Börsenneulinge Startups haben an der deutschen Börse keine Chance

Der bayrische 3-D-Drucker Voxeljet hat es schon aufs Parkett geschafft – in den USA. In Deutschland ging in diesem Jahr kein junges Wachstumsunternehmen an die Börse. Dabei gäbe es durchaus Kandidaten.

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Franz und Ederer Quelle: AP

In der Luft liegt der Geruch von Klebstoff. Am Rande der schmucklosen Halle fährt ein meterlanger Druckerarm über eine Platte. Auf hundertstel Millimeter genau sprühen 30 000 Düsen Leim auf. Begleitet von ohrenbetäubendem Lärm, fährt ein anderer Druckerarm aus und verteilt feinsten Sand passgenau auf die Klebeflächen. Minute für Minute, Schicht für Schicht nimmt die Einstein-Büste Form an – filigran, lebensnah, ganz so, wie es der Computer dem 3-D-Drucker anhand von dreidimensionalen Daten aufgegeben hat.

Dort, in einem Industriegebiet in Friedberg bei Augsburg, will der 3-D-Druck-Spezialist Voxeljet die industrielle Fertigung revolutionieren. Der dreidimensionale Druck gilt an der Börse als Zukunftstechnologie. Die Einstein-Büste ist nur Spielerei, es geht um Teile von Prototypen für die Automobil- oder Luftfahrtindustrie, die weitaus billiger und schneller gebaut werden können als mit klassischem Werkzeug. Wer will, kann bei Voxeljet nicht nur Teile drucken lassen, sondern gleich die ganze Druckmaschine kaufen.

Voxeljet entwickelt sich, Gründer und Chef Ingo Ederer will in fünf Jahren aus aktuell 11 mehr als 50 Millionen Euro Umsatz machen. Seine Wachstumsgeschichte hat Ederer jetzt Investoren verkauft – er ist im Oktober mit Voxeljet an die Börse gegangen. Binnen vier Wochen verfünffachte sich der Kurs der Papiere; in der Spitze haben Anleger den jungen Mittelständler aus der Provinz, dessen Unternehmen gerade einmal in zwei Hallen auf 5800 Quadratmeter passt, mit gigantischen 1,1 Milliarden Dollar bewertet.

Allein: Deutsche Anleger haben diese Rally verpasst. Denn Voxeljet ist in den USA an die Börse gegangen. Das Management hatte sich zwar auch bei einer Handvoll deutscher Investoren vorgestellt. Doch die hätten bloß gemäkelt: „Kleiner Umsatz, kein Gewinn“, so lautete deren Kritik. Ederer versteht das einfach nicht: „Deutsche Investoren haben eine typische rückwärtsgerichtete Sichtweise“, hat er festgestellt.

Er erinnert sich noch allzu gut an seinen Börsengang, auf dem Parkett der altehrwürdigen New York Stock Exchange. Auf allen Anzeigetafeln leuchtete der Name seines Unternehmens. „Der erste Handelstag an der New York Stock Exchange war für uns alle ein besonderes Erlebnis“, schwärmt Ederer noch heute. Mit seinen Bankern, Rechtsanwälten und Finanzchef Rudolf Franz stand er am Computer-Bildschirm des Aktienhändlers. Wer Glück hatte an der US-Börse, hatte Voxeljet zu 13 Dollar bekommen. „Das Orderbuch war mehrfach überzeichnet, Investoren fragten elf bis zwölf Mal so viel Papiere nach, wie wir ausgegeben haben“, sagt Finanzchef Franz. Viele, die bei der Zeichnung leer ausgegangen waren, rissen sich nun um die Aktie: Gleich am ersten Handelstag verdoppelte sich der Kurs. „Das war erlösend, da ist viel Druck abgefallen“, sagt Ederer.

