Börse 2017 Warum Prognosen oft so wenig wert sind

Zum Jahresende sollen die Entwicklungen für 2017 vorhergesagt werden. Das geht häufig schief. Dafür gibt es Gründe - und es ginge besser.

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Prognose 2017: An der Börse ist alles möglich, auch das Gegenteil. Quelle: Getty Images

Es ist wieder so weit: Das Jahr geht zu Ende – die Hochzeit für Prognosen zur Wirtschaftsentwicklung beginnt. Fatal nur, dass die Prognosen in den Unternehmen für das Geschäftsjahr 2017 und für Investitionsplanungen an der Börse abermals auf Hochrechnungen von Ökonomen und auf Umfrageergebnissen unter Wirtschaftsvertretern basieren.

Donald Trump tritt sein Amt als US-Präsident an, in Deutschland steht die Bundestagswahl auf dem Plan, der Vollzug des Brexits steht an. Und wer weiß, wie es 2017 mit den kränkelnden europäischen Staaten weitergeht. Aussichten, die heute schon auf die Stimmung der Manager, Politiker und Wirtschaftsexperten drücken. Wie sollen in dieser von Skepsis – ja schon fast Angst – geprägten Gemütslage realistische Prognosen entstehen?

Und selbst die Wirtschaftswissenschaftler streiten sich, ob Prognosen überhaupt möglich sind. Sehr bezeichnend ist der Ausspruch von Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph E. Stiglitz: „Die Ökonomie ist die einzige Wissenschaft, in der sich zwei Menschen einen Nobelpreis teilen können, weil ihre Theorien sich gegenseitig widerlegen.“ Und darauf werden Hochrechnungen in Unternehmen und Anlagestrategien für die Börse begründet?

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Prognosen der Ökonomen auf eingeschränkter Grundlage

Das mutet schon ein bisschen wie Bleigießen an – pure Glücks- und Interpretationssache, was dabei rauskommt.

Schauen Sie sich die Prognosen für das Börsenjahr 2016 an, die sich auf den Erkenntnissen der Ökonomen begründen: Im Dezember des vergangenen Jahres rechneten einige Analysten mit einem Rekordjahr 2016. Andere Experten prognostizierten große Schwankungen an den Märkten. Manche Strategen erwarteten nach dem ersten Quartal 2016 aufgrund einer globalen Nachfrageabkühlung und der Euro-Stärke einen massiven Druck auf die Dax-Unternehmen.

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Und es kam: anders. Obwohl die Prognosen der Ökonomen mithilfe unterschiedlichster Modelle und verschiedener Szenarien eine fundierte Grundlage bieten sollten, fanden der China-Crash, die Kurseinbrüche nach dem Brexit-Votum und der Ausgang der US-Präsidentschaftswahl in der Vorausschau keine Berücksichtigung.

Natürlich hilft die kontinuierliche Forschung der Volkswirte, ein besseres Verständnis über die globalen Zusammenhänge und Wirkungsweisen der Märkte zu bekommen. Selbstverständlich bieten die Prognosen zur Wirtschaftsentwicklung Orientierung für den nächsten Planungszyklus in Unternehmen, ermöglichen die Abschätzung künftiger Umsätze und damit die Planung der Investitionen. Erkenntnisse über anstehende Trendwenden an den Märkten liefern sie allerdings nicht.

Fortschreibung der aktuellen Stimmungslage

Denn Prognosen zur Wirtschaft und Konjunktur wie beispielsweise der Ifo-Geschäftsklimaindex, der als Frühindikator für konjunkturelle Entwicklungen gilt, sind von Menschenhand gemacht – von Menschen, die sich von der aktuellen Stimmungslage an den Märkten leiten lassen.

Genau betrachtet lassen sich die befragten Manager in ihrer Beurteilung wie jeder andere Mensch von der aktuellen Marktlage und den Stimmungen (ver-)leiten. Auch Top-Manager sind nicht immun dagegen. Genauso wenig wie die Finanzexperten, die Prognosen zur Börsenentwicklung abgeben. Dass sich auf dieser Basis die künftige Entwicklung voraussagen lässt, halte ich für mehr als fragwürdig.

Und ob diese Erwartungen von Wirtschaftsweisen oder befragten Managern wirklich eintreffen, ist erst in der Retrospektive erkennbar. Dann, wenn das Kind für den Unternehmer oder Anleger oft schon in den Brunnen gefallen ist. Prognosen und Hochrechnungen stellen somit lediglich eine Fortschreibung des aktuellen Trends dar – und stimmen dann natürlich kurzfristig auch mit der Prognose überein.

