Börsengang von Rocket Internet Prinzip Hoffnung als Anlagestrategie

Die drei Brüder Alexander, Oliver und Marc Samwer (von links) bringen ihren Internet-Inkubator Rocket Internet an die Börse - und schaffen sich damit ein Milliardenvermögen. Die in Rocket Internet enthaltenen mehr als 100 Beteiligungen produzieren allerdings noch Verluste in unbekannter Höhe. Quelle: Nick Wilson, Dieter Mayr, dpa, Montage

Investoren glauben, dass Rocket Internet den Internet-Handel außerhalb der USA und Chinas dominieren kann. Doch die Aktie ist hochriskant.

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Um 9.25 Uhr, fünf Minuten vor dem offiziellen Verkaufsstart, hatten die Banken schon Kaufaufträge für alle neuen Aktien von Rocket Internet in den Büchern. Das erinnert an beste Neue-Markt-Zeiten. Am Mittwoch um 9.30 Uhr gab Rocket-Vorstand Oliver Samwer dann den Startschuss zum Börsengang, präsentierte in Frankfurt ernst und sehr verbindlich die Daten seines seit 2007 aufgebauten globalen Start-up-Inkubators. Die Holding ist inzwischen an 103 Online-Geschäftsmodellen beteiligt, die in mehr als 100 Ländern aktiv sind und über 20.000 Mitarbeiter beschäftigen. Sollte es in den nächsten Tagen nicht noch einen Börsencrash geben, entsteht hier vom Start weg ein Börsenriese, der mit rund sechs Milliarden Euro Marktwert in einer Liga mit Konzernen wie der Lufthansa spielen würde.

Totaler Hype

Schon lange nicht mehr wurde in Frankfurt so viel Hoffnung so teuer verkauft. Ein deutscher Vermögensverwalter spricht von einem „totalen Hype“, den er nicht verstehe. „Ohne den geglückten Börsengang der chinesischen Alibaba, bei dem sich hohe Kursgewinne abräumen ließen, hätte es Rocket Internet schwer gehabt, Anleger von dem Geschäft zu überzeugen“, sagt er.

Die drei Samwer-Brüder

Rocket hat renommierte Investoren an Bord – neben den Samwers, die mit dem Ebay-Klon Alando und Klingeltonanbieter Jamba viele Millionen machten, sind unter anderem die schwedische Beteiligungsgesellschaft Kinnevik, die US-Investmentbank JP Morgan, die schottische Fondsgesellschaft Baillie Gifford und United Internet mit im Boot. Deren Chef Ralph Dommermuth steht nicht in dem Ruf, ein waghalsiger Hasardeur zu sein.

Und Baillie Gifford, auch bei Zalando mit dabei, hatte einst schon mit einem frühen Einstieg bei Facebook und Amazon Gespür für Online-Investments bewiesen. Rocket strebt an, die führende globale Internet-Plattform außerhalb der USA und Chinas zu werden. Aber hat die Samwer-Holding wirklich das Zeug, um mit Netzgiganten wie Amazon oder Alibaba in einer Liga zu spielen? Oder entpuppt sich Rocket Internet lediglich als hübsch garniertes Online-Soufflé, das nach dem Börsengang in sich zusammenfällt?

Klar ist: Seit sieben Jahren geht es für das Unternehmen bergauf. Es wurden vielversprechende Online-Konzepte kopiert und weltweit ausgerollt. Von Chile bis Myanmar, von Aserbaidschan bis nach Nigeria erstreckt sich das Rocket-Reich. Die Online-Portale des Unternehmens verkaufen Schuhe und Shirts, vermitteln Putzfrauen, Immobilien oder Kredite via Netz. In Deutschland sind Home24 und Westwing bekannt. Es gibt die russischen, asiatischen und brasilianischen Zalando-Pendants Lamoda, Zalora und Dafiti, das in Brasilien so bekannt ist wie Zalando hierzulande.

Was Anlageprofis von den Internet-Börsengängen halten

Viele Versuchsballons

Ein hochdekorierter britischer Fondsmanager spricht von „dem verrücktesten Ding, das ich je gesehen habe“. Zunächst einleuchtende Geschäftsmodelle im Netz gebe es viele, aber es funktioniere trotzdem längst nicht alles. Und erst recht verdient nicht alles Geld, sagt ein deutscher Fondsmanager. In Rocket Internet stecken viele solcher Versuchsballons, denen die Berliner sechs bis neun Jahre Zeit lassen wollen, um profitabel zu werden. Beim Börsenstart sind die meisten längst noch nicht so weit.