Dass deutsche Anleger bei diesem urbayrischen Unternehmen außen vor blieben, ist symptomatisch. Keine zehn Prozent der Deutschen haben Aktien. Neue, junge Wachstumsunternehmen sind Fehlanzeige auf dem Kurszettel. Wenn überhaupt, dann kommen Großunternehmen aus Industrie und Wohnungswirtschaft neu aufs Parkett: Osram, Evonik, der Gabelstaplerbauer Kion, die Immobilienwerte Deutsche Annington und LEG schafften es 2013.

Warum alle Firmen gleichzeitig an die Börse möchten
Kion, Springer Science, Deutsche Annington – und dann auch noch Osram. Ende Juni und Anfang Juli werden sich die Firmenchefs der Neuzugänge an der Frankfurter Börse fast die Glocke in die Hand geben. Dabei ist der letzte normale Börsengang in Frankfurt – LEG Immobilien – dann schon fünf Monate her. Dass sich die Börsenkandidaten nun plötzlich drängeln, ist kein Zufall. Denn die Zeitfenster, auf die Unternehmen für einen erfolgreichen Börsengang angewiesen sind, sind – jedenfalls in Deutschland - eng. Im März, im Juni, im September und Mitte November werden deshalb die meisten Börsengänge gestartet. Quelle: dpa
„Es gibt Fenster, die man erwischen muss. Da müssen mehrere Faktoren zusammentreffen: Das Unternehmen muss bereit sein für einen Börsengang, der Markt muss stabil sein, aber auch der angepeilte Börsenplatz muss gut laufen“, sagt Martin Steinbach, der für die Unternehmensberatung Ernst & Young Börsengänge begleitet. „Der IPO-Eurostoxx-Performance-Index zeigt nach oben. Daher steht die Ampel derzeit auf Grün.“ Quelle: dpa
Die ZahlenDiese Voraussetzungen allein würden Börsengänge im Mai oder August noch nicht ausschließen. Doch hinzu kommen die rechtlichen Vorgaben. Die Zahlen, die die Unternehmen in ihrem Wertpapierprospekt verwenden, dürfen zur Erstnotiz nicht älter sein als 135 Tage, das sind viereinhalb Monate. „Sonst dürfen die Wirtschaftsprüfer die Zahlen nicht mehr beglaubigen“, erläutert Oliver Seiler, der als Wirtschaftsanwalt für die Kanzlei Allen & Overy an vielen Börsengängen mitarbeitet. Das heißt: Verweist der Börsenaspirant auf seine Geschäftszahlen zum Jahresende, muss er bis spätestens Mitte Mai an der Börse sein. Quelle: dpa
Der AusblickÄltere Zahlen würden die Investoren nervös machen - vor allem bei Unternehmen, deren Geschäft stark schwankt. Das begünstigt auch Börsengänge im zweiten Halbjahr. Denn dann wagen die Firmen einen Ausblick auf das kommende Jahr – und die meisten Investoren treffen ihre Kaufentscheidungen für neue Börsenwerte auf Basis der Erwartungen für das Folgejahr. Auch in den vergangenen Jahren hatten daher viele Kandidaten auf einen Termin im Herbst gesetzt – doch da kam regelmäßig eine Krise dazwischen. Die LEG, die ihren Börsengang im Januar auf Basis der Zwischenbilanz bis September 2012 gestartet hatte, war eine Ausnahme. „Je stabiler das Geschäftsmodell ist, desto eher kann das das wagen“, sagt Seiler. Quelle: REUTERS
Urlaubsszettel Quelle: Fotolia
Interne GründeDass Kion, Springer Science und Deutsche Annington auf den letzten Drücker kommen wollen, hat auch individuelle Gründe: Beim Gabelstapler-Konzern Kion musste erst der Einstieg des chinesischen Großaktionärs Weichai Power abgeschlossen sein, der größte deutsche Wohnungskonzern Annington hatte erst im April einen neuen Vorstandschef bekommen. Und beim Wissenschaftsverlag Springer Science versuchen die Eigner alternativ zu den Börsen-Vorbereitungen einen Käufer für das ganze Unternehmen zu finden. Endgültige Offerten werden erst in diesen Tagen erwartet. Quelle: dpa
Dass der Lichtkonzern Osram erst jetzt an die Börse kommt, ist eher Zufall: Aktionärsklagen gegen die Abspaltung hatten den Schritt zuvor verhindert. Doch auf die Sommerpause musste auch Osram achten. Zwar verschenkt Siemens die Papiere nur an die eigenen Aktionäre. Doch um eine Verkaufswelle großer Aktionäre - etwa von Indexfonds - nach dem Börsendebüt zu vermeiden, müssen Banker vorher neue Investoren für Osram-Aktien im Volumen von mehreren hundert Millionen Euro finden. Quelle: REUTERS

