fälscher müsste die bisher gültige Blockchain überholen, denn die Software zählt immer die längste Kette als gültig. ¬ Dieser Überholversuch wäre ein wenig aussichtsreiches Verfahren, wenn man nicht mehr Software-Power hat als der Rest der Teilnehmer zusammen.

Das Mining funktioniert etwa so, als würde man allen Autos nur erlauben, mit voll angezogener Bremse zu fahren. Die mit den stärksten Motoren kommen dann trotzdem noch von der Stelle. Das hilft, dass alles langsamer vorangeht und kein Verkehrschaos entsteht, ist aber offensichtlich kein sehr energieeffizientes Verfahren. Laut der Website Digiconomist.net verbraucht eine einzige Bitcoin-Transaktion mittlerweile so viel Energie wie fünf US-Haushalte an einem Tag. Das gesamte System dieser virtuellen Münzen schluckt 0,07 Prozent des weltweiten Stroms. Hinzu kommt, dass das Netz überlastet ist und die Zahlungen deswegen zum Teil langsam ablaufen.

Diese Probleme bei Bitcoins zeigen, dass es kein Kinderspiel ist, öffentliche Blockchains zu errichten. Sie können überlastet und ineffizient werden, und dann stellt sich jedes Mal die Frage, wer das Netz wie erweitern darf. Außerdem ist der immense Energieverbrauch einfach nicht zu tolerieren.

Es ist daher kein Zufall, dass bei der Umsetzung in die Praxis bisher Projekte im Vordergrund stehen, die auf privaten Blockchains beruhen. Das heißt aber: Es geht meist um Verbünde von Unternehmen. Vor kurzem haben zum Beispiel sieben europäische Banken angekündigt, dass sie basierend auf dieser Technik Kredite an kleine und mittlere Unternehmen vergeben wollen. Unternehmen wie Chain.com bauen jedem Kunden nach Maß die Blockchain, die er gerade braucht.

Dieser Markt hat inzwischen viele Anbieter, aber noch eine relativ verhaltene Nachfrage. Der Meinung ist jedenfalls der Investor Mike Sigal aus dem Silicon Valley. Er würde zurzeit kein Geld mehr in reine Blockchain-Anbieter stecken, sagte er vor kurzem im Interview, sondern eher nach interessanten, neuen Anwendungen ausschauen. Die Blockchain-Technik ist inzwischen auch kein Spielfeld mehr, auf dem sich nur kleine, neue Unternehmen tummeln. IBM ist bei vielen Projekten dabei, und Berater wie Accenture haben das Thema ebenfalls längst entdeckt.


Internet der Werte

Die Verlängerung der dezentralen Buchhaltung sind so genannte Smart Contracts. Also Verträge, die sich automatisch erfüllen. Damit kann nicht nur jeder buchen, sondern das System bucht auch selber. In Australien wurde zum Beispiel mit AgriDigital ein Unternehmen gegründet, bei dem Bauern ihr Getreide an Großhändler verkaufen und bei Lieferung automatisch bezahlt werden. Emma Weston, Farmerin und Chefin der Firma, will damit die gesamte Agrarbranche revolutionieren. Entstanden ist das Projekt aus dem Ärger vieler Farmer darüber, dass die Händler immer wieder Zahlungen verschleppt haben. Mit einem Smart Contract passiert das nicht mehr, bei Lieferung wird die Zahlung automatisch ausgelöst. Sigal nennt in dem Zusammenhang auch Container als Anwendungsbeispiele. Sie könnten künftig per Blockchain ihren Weg durch die Welt finden und bei Ankunft automatisch die Bezahlung auslösen. „Überlegen Sie mal, wie viel Papierkram man damit spart“, sagt er.

In diesem Anwendungsbereich ist die Technik von Ethereum besonders stark und damit zurzeit der Hit in der Szene. Sie funktioniert ähnlich wie bei den Bitcoins, aber erleichtert es, Smart Contracts zu programmieren. Die zugehörige virtuelle Währung heißt Ether. Die Gründer dieses Projekts, allen voran der Kanadier Vitalik Buterin, würden gerne auch eine Alternative zum aufwendigen Mining finden, doch bisher gab es keine Erfolgsmeldung. Dafür gab es bei Ethereum zuletzt aber technische Probleme und davor einen Hacker-Angriff, bei dem Ethers in Millionenwert gestohlen wurden. Darauf hat die Ethereum-Community die ganze Blockchain umprogrammiert, um den Diebstahl ungeschehen zu machen. Diese Aktion hat heftige Diskussionen ausgelöst, weil sie natürlich den Anspruch infrage stellt, dass Blockchains im Nachhinein nicht fälschbar seien.

Schaut man nach vorn, dann sind zwei Entwicklungen denkbar. Einmal kann es passieren, dass Blockchains mehr oder minder selbstverständlich werden, einfach eine neue Art von Software, die kostengünstiger und organisatorisch einfacher einzusetzen ist als bisherige Systeme. Die andere Variante ist, dass es in etwas weiterer Zukunft doch noch die große Revolution gibt, die Blockchain-Propheten wie der Unternehmer und Autor Don Tapscott voraussagen. Das würde bedeuten, dass die Energie- und Kapazitätsprobleme gelöst werden und sich ein ganzes System von Blockchains bildet, die untereinander vernetzt sind und ein „Internet der Werte“ bilden, das ähnlich wie das heutige Internet Branchen umkrempelt und neue Geschäftsmodelle hervorbringt. Möglich ist das durchaus. Das erste Internet hat nach anfänglicher Euphorie ebenfalls zunächst eine Enttäuschung mit dem Platzen der Tech-Blase an den Börsen um die Jahrtausendwende erlebt. Erst danach sind die meisten Firmen wie Google und Facebook entstanden, die heute das große Geschäft im Netz machen.

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