Mit drei Börsengängen im Juni startet die IPO-Saison 2017 durch. Aktuell zum Verkauf stehen der Essenslieferdienst Delivery Hero, die Pizza- und Pastakette Vapiano sowie der Immobilienentwickler Noratis. Und es geht gleich euphorisch los: Bei Delivery Hero übertrifft die Nachfrage von Investoren und Anlegern schon am ersten Tag der Zeichnungsfrist die für das Angebot zur Verfügung gestellten Aktien. Insgesamt 1,2 Milliarden Euro können bei allen drei Unternehmen investiert werden. Gleichzeitig setzt der Aktienindex Dax zu einem Rekordsprung an.
Langfristig orientierte Anleger sollten sich von dem Kaufrausch nicht anstecken lassen. Zwar sind angesichts der guten Stimmung Zeichnungsgewinne möglich, wenn die Kurse der Börsenaspiranten kurz nach der Erstnotiz kräftig zulegen. Doch als Anlageobjekt eignet sich nicht jeder der drei Kandidaten.
Delivery Hero will Kapitalgeber auszahlen
Fangen wir an mit dem größten Brocken, Delivery Hero, mit seinem Großaktionär Rocket Internet. Weniger als die Hälfte des Emissionserlöses von fast einer Milliarde Euro wird dem Unternehmen selbst zufließen. Dieses wiederrum steckt einen Großteil des bei ihm ankommenden Anlegergeldes in die Tilgung von Bank- und Gesellschafterdarlehen. Die neuen Aktionäre sollen also vorwiegend alte Kapitalgeber auszahlen, statt in den Ausbau des Geschäfts zu investieren.
Börsengang: Fakten und Begriffe
IPO steht für „Initial Public Offering“, was so viel wie „erstmaliges öffentliches Angebot“. Im Angelsächsischen spricht man bei einem Börsengang auch von „going public“. Es geht also um den Börsengang, der Anlegern erstmals öffentlich Teile des Unternehmens in Form vom Aktien anbietet. Die Aktien sind dabei ein – meist winziger – verbriefter Anteil am Eigenkapital eines Unternehmens.
Eine Neuemission ist ein Angebot neu geschaffener Wertpapiere. Das können Aktien, Anleihen, Zertifikate oder sonstige Wertpapiere sein. Kommen etwa bei einem Börsengang neue Aktien aus einer Kapitalerhöhung auf den Markt, spricht man von einer Neuemission.
Sie legt den Zeitraum fest, innerhalb dessen ein Anleger neu emittierte Wertpapiere zeichnen kann, also sich durch schriftliche Erklärung die Übernahme eines bestimmten Betrags zusichern kann. Nur wenn die Nachfrage schwach ist, wird eine Zeichnungsfrist auch mal verlängert.
Vor Beginn der Zeichnungsfrist nennt das Unternehmen eine Preisspanne, zum Beispiel von 20 bis 25 Euro. Die Investoren teilen dann mit, wie viele Aktien sie zu übernehmen bereit sind und nennen dafür einen Preis innerhalb der Preisspanne. Kommen nicht genug Anfragen zusammen, kann das Unternehmen – der Emittent – die Preisspanne auch senken. Aus den Zeichnungsaufträgen ermittelt der Emittent dann den Ausgabepreis, zu dem es die Aktien den Investoren überlässt.
Bei vielen Börsengängen können über das genannte Emissionsvolumen hinaus in den Tagen nach der Erstnotiz an der Börse weitere Aktien ausgegeben werden. Diese Mehrzuteilung wird auch Greenshoe genannt. Sie kommt bei hoher Nachfrage nach den Wertpapier zum Einsatz. Wie groß der Greenshoe ist, muss im Börsenprospekt stehen.
Nachdem die Aktien zum Ausgabepreis an die Anleger verteilt worden sind, wird es ernst: Die Aktien werden zum ersten Mal an der Börse gehandelt. Aus Kauf- und Verkaufsangebot wird der erste Kurs im Handel ermittelt – die Aktie notiert zum ersten mal an der Börse. Die Erstnotiz erfolgt zum angekündigten Datum, der erste Handelskurs sollte über dem Ausgabepreis liegen.
Wertpapiere, die an einer Börse gehandelt werden, unterliegen bestimmten Spielregeln. An einem regulierten Markt sind diese besonders umfassend und verlangen zum Beispiel Banken, die den Handel betreuen und Berichtspflichten, wie die Veröffentlichung von Quartalsberichten nach bestimmten Vorschriften. Am unregulierten Markt sind die Vorschriften lascher und die eine Überwachung des Handels – etwa bei der Kursbestimmung - greift nicht.
Beim Börsengang kommt eine zuvor festgelegt Zahl an Aktien in den Börsenhandel. Der Wert all dieser Aktien zusammen entspricht dem Platzierungsvolumen. Dabei kann es sich um neue Aktien aus einer Kapitalerhöhung (Neuemission) oder um Aktien der bisherigen Eigentümer und vorbörslichen Investoren handeln.
