Börsenkenner Rudolf Ferscha "Liquidität schützen"

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Transaktionssteuer gefährdet Liquidität

Neue Regeln für die Banken
Haftungspolster: EUAls Konsequenz aus der Finanzkrise 2008 steigt das harte Kernkapital (Stammaktien, Rücklagen) der Banken laut internationalem Regelwerk Basel III bis 2019 von 2,0 auf 7,0 Prozent des Risikovermögens (Wertpapiere, Kredite). Darüber herrscht in der Finanzbranche breiter Konsens. Angesichts der eskalierenden Schuldenkrise öffentlicher Haushalte soll die harte Kernkapitalquote wichtiger europäischer Banken jetzt aber schon bis Mitte 2012 auf sogar 9,0 Prozent erhöht werden – notfalls mithilfe obligatorischer staatlicher Beteiligungen. Viele Banker sehen das als Enteignung. Quelle: dapd
Haftungspolster: EU IIVon 2013 bis 2017 wird eine Schuldengrenze für Banken getestet, die 2018 in Kraft treten könnte.´ Die Institute sind dagegen, denn sie sollen die Finanzierung ihrer Geschäfte mit Schulden so weit reduzieren, bis der Anteil des Eigenkapitals an der Bilanzsumme auf mindestens drei Prozent steigt. Die Regulierer messen dabei das gesamte Eigenkapital, es zählen daher auch stille Einlagen. Auf der anderen Seite berücksichtigt die neue Regel die komplette Bilanzsumme und nicht nur das Risikovermögen. Quelle: dapd
Haftungspolster: GroßbritannienDie unabhängige Vickers-Kommission empfiehlt britischen Banken für bestimmte Geschäfte ein hartes Kernkapital von 10,0 Prozent – also drei Prozentpunkte mehr als Basel III fordert. Die meisten Institute auf der Insel erreichen diesen Wert laut Bankenverband bereits. Quelle: Reuters Toby Melville
Haftungspolster: USAIn den Vereinigten Staaten brauchen Banken von 2015 an eine Kernkapitalquote von mindestens 4,0 Prozent. Quelle: Reuters Shannon Stapleton
Liquidität: EUBanken müssen ab 2015 flüssige Mittel (Bargeld, Zentralbankguthaben, öffentliche Schuldtitel) bereithalten, um in einem Notfallszenario ihre Zahlungspflichten mindestens 30 Tage lang decken zu können. Ab 2018 wird die Refinanzierung langfristiger Kredite über kurzfristig fällige Verbindlichkeiten eingeschränkt. Quelle: dpa
Boni: EUAb 2011 müssen große Institute 40 bis 60 Prozent der variablen Vergütungen für Führungskräfte einbehalten und zeitanteilig auszahlen. Boni und Dividenden bleiben gesperrt, bis die ab Mitte 2012 für wichtige Banken vorübergehend geltende Kernkapitalquote von 9,0 Prozent erreicht ist. Quelle: Reuters Heinz-Peter Bader
Boni: GroßbritannienIn Großbritannien werden 40 bis 60 Prozent der Boni erst nach drei bis fünf Jahren ausgezahlt. Banken umgehen die Regel mit höheren Fixgehältern und indem sie einige ihrer Spitzenverdiener nicht als Führungskräfte deklarieren. Quelle: dpa

Das bekommt kein Staat hin.

Deshalb sollte sich der Fiskus an den Marktbetreibern orientieren...

...also zum Beispiel der Deutschen Börse oder der Nyse Euronext. Warum ausgerechnet an denen?

Weil sie umsatzbezogene Gebühren erheben und sich dabei permanent über die potenzielle Gefährdung der Liquidität Gedanken machen. Bricht ihnen die Liquidität weg, weil Marktteilnehmer woanders oder gar nicht mehr handeln, gefährden sie ihre Existenz. Deshalb setzen sie ihre Gebühren so an, dass die Liquidität in den einzelnen Produkten nicht gestört wird. Dabei lassen sie noch einen gewissen Puffer, holen also nicht alles raus, was möglich wäre.

Und dieser Puffer würde durch die Steuer angezapft?

Genau. Die Transaktionssteuer sollte als Umsatzsteuer auf die Börsengebühren gestaltet werden, in der Größenordnung von 10 bis 20 Prozent auf die Gebühren für Handelsgeschäfte und deren Verrechnung. Diese Steuer wäre unbürokratisch und effizient zu erheben, keine Bank müsste ihre Systeme umstellen, die Börsen würden sie ohne nennenswerten Aufwand abführen – und es gäbe kaum Ausweichmöglichkeiten.

Warum nicht?

Die Staaten hätten mit den Börsen immer hoch wachsame Interessenvertreter am Werk, die schon aus Eigeninteresse die Gebühren inklusive Umsatzsteuer annähernd so hoch wie möglich, aber eben nicht so hoch ansetzen würden, dass der Markt beeinträchtigt würde. Diese Abwägung muss für jedes Finanzprodukt getroffen werden. Diese Unternehmen tun das ständig. Die Geld-Brief-Spannen, also die Differenz zwischen den Kursen, zu denen ein Käufer kaufen und ein Verkäufer verkaufen würde, unterscheiden sich gewaltig, selbst bei nahezu identisch erscheinenden Finanzinstrumenten. Je liquider ein Produkt ist, desto schmaler ist die Spanne, und desto weniger Spielraum besteht für eine Steuer.

Damit würden viel gehandelte, also liquide Produkte, niedriger besteuert als weniger liquide?

Ja. Die Steuereinnahmen kämen bei denen aber auch, und zwar über das größere Volumen.

London will überhaupt keine neue Steuer, Brüssel und Berlin favorisieren feste Promillesätze auf den gesamten Preis der Finanzprodukte.

Das wäre die Rasenmäher-Methode und würde die Liquidität nicht schützen. Sie würde zu vielen tiefen Schnitten ins Fleisch führen – also zu niedriger Liquidität und höheren Kosten für Anleger. Und an anderen Stellen würde einiges an Wolle ungenutzt stehen bleiben. Eine an den Börsengebühren ausgerichtete Steuer dagegen würde die Schäfchen genau an der Haut entlang scheren. Und sie wäre ein akzeptabler Kompromiss zwischen der Londoner und der deutschen Position.

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