Um 9.25 Uhr, fünf Minuten vor dem offiziellen Verkaufsstart, hatten die Banken schon Kaufaufträge für alle neuen Aktien von Rocket Internet in den Büchern. Das erinnert an beste Neue-Markt-Zeiten. Am Mittwoch um 9.30 Uhr gab Rocket-Vorstand Oliver Samwer dann den Startschuss zum Börsengang, präsentierte in Frankfurt ernst und sehr verbindlich die Daten seines seit 2007 aufgebauten globalen Start-up-Inkubators. Die Holding ist inzwischen an 103 Online-Geschäftsmodellen beteiligt, die in mehr als 100 Ländern aktiv sind und über 20.000 Mitarbeiter beschäftigen. Sollte es in den nächsten Tagen nicht noch einen Börsencrash geben, entsteht hier vom Start weg ein Börsenriese, der mit rund sechs Milliarden Euro Marktwert in einer Liga mit Konzernen wie der Lufthansa spielen würde.
Totaler Hype
Schon lange nicht mehr wurde in Frankfurt so viel Hoffnung so teuer verkauft. Ein deutscher Vermögensverwalter spricht von einem „totalen Hype“, den er nicht verstehe. „Ohne den geglückten Börsengang der chinesischen Alibaba, bei dem sich hohe Kursgewinne abräumen ließen, hätte es Rocket Internet schwer gehabt, Anleger von dem Geschäft zu überzeugen“, sagt er.
Die drei Samwer-Brüder
Auf rund 400 Seiten schildert Gründerszene-Chefredakteur Joel Kaczmarek in „Die Paten des Internets“ das Leben der drei Brüder Marc, Oliver und Alexander Samwer – von ihrer Kindheit über ihr erstes eigenes Unternehmen bis zum gigantischen Start-up-Schmiede „Rocket Internet“. Das Buch gewährt nicht nur vertiefende Einblicke in das gigantische Firmenimperium der Samwers, es vermittelt auch einen Eindruck in die Denkweise der ehrgeizigen Geschwister und zeigt ihre unterschiedlichen Charaktere auf.
„Die Paten des Internets. Zalando, Jamba, Groupon – wie die Samwer-Brüder das größte Internet-Imperium der Welt aufbauen" von Joel Kaczmarek, Finanzbuch Verlag, 19,99 Euro.
Zu Beginn des Samwer-Aufstiegs sucht auch Marc (* 3. Dezember 1970) häufig die Öffentlichkeit, überließ jedoch später häufig Oliver Samwer das Rampenlicht und konzentrierte sich auf seine Rolle als rechtlicher Berater und Steuerer des Samwer-Imperiums. Der erste Sohn des Kölner Rechtsanwalts Sigmar-Jürgen gilt als charismatischer und vernünftiger Gesprächspartner. Allerdings haftet dem ältesten Bruder auch der Ruf als Manipulator an.
Kaczmarek: "Marc Samwer, ein Menschenfänger mit Juristenverstand"
Studium: Rechtswissenschaften
Der mittlere Bruder (* 9. August 1973) hat schnell die Anführerrolle des Trios übernommen. Oliver organisiert und treibt die Entwicklung des Samwer-Imperiums voran.
Kaczmarek: „ Ein Mann, der sich körperlich bis an die Grenzen der Belastbarkeit tastet und einen gewissen Masochismus zeigt, wenn es darum geht, (über andere) zu triumphieren. Dem es gleichzeitig aber auch an einem moralischen Kompass oder einer für Unternehmer üblichen Wirtschaftsethik fehlt. […] Schnelligkeit und seine Auffassungsgabe heben Oliver Samwer deutlich hervor, doch es gibt eine Eigenschaft, die ihn wirklich von allen anderen absetzt – das ist diese ganz eigene Art, wie er mit Menschen umgeht und sie steuert. […] Ist es in seinem Interesse, verströmt er eine inspirierende, anregende Aura, der selbst Größen der internationalen Finanzwelt mit Leichtigkeit verfallen.“
Abitur-Note: 0,8
Studium: Betriebswirtschaftslehre
Anders als seine Brüder gilt Alexander nicht als nur vom Ehrgeiz Getriebener, sondern als analytischer Denker. Er wird als menschlich, höflich und zurückhaltend beschrieben.