Multipliziert man den Aktienkurs mit der Zahl aller frei handelbaren Aktien eines Unternehmens, erhält man den Börsenwert eines Unternehmens. Dieser entspricht der Marktkapitalisierung gleichgesetzt. Die Aktien, die nicht zum Handel an der Börse zugelassen sind, – also im Bestand des Unternehmens verbleiben – sind dabei unberücksichtigt.
Unternehmen lassen selten alle Aktien an der Börse zum freien Handel zu, sondern lediglich einen Teil. Liegt etwa der Streubesitz bei 30 Prozent, sind auch nur 30 Prozent der Eigenkapitalanteile an der Börse handelbar. Je höher der Streubesitz, umso liquider ist der Handel und umso geringer die Kursschwankungen, die sich aus Kauf- und Verkaufsorders ergeben.
In der Regel verbleibt bei einem Börsengang ein großer Teil der Aktien in Besitz von den bisherigen Eigentümern. Während der Haltefrist – auch Lock-up-Periode genannt – dürfen sie aus diesem Bestand keine Aktien verkaufen. Eine lange Haltefrist gilt als Bekenntnis zu einem Unternehmen.
Die Konsortialbanken begleiten den Börsengang und anschließenden Aktienhandel für ein Unternehmen. Das lassen sich die Banken natürlich vom Unternehmen bezahlen. Eine besondere Aufgabe fällt den Konsortialbanken zu, die sich als Designated Sponsor engagieren. Sie sorgen dafür, dass der Handel liquide bleibt, auch wenn zum Beispiel Käufer keinen Verkäufer der Papiere finden. Dann übernehmen sie den Part des Verkäufers, damit immer ein Kurs gestellt werden kann.
Darunter versteht man das Verfahren, mit dem der Preis für neu an die Börse zu bringende Aktien festgelegt wird. Da vor der Emission von neuen Aktien kein Börsenhandel mit diesen Papieren stattfindet, kann dieser Preis nicht durch Angebot und Nachfrage an der Börse bestimmt werden. Beim angelsächsischen Auktionsverfahren geben die Banken, die das Unternehmen an die Börse bringen, eine Preisspanne vor. Innerhalb dieser können Investoren ihre Gebote abgeben. Auf Grund der vorliegenden Orderlage wird der tatsächliche Emissionskurs letztlich aus dem Gebots-Durchschnitt gebildet. Früher wurde das heute kaum noch gebräuchliche Festpreisverfahren angewandt, bei dem sich die beratenden Banken und die AG schon vor Verkaufsangebot auf einen Preis einigten, den Anleger dann akzeptieren mussten.
Die Roadshow ist eine Werbetour eines Unternehmens bei möglichen Investoren. Dabei wird versucht, möglichst viele Investoren zu gewinnen, die den angestrebten Preis für die Aktien zu zahlen bereit sind. Die Roadshow ist daher wichtig, um die richtige Preisspanne auszuloten.
Trotzdem reißen sich die Geldgeber um die Aktien. Angesichts der schon jetzt hohen Nachfrage besteht kein Zweifel daran, dass Delivery Hero schon am Freitag nächster Woche erstmals an der Börse gehandelt wird. Der Kurs dürfte dann weit über der Zeichnungsspanne von 22 bis 25 Euro liegen. Im vorbörslichen Handel wurden bereits bis zu 29,80 Euro bezahlt.
Bei 172 Millionen Delivery-Aktien ergäbe das fünf Milliarden Euro Börsenwert. Selbst wenn das Unternehmen weiter wächst und in diesem Jahr rund 450 Millionen Euro Umsatz erzielt, wäre das mehr als eine zehnfache Bewertung des Geschäftsvolumens. Dass die Aktien des niederländischen Konkurrenten Takeaway nach 50 Prozent Kursrally in diesem Jahr auf eine ähnlich hohe Bewertung kommen, ist kein Grund, für Neuling Delivery auch so viel zu bezahlen.
Aufgeblähte Bilanz
Weitere Risiken kommen hinzu. Delivery leidet unter hohen operativen Verlusten und teuren Krediten. Zwar konnte das Unternehmen im vergangenen Jahr den Gesamtwert aller ausgeführten Online-Essensbestellungen von 1,4 Milliarden Euro auf 2,3 Milliarden erhöhen. Grund dafür sind vor allem Zukäufe – die aber strapazieren die Bilanz. Auch wenn das Eigenkapital nach dem Börsengang auf rund eine Milliarde Euro anschwellen dürfte, stehen auf der anderen Seite 1,3 Milliarden Euro an Firmenwerten (Goodwill) und Markenwerten zu Buche. Diese Aufblähung birgt das Risiko hoher Abschreibungen, wenn der operative Erfolg ausbleibt.
Und im ersten Quartal hat Delivery bei 121 Millionen Euro Umsatz (plus 93 Prozent) 51 Millionen Euro Verlust gemacht, vor allem wegen enormer Kosten für Marketing und Vertrieb.