Rätselhafte Bewertung, unbekannte Verluste

Wie der Preis für das Online-Konglomerat von rund sechs Milliarden Euro zustande kommt, bleibt das Geheimnis der Samwers und der beteiligten Banken. Laut Börsenprospekt wurden die Rocket-Beteiligungen bei der jüngsten Finanzierungsrunde nur mit 2,6 Milliarden Euro bewertet. Die Differenz entfällt auf die Fantasie der Investoren. Die ist auch nötig, denn harte Fakten bleibt der Konzern selbst im Börsenprospekt schuldig.

Zentrale Kennzahlen vermisst

So fehlen in dem Papier zentrale Kennzahlen wie die Höhe der Gesamtverluste, die bei den Rocket-Beteiligungen 2013 aufliefen. Lediglich für die elf wichtigsten Rocket-Ableger dröselt Rocket Internet die Geschäftszahlen auf: Bei Gesamterlösen von 757 Millionen Euro summierten sich die Jahresfehlbeträge der elf sogenannten „proven winners“, bei denen Rocket aber auch nur Minderheitsbeteiligungen hält, auf insgesamt 442 Millionen Euro.

Was Sie über die Börsenkandidaten wissen sollten

Wie tief allerdings die anderen Rocket-Beteiligungen in den roten Zahlen stecken, bleibt offen. Im Prospekt heißt es lediglich: Die Emittentin verfüge „nicht über Informationen, die es ihr erlauben würden, den Gesamtverlust“ aller Beteiligungen „verlässlich zu ermitteln“.

Ein Management, das nicht in der Lage ist, die Verluste von Portfolio-Unternehmen zu beziffern – das ist eigentlich ein K.o.-Kriterium am sonst so zahlenfixierten Finanzmarkt. Trotzdem reißen sich Investoren darum, beim größten deutschen Börsengang des Jahres dabei zu sein.

Wer rechnet schon so genau nach, wenn das rasante Wachstum lockt, etwa bei der Online- und Smartphone-Nutzung in Schwellenländern. „Konsumenten haben weltweit die gleichen Wünsche. Sie wollen ihr Handy, den Anzug oder die Pizza online bestellen“, sagt Samwer. Und Rocket Internet will ihnen in Afrika oder Lateinamerika den gleichen Zugang zu Produkten und Dienstleistungen bieten wie in Deutschland. Da es einen stationären Einzelhandel in Afrika und Lateinamerika kaum gibt, ist die Konkurrenz für E-Commerce nicht so groß. Ob das Gewinne bringt, bleibt offen.

Marktführer vom Fließband?

Die Konsumausgaben in den Schwellenländern steigen zwar, werden im Vergleich zu den entwickelten Märkten aber noch über Jahre auf bescheidenen Niveaus liegen. Die Geschäftsrisiken sind ungleich höher. Welche Auswirkungen hat die Ebola-Epidemie in Afrika auf das Geschäft der nigerianischen Rocket-Beteiligung Jumia, welche Folgen haben die Sanktionen des Westens auf die Nachfrage in Russland – und damit für Lamoda?

Die aussichtsreichsten Massenmärkte im Web sind besetzt. Hier noch neue Marktführer zu kreieren wird schwer. Trotzdem sollen jedes Jahr zehn neue Start-ups die Berliner Raketenfabrik verlassen. Rocket Internet reagiert mit einer Art Konzern-Upgrade auf die Entwicklung: Mit einer digitalen Finanzsparte wird das Bankgewerbe angegriffen. Lendico und Zencap sind Plattformen, über die Anleger Geld an Privatleute oder Unternehmen verleihen können. Im August stieg die philippinische Telefongesellschaft PLDT bei Rocket ein, um Angebote für das Bezahlen per Handy aufzuziehen.

Dividenden wird Rocket Internet laut Prospekt „in absehbarer Zukunft“ nicht zahlen. Schließlich sollen alle verfügbaren Mittel ins Wachstum investiert werden.

Das war bis vor Kurzem noch anders. 2012 und 2013 schüttete Rocket Internet an die Samwers und ihren Investorenzirkel 551 Millionen Euro aus. Für 2014 gönnten sich die Samwers eine sogenannte Vorabausschüttung in Höhe von 287 Millionen Euro, sie machten damit de facto schon vor dem Börsengang Kasse. Dass die Alteigentümer weder beim Börsengang noch in den kommenden zwölf Monaten Rocket-Aktien abgeben wollen, wirkt deshalb schon nicht mehr ganz so beeindruckend.

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