Kaczmarek: „Während die Gründungen, bei denen Oliver oder Marc Samwer federführend tätig waren, oftmals auf kurzfristigen Erfolg angelegt waren, konzentrierte sich Alexander Samwer auf die anspruchsvollen Aufgaben und betreute diese mit strategischer Weitsicht.[…] Hätte es ihn nicht in die Selbstständigkeit als Internetunternehmer verschlagen, könnte er heute genauso als Vorstandsvorsitzender eines DAX-Unternehmens tätig sein.“
Abitur-Note: 0,66
Studium: Volkswirtschaftslehre
Rocket hat renommierte Investoren an Bord – neben den Samwers, die mit dem Ebay-Klon Alando und Klingeltonanbieter Jamba viele Millionen machten, sind unter anderem die schwedische Beteiligungsgesellschaft Kinnevik, die US-Investmentbank JP Morgan, die schottische Fondsgesellschaft Baillie Gifford und United Internet mit im Boot. Deren Chef Ralph Dommermuth steht nicht in dem Ruf, ein waghalsiger Hasardeur zu sein.
Und Baillie Gifford, auch bei Zalando mit dabei, hatte einst schon mit einem frühen Einstieg bei Facebook und Amazon Gespür für Online-Investments bewiesen. Rocket strebt an, die führende globale Internet-Plattform außerhalb der USA und Chinas zu werden. Aber hat die Samwer-Holding wirklich das Zeug, um mit Netzgiganten wie Amazon oder Alibaba in einer Liga zu spielen? Oder entpuppt sich Rocket Internet lediglich als hübsch garniertes Online-Soufflé, das nach dem Börsengang in sich zusammenfällt?
Klar ist: Seit sieben Jahren geht es für das Unternehmen bergauf. Es wurden vielversprechende Online-Konzepte kopiert und weltweit ausgerollt. Von Chile bis Myanmar, von Aserbaidschan bis nach Nigeria erstreckt sich das Rocket-Reich. Die Online-Portale des Unternehmens verkaufen Schuhe und Shirts, vermitteln Putzfrauen, Immobilien oder Kredite via Netz. In Deutschland sind Home24 und Westwing bekannt. Es gibt die russischen, asiatischen und brasilianischen Zalando-Pendants Lamoda, Zalora und Dafiti, das in Brasilien so bekannt ist wie Zalando hierzulande.
Was Anlageprofis von den Internet-Börsengängen halten
Der weltweite Markt für Börsengänge sei heiß gelaufen, sagt auch Nigel Bolton, Fondsmanager beim weltgrößten Vermögensverwalter Blackrock. "Zu heiß, wenn Sie mich fragen". Nun schwappe die Welle nach Deutschland, sagte er dem "Handelsblatt". Blackrock prüfe alle Börsenkandidaten. "Aber man darf sich nicht vom Hype um Börsengänge anstecken lassen."
"Es gibt nicht viele Wege den E-Commerce-Markt zu spielen," sagt Bjorn Gustafsson, Analyst bei Kepler Cheuvreux in Stockholm. "Die Aktien erscheinen jetzt billig", konstatiert er und ergänzt, dass Investoren sowohl nach dem Zalando- also auch nach dem Rocket-Internet-Börsengang gieren würden.
"Das letzte Mal, dass hier auf dem Parkett mehr Journalisten als Händler waren, war während der Eurokrise. Bei einem Börsengang habe ich das zuletzt bei der Telekom erlebt", sagte Robert Halver, Händler bei der Baader-Bank.
"Richtig Glück haben Anleger gehabt, die Zalando-Aktie bekommen haben und sie heute Morgen direkt wieder verkauft haben. Die konnten sich über einen schönen, schnellen Zeichnungsgewinn freuen", sagte ein Händler.
"Die Aktien haben wir für unsere Kunden nicht gezeichnet. Zwar verzeichnet Zalando am ersten Tag ein attraktives Kursplus, wir wollen aber erst mal abwarten wie und ob die Aktie sich langfristig durchsetzt. Der Börsengang ist nicht wie erwartet verlaufen… Aber die Aktie ist zu spannend um sie nicht zu beobachten. Zalando könnte sich langfristig zu einem echten Amazon Konkurrenten entwickeln. Dafür sind aber noch zwei bis drei 'stabile Jahre' notwendig, aus denen man erkennen kann, ob sich das Geschäftsmodell langfristig trägt."
"Beide Aktien sind für uns völlige Non-Investments. Die Bewertung der Firmen ist utopisch. Die Geschäftsmodelle sind nicht nachhaltig. Von diesem Börsengang profitieren nur die Initiatoren, die die Gunst der Stunde nutzen und die Aktien in die aktuelle Internet-Euphorie hinein platzieren."