Gründer bekommen zwar Geld, wenn es aber darum geht, ein Geschäftsmodell schnell auszuweiten, mangelt es an Eigenkapital, das anderswo von der Börse kommt. So erreichen Unternehmen nicht die kritische Größe, um ihren Markt wirklich beherrschen zu können – wie Google, Apple oder Amazon.

Die Deutsche Börse in Frankfurt arbeitet seit dem vergangenen Frühjahr an einem Projekt, das dazu führen soll, dass wieder mehr junge Wachstumsunternehmen an die Börse gehen. Seit Noch-Wirtschaftsminister Philipp Rösler im Sommer anregte, den Neuen Markt wieder auferstehen zu lassen, kursieren zwischen Berlin und Frankfurt diverse Namenslisten von Unternehmen, die möglicherweise für ein solches Börsensegment infrage kommen. Die fünf im Folgenden vorgestellten Unternehmen und 15 weitere (siehe Kurztextgalerie auf Seite 4 in diesem Artikel), finden sich in fast jeder Aufstellung.

Mister Spex - Wann reagiert Fielmann?

Dirk Graber Quelle: Arne Weychardt für WirtschaftsWoche

Brillen online zu verkaufen galt lange als unmöglich. Wer sich ein neues Gestell auf die Nase setzt, will es vorher anprobieren und im Spiegel betrachten. Das Berliner Start-up Mister Spex beweist das Gegenteil: Die Firma verkauft seit 2007 Brillen, Kontaktlinsen und Sonnenbrillen im Internet. In diesem Jahr wird der Online-Optiker mit etwa 600.000 Kunden voraussichtlich 48 Millionen Euro Umsatz machen, 85 Prozent mehr als 2012.

Trotz des Wachstums kommt Mister Spex in dem Fünf-Milliarden-Markt nur auf einen Anteil von etwa einem Prozent. Damit hat die Firma Online-Wettbewerber abgehängt, arbeitet aber unterhalb der Wahrnehmungsschwelle der Riesen Fielmann (Nettoumsatz 2012 in Deutschland: 831 Millionen Euro) und Apollo Optik (405 Millionen). Lange hat Günter Fielmann die Konkurrenz aus dem Netz nicht ernst genommen, bezeichnete deren Geschäftsmodell, Brillen ohne Beratung zu verkaufen, als „Rückfall ins Mittelalter“. Inzwischen dementiert der Marktführer mit fast 600 Filialen nicht mehr, über eine Online-Strategie nachzudenken. „Sollte Fielmann so den Markt absichern, hätte Mister Spex keine Chance“, sagt Mathias Gehrckens, Geschäftsführer der Beratung dgroup.

Dirk Graber kontert, Fielmann verstehe nichts von E-Commerce. Graber hat Mister Spex gegründet. Vor allem in den Anfangsjahren galt das Startup in der E-Commerce-Branche als Vorreiter. „Die hatten eine kluge Nische, eine eigene Shop-Software, arbeiteten sehr analytisch und waren technologisch vorn“, sagt ein ehemaliger Manager des Modeversenders Zalando.

