Börse Ostdeutsche Scheu vor dem Aktienmarkt

Hunderte Firmen sind an den Börsen notiert – eine Minderheit stammt aus Ostdeutschland. Warum diese Scheu vor dem Aktienmarkt, an dem sich doch so viel Geld einsammeln lässt? Zwei Ost-Kandidaten versuchen ihr Glück.

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Die Thüringer feierten am Donnerstag Premiere auf dem Frankfurter Parkett. Quelle: dpa

Weimar/Frankfurt Bei Ulrich Weitz ist das Telefon im Dauereinsatz. Interessierte Privatanleger rufen an, Fondsmanager, Geschäftspartner. Denn der Vorstandschef des Weimarer Industriedienstleisters Ibu-Tec AG traut sich etwas, was es seit Jahren in den ostdeutschen Bundesländern nicht gab: Er bringt seine Firma an die Börse. Die Thüringer Ibu-Tec feiert am Donnerstag Premiere auf dem Frankfurter Parkett. Rund 1,2 Millionen Papiere wurden zuvor an Investoren verkauft – für 16,50 Euro das Stück. Der erste Kurs liegt auf Xetra mit 16,70 Euro über dem Ausgabepreis.

Als er aufblinkt, sehen viele genauer hin. Denn die kleine Weimarer Aktiengesellschaft steht auch für eine Premiere am neuen Börsensegment Scale, das es in Frankfurt seit März für kleine und mittlere Unternehmen gibt. Weitz spricht von einem gelungenen Debüt: Für seine Firma, die er nach Berufsjahren im Management von Konzernen 2001 übernahm, aber auch für das neue Börsensegment, für das Ibu-Tec den „Eisbrecher“ spiele. Der erste Handelstag verläuft allerdings ziemlich durchwachsen: Am Nachmittag ist der Kurs bei 16,52 Euro fast wieder auf den Ausgabepreis gesunken.

Mit einem Superlativ versucht es auch der zweite ostdeutsche Börsenkandidat nach der langen Durststrecke. Der Erfurter Halbleiterkonzern X-Fab SE steuert die Pariser Börse Euronext an. Von einer der größten Aktienemissionen in der europäischen Technologieszene in diesem Jahr ist die Rede. Der Schaltkreishersteller, der einen ersten Börsenanlauf vor mehr als zehn Jahren abgebrochen hatte, rechnet mit einem Emissionsvolumen von 440 bis 492 Millionen Euro. Noch läuft die Zeichnungsfrist für die Anteilsscheine. Am 6. April sei die Erstnotierung geplant, sagt Vorstandschef Rudi De Winter.

Ibu-Tec und X-Fab gehören damit zu den Börsensonderlingen in Ostdeutschland. Nach Schätzungen gibt es davon etwa zwei Dutzend Firmen in den fünf ostdeutschen Bundesländern, davon jeweils etwa zehn in Thüringen und Sachsen. Dafür Fehlanzeige in Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Die bedeutendsten sind die Jenoptik AG und die Carl Zeiss Meditec AG - beide aus Jena und beide im international beachteten Technologiewerteindex TecDax.


„Börsengänge sind interessant, wenn man Kapital baucht“

Zu den bekannteren Ost-Vertretern auf den Kurszetteln gehören der Windkraftanlagen-Hersteller Nordex – der in Rostock produziert, aber in Hamburg seine Verwaltung hat –, der Leipziger Gasversorger VNG AG mit einem Jahresumsatz von 7,2 Milliarden Euro 2016 oder der einstige Jenaer Internetpionier Intershop AG. Zum Vergleich: Allein in Frankfurt sind derzeit knapp 630 Firmen notiert, so ein Sprecher der Deutschen Börse AG. Wann es vor Ibu-Tec Ost-Börsengänge in Frankfurt gab, konnte er nicht sagen. Die bisher letzten waren Berliner: 2015 der Kabelnetzbetreiber Tele Columbus und 2014 der Internethändler Zalando.

Warum gibt es diese ostdeutsche Scheu vor dem Aktienmarkt? Joachim Ragnitz vom ifo Institut in Dresden nennt mehrere Gründe: „Börsengänge sind nur interessant, wenn man Kapital braucht. Aber viele Unternehmen haben diese Wachstumsstrategie nicht“, sagt er. Die beiden Neulinge schon.

X-Fab will nach eigenen Angaben einen Großteil der Einnahmen in die Erweiterung seiner Fabriken in Deutschland, Frankreich, Malaysia und den USA stecken. In Deutschland seien nennenswerte Investitionen in Erfurt und Dresden geplant. Das Unternehmen beschäftigt 3800 Mitarbeiter, darunter 770 in Erfurt und 450 in Dresden.

Der gebürtige Weimarer Weitz von Ibu-Tec liebäugelt mit einem weiteren Standort – das Geschäft beispielsweise mit Pulverwerkstoffen für Batterien von E-Autos oder Speicher für Ökoenergie wuchs in den vergangenen Jahren zweistellig.

Weitere Gründe für die Ost-Börsenabstinenz sieht Experte Ragnitz in den Kosten – etwa 4,5 Prozent des Emissionsvolumens – und der Scheu von Mittelständlern, „sich nackig zu machen“. Denn börsennotierte Firmen müssen für ihre Aktionäre Transparenz herstellen mit strengen Berichtspflichten zum Geschäftsverlauf. Ragnitz nennt aber auch einen positiven Grund: Die Eigenkapitalschwäche von Ost-Firmen, über die lange diskutiert wurde, gehöre der Vergangenheit an. „Inzwischen haben Ost-Unternehmen im Durchschnitt eine bessere Eigenkapitalquote als West-Unternehmen.“

Nun besteht Hoffnung für Börsenneulinge, nicht nur aus dem Osten: Michael Muders, Fondsmanager bei Union Investment, hält 2017 eine Gesamtzahl „im eher niedrigen zweistelligen Bereich“ für möglich. Die Frankfurter Börse spricht von mehr als zehn – 2016 waren es noch sechs.

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