"Wir haben keine der beiden Aktien gezeichnet. Wir sind insbesondere bei Zalando noch nicht davon überzeugt, dass das Geschäftsmodell auch nachhaltig funktioniert und dauerhaft Gewinne abwirft. Wir folgen insgesamt eher dem Ansatz, in Unternehmen mit einem langfristig erfolgreichen Geschäftsmodell und einer guten und stetigen Dividendenrendite zu investieren. Selbstverständlich werden wir die beiden Werte unter Beobachtung nehmen und bei einer entsprechenden Geschäftsentwicklung unsere derzeitige Anlageentscheidung überdenken."
Die Aktionärsvereinigung DSW warnt Privatanleger vor dem Kauf von Aktien des Online-Modehändlers Zalando und des Internet-Konglomerats Rocket Internet. "Vorsicht vor einem neuen Neuen Markt. Das ist nichts für sicherheitsbewusste Privatanleger", sagte DSW-Vize-Präsident Klaus Nieding kurz nach dem Börsenstart von Zalando. "Es ist ein spekulatives Investment." Der Kauf von Zalando-Aktien berge große Risiken, sagte Nieding. Das Unternehmen habe in den vergangenen Jahren keine Gewinne erwirtschaftet. Zudem hätten die früheren Mehrheitsaktionäre weiter großen Einfluss. Noch kritischer sieht Nieding den für Donnerstag geplanten Börsengang von Rocket Internet; die Firma ist weltweit an Dutzenden Start-Ups beteiligt. Die meisten von ihnen schreiben rote Zahlen. "Bei Rocket Internet und Zalando kaufen sie - wie bei den Neuen-Markt-Werten - im Grunde genommen Hoffnung", sagt Aktionärsschützer Nieding. Der aktuelle Börsenboom ist laut Nieding darauf zurückzuführen, dass es auf der Bank kaum noch Zinsen gibt und Geld im Überfluss vorhanden ist. "Das ist eine rein liquiditätsgetriebene Hausse."
Viele Versuchsballons
Ein hochdekorierter britischer Fondsmanager spricht von „dem verrücktesten Ding, das ich je gesehen habe“. Zunächst einleuchtende Geschäftsmodelle im Netz gebe es viele, aber es funktioniere trotzdem längst nicht alles. Und erst recht verdient nicht alles Geld, sagt ein deutscher Fondsmanager. In Rocket Internet stecken viele solcher Versuchsballons, denen die Berliner sechs bis neun Jahre Zeit lassen wollen, um profitabel zu werden. Beim Börsenstart sind die meisten längst noch nicht so weit.
Rätselhafte Bewertung, unbekannte Verluste
Wie der Preis für das Online-Konglomerat von rund sechs Milliarden Euro zustande kommt, bleibt das Geheimnis der Samwers und der beteiligten Banken. Laut Börsenprospekt wurden die Rocket-Beteiligungen bei der jüngsten Finanzierungsrunde nur mit 2,6 Milliarden Euro bewertet. Die Differenz entfällt auf die Fantasie der Investoren. Die ist auch nötig, denn harte Fakten bleibt der Konzern selbst im Börsenprospekt schuldig.
Zentrale Kennzahlen vermisst
So fehlen in dem Papier zentrale Kennzahlen wie die Höhe der Gesamtverluste, die bei den Rocket-Beteiligungen 2013 aufliefen. Lediglich für die elf wichtigsten Rocket-Ableger dröselt Rocket Internet die Geschäftszahlen auf: Bei Gesamterlösen von 757 Millionen Euro summierten sich die Jahresfehlbeträge der elf sogenannten „proven winners“, bei denen Rocket aber auch nur Minderheitsbeteiligungen hält, auf insgesamt 442 Millionen Euro.
