Börsenneulinge Startups haben an der deutschen Börse keine Chance

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Kreditech - Schnüffler im Netz

Neue Apps und Datendienste, innovative Recyclingtechnologien und Medikamententests ohne Tierversuche: Mit welchen Trends Jungunternehmer derzeit Kunden und Investoren begeistern.
von Jens Tönnesmann

Wenn Kreditech das Banking der Zukunft sein soll, dann fragt man sich schon, ob man diesem 26-Jährigen sein Geld anvertrauen würde. Sebastian Diemer will so gar nicht in das Bild des Krawatten tragenden Dreiteilers passen. Am liebsten trägt er knallorangene Poloshirts, die nicht verleugnen sollen, dass er ab und an ein Fitnessstudio aufsucht – wenn er nicht gerade auf Wasserskiern unterwegs ist oder Motocross fährt. Diemer hat aber noch nicht ausprobiert, ob seine Firma auch ihn für kreditwürdig hält. Kreditech vergibt in Deutschland keine Kredite mehr. Sehr wohl aber in Polen, Spanien, Tschechien, Russland und Mexiko: Konsumentenkredite bis 500 Euro und mit einer Laufzeit von 30 Tagen, in Polen 2500 Euro bis ein Jahr.

In diesen Ländern achtet Kreditechs Algorithmus auf den Lebenswandel potenzieller Schuldner. Er errechnet, wie wahrscheinlich es ist, dass diese ihre Kredite zurückzahlen. Anders als die deutsche Schufa sucht Kreditech nicht primär nach Versäumnissen in der Vergangenheit, die Firma schnüffelt im Netz nach Charaktereigenschaften, um die Zukunft vorherzusehen. Kreditech durchforstet dafür Facebook, Twitter, Amazon, Ebay, so ziemlich jede Spur, die ein Mensch im Netz hinterlässt. Die Software setzt aus bis zu 8000 Variablen ein Bild des potenziellen Schuldners zusammen. „Einen Kreditantragsteller, der bei Amazon gerade das Buch ,Raus aus den Schulden‘ bestellt hat und angibt, 3000 Euro im Monat bei einer Bank zu verdienen, dessen Smartphone sich allerdings nie dort aufhält, sondern der sich jeden Morgen mit einem Trunkenbold in der Eckkneipe eincheckt, den lehnen wir mit Sicherheit ab“, sagt Diemer.

Im zweiten Jahr nach Gründung leihen sich seine 40.000 Kunden im Schnitt 121 Euro, pro Woche kommt eine vierstellige Zahl Neuabschlüsse hinzu. Zehn Millionen Euro waren 2013 im Schnitt ausgeliehen, 2014 sollen es fast 30 Millionen sein. Dann will Diemer 35 Millionen Euro umsetzen, mehr als viermal so viel wie dieses Jahr – und profitabel arbeiten. Im ersten Halbjahr will Diemer Kredite auch in Argentinien, Peru und Australien vergeben.

Trotz des rasanten Wachstums betreibt er ein riskantes Geschäft. Nicht nur weil potenzielle Kunden nach der NSA-Affäre genauer hinsehen, welche Daten sie Diemers Algorithmus auslesen lassen, sondern auch, weil das Ausfallrisiko bei Kreditech deutlich höher ist als bei einer Bank oder im vergleichbaren Geschäft einer Mikrokredit-Organisation. In Polen, Tschechien und Spanien liegt die Ausfallquote zwischen 10 und 13 Prozent. In neuen Märkten wie Russland sei mangels brauchbarer Daten anfangs jeder zweite Schuldner säumig gewesen, sagt Diemer. Das habe Kreditech allerdings mit zwei Prozent Zins pro Tag kompensieren können.

Im Schnitt verlangen die Hamburger während der Laufzeit von 30 Tagen zwischen 15 und 35 Prozent. Schuldner sollten das lieber nicht aufs Jahr hochrechnen. Zinswucher, das damit verbundene Reputationsrisiko und Datenschutz-Bedenken sind die größten Risiken der jungen Firma. Nicht umsonst hat Diemer sein Geschäft, bei Gründung noch unter dem Namen Kredito, wieder eingestellt, nachdem die Finanzaufsicht BaFin eine Prüfung erwogen hatte. Eine Vollbanklizenz braucht Kreditech bisher in keinem seiner Märkte.

Konkurrent strebt zur Börse

Der härteste Wettbewerber, die britische Firma Wonga, wurde schon mehrfach als Wucherer beschimpft. Die Briten wiesen 2012 75 Millionen Euro Gewinn aus und streben an die Börse. Diemer ist sichtlich bemüht, sich von der Konkurrenz abzuheben: „Dort, wo wir arbeiten, bekommen die meisten Menschen überhaupt keinen Kredit. Bei uns haben sie immerhin eine Chance“, sagt er. Und im Übrigen sei das Kreditgeschäft nur eine Art Vorübung, um an vernünftige Daten zu kommen. Denn von 2014 an will er sein Scoring-Modell an Händler und lokale Banken verkaufen.

Immerhin weiß er bekannte Investoren hinter sich: Die Samwer-Brüder und andere haben insgesamt 33 Millionen Dollar überwiesen. Auf Basis einer Bewertung von angeblich über 100 Millionen Dollar verhandelt Diemer derzeit mit einem Investor über zusätzliche 20 Millionen. „Das soll die letzte Finanzierungsrunde mit Risikokapital werden“, sagt er. Diemer macht keinen Hehl draus, dass er an die Börse will – womöglich schon 2014.

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