Börse Warum ich noch nie eine Aktie verkauft habe

Wenn die Kurse einbrechen, muss man vor allem cool bleiben. Denn spätpubertärer Gruppendruck ist Gift fürs Geld. Bekenntnisse eines Börsenmuffels.

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An der Börse heißt es Ruhe bewahren Quelle: Getty Images

Ich bin ein Börsenmuffel. Wenn ich mich so provokativ vor Interviewpartnern oder Kollegen oute, ernte ich regelmäßig irritierte Blicke. Das ist verständlich, schließlich erwarten Leser von Wirtschaftsjournalisten zu Recht, dass sie sich mit den Hochs und Tiefs der Kapitalmärkte auseinandersetzen und die Fallstricke rund um Leerverkäufe, Kapitalertragsteuern oder Mindesthaltedauern kennen.

Diese Voraussetzungen erfülle ich auch, vielleicht sogar gründlicher als der eine oder andere Börsenenthusiast. Denn Börsenmuffel zu sein, heißt für mich nicht, dass mir egal wäre, was in der Welt der Aktien, Anleihen und Derivate passiert. Im Gegenteil, damit beschäftige ich mich als Diplom-Kaufmann und WirtschaftsWoche-Redakteur stündlich. An Tagen wie diesen, wenn die Kurse plötzlich besonders tief stürzen, sogar minütlich.

Das bedeutet aber nicht, dass ich Tipps parat hätte, welches spezielle Wertpapiergeschäft wann und wie zu einem höheren Gewinn führt, als ein Investment in die Breite des Gesamtmarkts. Wer sich ähnlich einschätzt und sich angesichts dieser Unkenntnis dumm vorkommt, sollte nicht verzweifeln.

Die größten Fehler der Anleger

Denn das Wissen über das eigene Unwissen schützt davor, sich mit vermeintlichen Anlagestrategien zu verzetteln oder zu ruinieren. Die Kenntnis der eigenen Unkenntnis ist die Voraussetzung für eine ausgeruhte Haltung gegenüber der Börse. Der richtigen Haltung, wie ich finde – auch wenn manche sie als verschlafen bezeichnen.

Kredo: Rationale Untätigkeit

Wer konkrete Anlagetipps sucht und an diese glaubt, braucht nicht weiterzulesen. Wer sich dagegen eine Grundeinstellung zu den Themen Kapitalmärkte und Geldanlage bilden will, könnte hier in aller Kürze den einen oder anderen hilfreichen Hinweis finden. Keine Angst, diese Hinweise kommen nicht alle von mir.

„Rationale Untätigkeit“ ist so ein Kredo, welches nicht von mir stammt, das mir aber im Zusammenhang mit der Debatte über Haussen und Baissen sehr gut gefällt. Dieses Motto ist Titel einer aktuellen Pressemitteilung. In dieser informiert die Frankfurter Goethe-Universität über die Forschungsergebnisse ihres Professors für Altersvorsorge und Portfoliomanagement, Raimond Maurer, gemeinsam mit seinen internationalen Kollegen Hugh Hoikwang Kim (Universität Seoul, Südkorea) und Olivia Mitchell (Universität von Pennsylvania, USA).

Diese Meldung und ihr Titel „Rationale Untätigkeit“ mit Blick auf die private Geldanlage sind der Grund, warum in einer Redaktion von lauter Börsenenthusiasten ausgerechnet ein Börsenmuffel ermuntert wurde, sich um das Thema zu kümmern.

Was Investoren für die lukrativste Geldanlage halten

Was sonst so passiert, wenn Börsenenthusiasten auf Börsenmuffel treffen, zeigt folgendes Zitat aus einem der stets konstruktiven Streitgespräche, die ich regelmäßig mit einer von mir sehr geschätzten Kollegin führe. „Du bist einfach nur zu faul und zu feige, um richtig zu investieren“, sagte mir neulich diese Kollegin, die es gut mit mir meint und die ich unter anderem wegen ihrer Ehrlichkeit sehr schätze.

Das war vor dem Karnevalskater an der Börse und vielleicht hat die Kollegin mich gar nicht als faul bezeichnet, sondern nur als feige und die Faulheit habe ich mir eingebildet. Das würde ins Bild passen, denn den Vorwurf der Faulheit macht man sich selbst, wenn man Angst hat, etwas zu verpassen.

Bei dem netten Streitgespräch wäre „Rationale Untätigkeit“ eigentlich die sehr viel diplomatischere Formulierung gewesen als „Faulheit“. Doch die Kollegin ist, wie gesagt, ehrlich. Wenn ich demnächst von höflichen aber unehrlichen Menschen als „rational untätig“ bezeichnet werden sollte, wüsste ich genau, was gemeint wäre.

Damit sind wir bei der Psychologie und Psychologie ist Gift fürs Geld. Beispiel gefällig? Oft gab es Situationen, in denen ich mir mit meinem börsentechnischen Nichtstun ausgegrenzt vorkam. Als zu Beginn meines BWL-Studiums der sogenannte Neue Markt mit seinen verheißungsvollen Software- und Biotechnikwerten entstand, gehörte es zum guten Ton, sich dort zu tummeln.

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