Die größten Onlineshops
Platz 10: EspritE-Commerce-Umsatz: 327,6 Millionen Euro. Das Modelabel zählt zu den beliebtesten Marken der Deutschen - vor allem der deutschen Frauen. Dennoch verliert Esprit zwei Plätze im Vergleich zum Vorjahr. Esprit kämpft seit einigen Jahren mit Qualitätsproblemen, einem schleichenden Imageverlust und hat in diesem Jahr zum ersten Mal seit dem Börsengang 1993 einen Verlust von über 400 Millionen Euro eingefahren. Mehr über die Probleme bei Esprit lesen Sie hier: "Esprit läuft die Zeit davon"Quelle des Rankings: EHI Retail-Institute + Statista Studie E-Commerce-Markt Deutschland 2013 - untersucht wurde der Markt der Top 1000 Onlineshops. Als E-Commerce-Umsatz gilt der Nettoumsatz im Jahr 2012, bereinigt von Retouren, exkl. Umsatzsteuer und nur aus der reinen Geschäftstätigkeit des Onlineshops (ohne sonstige betriebliche Erträge des Unternehmens). Quelle: Screenshot
Platz 9: CyberportE-Commerce-Umsatz: 343,1 Millionen Euro. Das Portal für Computer, Unterhaltungselektronik, Handys und Zubehör kann seinen Platz im Vergleich zum Vorjahr halten. Die Produktgruppe Computer & Co. ist mit rund 14 Prozent am Gesamtumsatz der Top-1000-Onlineshops das drittstärkste Segment im gesamten E-Commerce. Quelle: Screenshot
Platz 8: BonprixE-Commerce-Umsatz: 357 Millionen Euro. Die Otto-Tochter Bonprix ist seit 1986 am Markt. Sie wirbt mit günstigen Preise für junge Mode und spricht damit in erster Linie Frauen an. Im Vergleich zum Vorjahr verschlechtert sich Bonprix um einen Platz. 20 Prozent aller Umsätze der Top 1000 Onlinehändler wurden 2012 mit Modeartikeln gemacht. Quelle: Screenshot
Platz 7: TchiboE-Commerce-Umsatz: 360 Millionen Euro. Vom Teesieb bist zur Regenjacke - bei Tchibo gibt es nahezu alles - das scheint den Kunden zu gefallen. Der einstige Kaffeeröster schießt von Platz 16 auf Platz 7. Der Umsatzanteil der Generalisten, zu denen auch Tchibo zählt, blieb mit knapp 37 Prozent und fast 11 Milliarden Euro auf Vorjahresniveau. Rund die Hälfte aller Onlineshops betreibt wie auch Tchibo, zusätzlich ein oder mehrere stationäre Geschäfte. Beliebt sind außerdem Marktplätze wie Amazon und ebay, die von knapp 45 bzw. fast 29 Prozent der Händler genutzt werden. Smartphone- sowie Tablet-optimierte Websites oder Apps inklusive Shopfunktion sind um gut 36 Prozent gewachsen und haben ihren Marktanteil auf über 29 Prozent (Vorjahr: 21,4 Prozent) ausgebaut. Kataloge oder Magazine halten über 23 Prozent innerhalb der Vertriebskanäle. Quelle: Screenshot
Platz 6: ConradE-Commerce-Umsatz: 372,9 Millionen Euro. Werkzeug, TV-Geräte, Glühbirnen - Conrad ist das Technik-Dorado der Schrauber und Bastler. Filialen, Katalog und Onlineportal führen mehr als 220.000 Produkte. Die Conrad-Gruppe geht zurück auf Max Conrad der 1923 das "Radio Conrad" gründete. Im Vergleich zum Vorjahr verliert Conrad einen Platz im Ranking und tauscht ihn mit.... Quelle: Screenshot
Platz 5: WeltbildE-Commerce-Umsatz: 388,9 Millionen Euro. Die Verlagsgruppe Weltbild beschäftigt mehr als 6.400 Mitarbeiter. Zum Sortiment gehören Bücher und E-Books, Musik und DVDs, Software und Games, Haushaltsartikel, Spielwaren und Geschenkartikel. Im Online-Buchhandel ist der Internetshop nach eigener Aussage bereits die Nummer zwei in Deutschland. Weltbild.de macht im Vergleich zum Vorjahr im Ranking der umsatzstärksten deutschen Onlineshops einen Platz gut - von 6 auf 5. Quelle: Screenshot
Platz 4: ZalandoE-Commerce-Umsatz: 411,6 Millionen Euro. Zalando.de, hat mit Platz 4 das Sieger-Treppchen zwar knapp verfehlt, aber volle 16 Plätze im Vergleich zum Vorjahr aufgeholt. Mit seinem Mode-, Schuh- und Accessoires-Sortiment hat das "Schrei-vor-Glück"- Unternehmen das zweitgrößte Segment im Onlinehandel kräftig aufgemischt und könnte schon an die Börse gehen. Zalando feiert in diesem Jahr seinen fünften Geburtstag. Quelle: Screenshot