Ganz ohne Glaskugel

Diese vorausgesagte Entwicklung kann eintreten oder eben auch nicht. Die Wahrscheinlichkeit liegt bei 50 Prozent. Deshalb bieten diese konjunkturellen Indikatoren auch gar keine souveräne Entscheidungsgrundlage. Die Frage „Investieren oder nicht?“ bleibt unbeantwortet.

Das internationale Kapital als Frühindikator

Bei der Beantwortung hilft ein Blick auf das Zusammenspiel von Wirtschaft und Börse. Bekanntlich laufen die Finanzmärkte der Wirtschaft voraus. Besonders deutlich ist das zu sehen, wenn die Aktienkurse in Boomjahren mit hohem Wirtschaftswachstum bereits einbrechen.

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Denn die Entwicklung der Auftragseingänge korreliert mit den Börsenkursen eines Landes. Die Auftragseingangskurve geht wiederum den Umsatzkurven voraus. Alles Faktoren, die in die spätere Berechnung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und des Wirtschaftswachstums einfließen, auf denen dann wiederum die Prognosen fußen. Die entscheidende Frage ist jedoch: Welche Fakten lassen in einem Frühstadium Rückschlüsse auf Veränderungen am Markt zu?

Ein erstes und vor allem solides Frühwarnsystem ist das internationale Kapital, das für Auf- oder Abschwünge an der Börse besonders sensibel ist. Beispiele gibt es zuhauf, etwa 2009. Die Weltwirtschaft durchschritt im Jahr eins nach den schweren Beben an den Finanzmärkten eine tiefe Rezession. Zuvor waren die Aktien bereits seit über einem Jahr gefallen. Und diese Finanzkrise ist kein Einzelfall: Im Januar 1960 erreichte der Dow Jones sein Hoch mit 685 Punkten und fiel dann kontinuierlich. Vier Monate später gerieten die USA in eine Rezession, die bis zum Februar 1961 andauerte. Aber schon im Oktober 1960 erreichte der Dow Jones mit 566 Punkten sein Tief und die Kurse stiegen wieder an – also lange vor dem Ende der Rezession.

Wer als Unternehmer und Anleger neben den Prognosen zur wirtschaftlichen Entwicklung also auf das internationale Kapital schaut, kann seine Investitionsentscheidungen auf einem wirklich aussagekräftigen Frühindikator stützen.

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Mit dem Strom und dagegen

Mit einem Blick auf das Zusammenspiel der Aktienmärkte mit den Geld-, Anleihe-, Rohstoff- und Devisenmärkten lassen sich Pro und Kontras für den Ein- und Ausstieg an der Börse ableiten. Besonders interessant: In welche Branchen und Länder investiert das internationale Kapital? Welche Bereiche meidet es? Diese Investitionen in oder der Rückzug aus bestimmten Aktienmärkten initiiert nicht nur häufig eine Trendwende, sondern verstärkt anschließend auch den darauffolgenden Trend.

Wer diese also unmittelbar erkennt und konsistent zu seiner Anlagestrategie frühzeitig reagiert, kann von einem Trendwechsel profitieren. Grundsätzlich gilt hier: Steigen Sie eher antizyklisch zur vorherrschenden Stimmung ein und aus, schwimmen Sie im Trend allerdings mit dem Strom.

Liegt der Aktienmarkt nahe dem Allzeit- oder 52-Wochen-Hoch bedeutet dies nicht automatisch, dass eine Wende nach unten bevorsteht. Erst wenn sich die Warnhinweise zum Beispiel aufgrund steigender Zinsen und Rohstoffpreise häufen und Aktien tatsächlich hoch bewertet sind, ist davon auszugehen, dass nicht mehr viel Spielraum nach oben besteht. Und darauf wird das internationale Kapital zeitnah reagieren.

Spätestens dann ist auch für private Anleger der Zeitpunkt gekommen, die Segel zu streichen und vor einer erneuten Trendwende auszusteigen. Dazwischen können Sie getrost mit dem Markt nach oben schwimmen.

Das Betrachten der Strömungen an den Finanz- und Kapitalmärkten bietet also Unternehmern und Anlegern die Möglichkeit, frühzeitig auf einen Auf- oder Abschwung an der Börse und damit auch in der Wirtschaft zu reagieren. Ganz ohne Glaskugel.

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