Was Sie über die Börsenkandidaten wissen sollten
ZALANDO (Online-Versand von Schuhen und Bekleidung)
Börse: Frankfurt (Prime Standard)
Erstnotiz: 1. Oktober
Zuteilungspreis: 21,50 Euro
Eigentümer: Kinnevik (36,5 Prozent), European Founders Fund/Gebrüder Samwer (17 Prozent), Bestseller/Anders Holch Povlsen (10 Prozent), Tengelmann (5 Prozent), Holtzbrinck Ventures (8 Prozent), OTPP (2 Prozent)
Bewertung: bis zu 5,34 Milliarden Euro
Platzierungsvolumen: 526 Mio. Euro (605 Mio. Euro inkl. Mehrzuteilung)
Streubesitz: 11,3 Prozent
Banken: Credit Suisse, Morgan Stanley und Goldman Sachs
Umsatz und Ebit:
2011: 510 Mio. Euro Umsatz, Ebit¹: -57 Mio. Euro
2012: 1159 Mio. Euro, Ebit¹: -77 Mio. Euro
2013: 1762 Mio. Euro, Ebit¹: -99 Mio. Euro
2014: 2235 Mio. Euro², Ebit¹: 52 Mio. Euro
2015: 2784 Mio. Euro², Ebit¹: 136 Mio. Euro
2016: 3399 Mio. Euro², Ebit¹: 207 Mio. Euro
¹Gewinn vor Zinsen und Steuern, Nettogewinn ist weiter negativ
²Prognose der Deutschen Bank
ROCKET INTERNET (Holding von jungen Internet-Unternehmen)
Börse: Frankfurt (Entry Standard)
Erstnotiz / Handelsstart: 2. Oktober
Zeichnungsfrist: 24. September bis 1. Oktober
Preisspanne: 35,50 bis 42,50 Euro
Platzierung: 33 bis 38 Millionen Aktien
Volumen: 1,477 Millionen Euro
erwarteter Börsenwert des Unternehmens: 6,2 bis 6,7 Milliarden Euro
Eigentümer: Brüder Samwer (52,3 Prozent), Kinnevik (18,1 Prozent), United Internet (10,4 Prozent, Access Industries (Len Blavatnik, 8,3 Prozent), Philippine Long Distance Telephone (PLDT, 8,4 Prozent), Holtzbrinck Ventures (2,5 Prozent)
Banken: JPMorgan, Morgan Stanley, Berenberg
TELE COLUMBUS (Kabelnetzbetreiber)
Zeitpunkt: Herbst 2014
Eigentümer: mehrere Hedgefonds
Bewertung: mehr als 600 Millionen Euro
Volumen: rund 300 Millionen Euro
Banken: JPMorgan, Goldman Sachs
TLG IMMOBILIEN (Gewerbeimmobilien in Ostdeutschland)
Zeitpunkt: Herbst 2014
Eigentümer: Lone Star
Bewertung: 1,5 Milliarden Euro (inklusive Schulden)
Volumen: rund 500 Millionen Euro
Banken: UBS, JPMorgan
STEINHOFF (Möbelproduktion und -handel)
Zeitpunkt: nach dem 9. September
Eigentümer: börsennotiert, Gründer Bruno Steinhoff größter Aktionär
Bewertung: knapp 9 Milliarden Euro (Börsenwert)
Volumen: Wechsel von der Börse Johannesburg nach Frankfurt, Kapitalerhöhung im Juli durchgeführt, möglicherweise weitere Platzierung im Zuge des Wechsels des Börsenplatzes.
Banken: Kapitalerhöhung begleitet von Barclays, BNP Paribas, Citigroup, HSBC und Commerzbank
HELLA (Autoscheinwerfer-Hersteller)
Zeitpunkt: Herbst 2014 möglich
Eigentümer: Familie
Bewertung: rund 3,5 Milliarden Euro
Volumen: offen
Banken: Citi, Bankhaus Lampe
ARMACELL (Dämmstoff-Hersteller)
Zeitpunkt: Ende 2014/Anfang 2015
Eigentümer: Charterhouse Capital Partners
Bewertung: mehr als 600 Millionen Euro
Volumen: rund 300 Millionen Euro
Banken: Deutsche Bank, Bank of America Merrill Lynch, BNP Paribas
SCOUT24 (Betreiber von Online-Marktplätzen)
Zeitpunkt: Ende 2014/Anfang 2015
Eigentümer: Hellman & Friedman (49 Prozent), Blackstone (21 Prozent), Deutsche Telekom (30 Prozent)
Bewertung: ca. 2 Milliarden Euro
Volumen: rund 400 Millionen Euro (für 20 Prozent der Anteile)
Banken: Goldman Sachs, Credit Suisse als Koordinatoren (erwartet)
SIEMENS AUDIOLOGISCHE TECHNIK (Hörgeräte)
Zeitpunkt: frühestens Ende 2014
Eigentümer: Siemens AG
Bewertung: ca. 2 Milliarden Euro
Volumen: möglicherweise als Spin-off mit Ausgabe von Aktien an Siemens-Aktionäre
Banken: Auswahl in Kürze erwartet
AXEL SPRINGER DIGITAL CLASSIFIEDS (Online-Anzeigenbörse)
Zeitpunkt: Anfang 2015
Eigentümer: Axel Springer SE (70 Prozent), General Atlantic (30 Prozent)
Bewertung: rund drei Milliarden Euro
Volumen: offen
Banken: noch nicht ausgewählt
DOUGLAS (Parfümerie, Einzelhandel)
Zeitpunkt: Frühjahr 2015
Eigentümer: Advent International und Familie Kreke
Bewertung: rund zwei Milliarden Euro
Volumen: offen
Banken: noch nicht ausgewählt
HAPAG-LLOYD (Reederei)
Zeitpunkt: Herbst 2015
Eigentümer: (vor Vollzug der Fusion mit CSAV ) Stadt Hamburg (37 Prozent), Kühne Maritime (28 Prozent), TUI (22 Prozent), Signal Iduna (5 Prozent), HSH Nordbank (3 Prozent), M.M. Warburg & Co (2,9 Prozent) und HanseMerkur (1,8 Prozent), CSAV erhält zunächst 30, später 34 Prozent.