Im Gegensatz zu Zalando hat Graber auch die Rücksendequoten einigermaßen im Griff. In Großbritannien, Frankreich und Spanien ist die Firma schon online, zuletzt hat Graber zwei kleinere Wettbewerber in Schweden übernommen. Das Geld dafür hatte der 36-Jährige aus der letzten Finanzierungsrunde über 16 Millionen Euro, bei der der Investor Scottish Equity Partners 25 Prozent der Anteile übernommen hat und den Unternehmenswert dabei auf etwa 70 Millionen Euro kalkulierte. Zum Vergleich: Die Börse bewertet Fielmann mit 3,5 Milliarden Euro.

Um nicht nur Zweitkäufer von Brillen für Mister Spex zu erwärmen, hat Graber seit Mitte 2011 ein Partnernetzwerk mit traditionellen Optikern aufgebaut. Dort können Kunden einen Sehtest machen, für den Mister Spex an den Optiker eine Servicepauschale und eine Umsatzprovision für online gekaufte Brillen zahlt. „Wir suchen nach Optikern in A-Minus- oder B-Plus-Lagen, die nicht voll ausgelastet sind“, sagt Graber. Bislang kooperiert er mit 350 Optikern. 2014 will er profitabel werden und spätestens 2015 rund 100 Millionen Euro Umsatz schaffen. Ein Börsengang sei kein Selbstzweck, sagt Graber, der nur noch drei Prozent an Mister Spex hält. Eigene Aktien seien aber sinnvoll, als Übernahmewährung – und zur Mitarbeitermotivation.

Researchgate - Facebook für Wissenschaftler

Ijad Madisch Quelle: Laif/Andreas Chudowski

Christian Vollmann war der erste Investor, der Ijad Madisch Geld gab, obwohl er ihn nicht persönlich kannte. Das war Anfang 2008. „Researchgate soll ein Facebook für Wissenschaftler werden“, versprach ihm Madisch. 20 andere Investoren hatten zu diesem Zeitpunkt schon abgelehnt. Vollmann war der erste, der an die Vision glaubte und nicht nach Gewinnen fragte.

Heute haben sich über drei Millionen Forscher auf dem Portal registriert, das ist fast die Hälfte aller Forscher weltweit. Eine Million sind mindestens einmal im Monat auf der Seite aktiv: Aal-Forscher aus Schweden, Klimafolgenforscher aus Potsdam, Physiker aus Russland, HIV-Spezialisten aus Kalifornien. Sie haben über 60 Millionen Arbeiten auf Researchgate veröffentlicht, diskutieren Probleme, vergleichen Ergebnisse oder suchen nach neuen Jobs. Jeden Tag kommen 10.000 neue Mitglieder dazu, jede Woche werden auf der Plattform über 5000 neue Rohdatensätze hochgeladen, Daten etwa über fehlgeschlagene Experimente, die sonst kaum bekannt geworden wären.