Fazit: Delivery profitiert vom Hype um Internet und Digitalisierung. Das dürfte die ersten Kurse anheizen – sehr zur Freude von Alteigentümer Rocket Internet, der einen Kapitalzufluss gut brauchen kann. Bevor Delivery aber nicht echtes Geld verdient, ist die Aktie nichts für Anleger.
Vapiano mit dem falschen Rezept
Auch von der Italokantine Vapiano sollte man lieber die Finger lassen. Das Wachstumsrezept klingt einfach, doch angesichts steigender Umsätze laufen die Kosten aus dem Ruder. Bisher haben sich vor allem Comedians an dem in Hamburg gegründeten Unternehmen abgearbeitet, weil es seine Gäste für jede Beilage und jeden Cappuccino einzeln Schlange stehen lässt und den Genuss gänzlich unitalienisch mit nervtötendem Vibrationsalarm auf dem obligatorischen Tablett unterbricht, sobald ein neuer Teller zur Abholung bereitsteht. Kellner gibt es nämlich keine.
Die Gäste allerdings machen bei der stressigen Selbstbedienung offenbar nur zu gern mit. 40 Millionen waren es weltweit im vergangenen Jahr, und es sollen noch mehr werden: Das bei dem bevorstehenden Börsengang eingespielte Anlegergeld soll vor allem in die Eröffnung neuer Restaurants fließen. 186 in 30 Ländern sind es derzeit, 2020 sollen es 330 sein. Mehr Restaurants, mehr Umsatz, mehr Gewinn, das klingt einfacher als ein Pizzarezept.
Gewinne nahezu aufgelöst
Stutzig macht, dass Vapiano in den vergangenen Jahren sein Wachstum schlecht verdaut hat. So kletterte der Umsatz 2016 auf 248,6 Millionen Euro und liegt nun rund 64 Prozent höher als zwei Jahre zuvor. Im gleichen Zeitraum verdoppelten sich jedoch die Personalkosten in etwa, während der Nettogewinn sich von 6,9 auf 0,3 Millionen Euro fast auflöste.
Das Unternehmen begründet das mit Abschreibungen auf die neu eröffneten Restaurants, mit der aufwendigen Lebensmittelsicherheit und der Einführung des Mindestlohns in Deutschland. Warum künftiges Wachstum günstiger zu haben sein sollte, bleibt dabei offen. Zuletzt blieb je Restaurant ein durchschnittlicher operativer Gewinn von nur rund 18.000 Euro. Die laut Finanzkreisen hohe Nachfrage nach den Vapiano-Aktien im Angebotsvolumen von 225 Millionen Euro ist daher schwer verständlich. Es gibt trotz des bekannten Namens keinen Grund, die Anteile zu ordern. Zumal es nicht an Alternativen mangelt. Etwa McDonald’s, der Altmeister der Systemgastronomie, dessen Aktien noch vertretbar bewertet sind.
Noratis: Profitabel, aber nicht alternativlos
Mit einem Emissionsvolumen von 45,5 Millionen Euro ist der dritte Börsenkandidat Noratis deutlich kleiner als Delivery Hero und Vapiano. Anders als die beiden Großen hat der Immobilienentwickler aus Eschborn bei Frankfurt aber seine Kosten im Griff und arbeitet bisher profitabel. Wenn alles klappt, soll der Wert im Mittelstandssegment Scale der Deutschen Börse starten.
Noratis kauft und saniert Wohnblöcke in Randlagen und Kleinstädten, um diese mit Gewinn weiter zu verkaufen, etwa an Versicherungen. Beispiel sind die ehemaligen Werkswohnungen des Chemiekonzerns Bayer in Dormagen.
Um alteingesessene Mieter nicht zu vergraulen, saniert Noratis nur frei werdende Wohnungen und arbeitet mit der Kommunalpolitik zusammen. Mit den laufenden Mieten wollen die Eschborner ihre Einnahmen stabilisieren, um ohne Verkaufsdruck anbieten zu können. Die Umsätze haben von 16,7 auf 44,6 Millionen Euro zugelegt, der Gewinn verfünffachte sich innerhalb von zwei Jahren auf sechs Millionen Euro. Noratis kann sich sicher zu einem netten Börsenwert entwickeln, doch die Aktie ist kein Muss für Anleger – einen Hebel auf den deutschen Immobilienboom findet man auch bei vielen anderen Aktien.
Die interessanten Börsengänge kommen erst noch
Drei IPOs auf einen Schlag stellen keinen Zwang dar, unbedingt jetzt investieren zu müssen. Denn daneben stehen dieses Jahr voraussichtlich noch weitere teils interessante Börsenkandidaten auf der Speisekarte.
Mit der Gesundheitssparte von Siemens und der Vermögensverwaltung der Deutschen Bank sind zwei Abspaltungen von Großkonzernen dabei. Wer die Aktien der beiden Mütter hält und diese eigentlich nicht verkaufen will, sollte bei den Abspaltungen nachinvestieren, um keine Substanz zu verlieren. Auch der Prothesenspezialist Otto Bock und die Klinikkette Asklepios könnten ihre Börsenambitionen dieses Jahr wahr machen.