Wie tief allerdings die anderen Rocket-Beteiligungen in den roten Zahlen stecken, bleibt offen. Im Prospekt heißt es lediglich: Die Emittentin verfüge „nicht über Informationen, die es ihr erlauben würden, den Gesamtverlust“ aller Beteiligungen „verlässlich zu ermitteln“.
Ein Management, das nicht in der Lage ist, die Verluste von Portfolio-Unternehmen zu beziffern – das ist eigentlich ein K.o.-Kriterium am sonst so zahlenfixierten Finanzmarkt. Trotzdem reißen sich Investoren darum, beim größten deutschen Börsengang des Jahres dabei zu sein.
Wer rechnet schon so genau nach, wenn das rasante Wachstum lockt, etwa bei der Online- und Smartphone-Nutzung in Schwellenländern. „Konsumenten haben weltweit die gleichen Wünsche. Sie wollen ihr Handy, den Anzug oder die Pizza online bestellen“, sagt Samwer. Und Rocket Internet will ihnen in Afrika oder Lateinamerika den gleichen Zugang zu Produkten und Dienstleistungen bieten wie in Deutschland. Da es einen stationären Einzelhandel in Afrika und Lateinamerika kaum gibt, ist die Konkurrenz für E-Commerce nicht so groß. Ob das Gewinne bringt, bleibt offen.
Marktführer vom Fließband?
Die Konsumausgaben in den Schwellenländern steigen zwar, werden im Vergleich zu den entwickelten Märkten aber noch über Jahre auf bescheidenen Niveaus liegen. Die Geschäftsrisiken sind ungleich höher. Welche Auswirkungen hat die Ebola-Epidemie in Afrika auf das Geschäft der nigerianischen Rocket-Beteiligung Jumia, welche Folgen haben die Sanktionen des Westens auf die Nachfrage in Russland – und damit für Lamoda?
Die aussichtsreichsten Massenmärkte im Web sind besetzt. Hier noch neue Marktführer zu kreieren wird schwer. Trotzdem sollen jedes Jahr zehn neue Start-ups die Berliner Raketenfabrik verlassen. Rocket Internet reagiert mit einer Art Konzern-Upgrade auf die Entwicklung: Mit einer digitalen Finanzsparte wird das Bankgewerbe angegriffen. Lendico und Zencap sind Plattformen, über die Anleger Geld an Privatleute oder Unternehmen verleihen können. Im August stieg die philippinische Telefongesellschaft PLDT bei Rocket ein, um Angebote für das Bezahlen per Handy aufzuziehen.
Dividenden wird Rocket Internet laut Prospekt „in absehbarer Zukunft“ nicht zahlen. Schließlich sollen alle verfügbaren Mittel ins Wachstum investiert werden.
Das war bis vor Kurzem noch anders. 2012 und 2013 schüttete Rocket Internet an die Samwers und ihren Investorenzirkel 551 Millionen Euro aus. Für 2014 gönnten sich die Samwers eine sogenannte Vorabausschüttung in Höhe von 287 Millionen Euro, sie machten damit de facto schon vor dem Börsengang Kasse. Dass die Alteigentümer weder beim Börsengang noch in den kommenden zwölf Monaten Rocket-Aktien abgeben wollen, wirkt deshalb schon nicht mehr ganz so beeindruckend.