„In den wissenschaftlichen Journalen werden doch nur die Erfolgsmeldungen publiziert“, sagt Madisch. „Wir hingegen verbinden die richtigen Daten mit den richtigen Menschen.“ Er meint Menschen wie Orazio Romeo, einen jungen Biologen aus Italien, der über Researchgate Emmanuel Nnadi aus Nigeria fand; gemeinsam entdeckten sie einen neuen Infektionserreger. Oder den philippinischen Studenten, der ohne das Netzwerk wohl nicht mit einem spanischen Professor eine neue Formel für Biodiesel gefunden hätte.

Madisch will das Open-Source-Prinzip (Software kann frei kopiert und weiterverbreitet werden) in der Wissenschaft etablieren. Seine schärfsten Wettbewerber sind die renommierten Journale „Nature“ oder „Science“, die erfolgreiche Forschungsergebnisse als Erste publizieren. Forschungsgelder, Drittmittel, Prestige hängen daran. Diesen Mechanismus will Madisch brechen. Schließlich sei das World Wide Web 1989 erfunden worden, damit Forscher ihre Daten schneller austauschen könnten.

Investor Vollmann sagt über Madisch, der sei der einzige der neuen Gründer in Deutschland, der „von der Denke her an das Silicon Valley herankommt“. Dafür spricht zumindest, dass vor allem Amerikaner in das deutsche Startup investiert haben. So gewann Madisch Matt Cohler und dessen Fonds Benchmark Capital als Investor. Cohler war lange Zeit die Nummer zwei bei Facebook und hat auch LinkedIn mit gegründet. Peter Thiel, der erste Facebook-Investor, ist dabei; zuletzt öffnete Bill Gates Ende Mai sein Scheckbuch.

Über 35 Millionen Dollar hat Madisch eingesammelt. „Eigentlich brauchen wir nicht mehr“, sagt der 33-Jährige. „Mit dem Venture Capital haben wir uns Zeit gekauft.“ Es sei schwieriger, die Verkrustung der Wissenschaft aufzubrechen, als damit Geld zu verdienen. Auch wenn der studierte Virologe kein Wort über Umsatz und Gewinn verlieren mag: Allein mit der Jobbörse könne Researchgate bald profitabel arbeiten. Will er verkaufen? „Nein, danke.“ Researchgate sei Lebensaufgabe. Will er an die Börse? Da habe er noch nicht genug drüber nachgedacht, sagt Madisch. Seine 110 Mitarbeiter würden profitieren, sagt er, schließlich habe sogar die Putzfrau Anteile.

Soundcloud - Große Töne und Wooga - Alles auf Apps

Im Zentrum Berlins schlägt Europas Herz der Web-Industrie. Das Erfolgsgeheiminis ist ein einzigartiges Netzwerk aus Kapitalgeber, Berater und mutigen Gründern. Ein Blick auf die Akteure der Branche.
von Michael Kroker

250 Millionen Nutzer pro Monat: Das ist eine der wenigen Zahlen, die Eric Wahlforss über sein Unternehmen preisgeben will. Und sie ist entscheidend, denn das Kapital des Berliner Unternehmens Soundcloud sind seine User. Musiker, DJs und Labels in aller Welt, die in jeder Minute mehr als zwölf Stunden Musik auf die Plattform hochladen. Und jene Menschen, die sich die Musik anhören, kommentieren und online teilen. Sie machen Soundcloud zu einer Plattform, die künftig womöglich ähnlich erfolgreich sein könnte, wie YouTube und Twitter es heute sind – und damit langfristig zu einem Börsenkandidaten.

2011 setzte Soundcloud erst 4,3 Millionen Euro um – immerhin mehr als drei Mal so viel wie noch 2010. Auch aktuell dürfte das junge Unternehmen noch Verlust machen: „Die Gewinnschwelle ist bisher nicht unser Fokus“, sagt Eric Wahlforss, der Soundcloud zusammen mit Alexander Ljung 2007 gegründet hat. „Wir konzentrieren uns aufs Wachstum und noch mehr Reichweite.“

Soundcloud hat den US-Wettbewerber MySpace, das einst populärste Netzwerk der Welt, bereits überholt. Der Markt ist umkämpft: Auch über Dienste wie Spotify, Simfy und Last.fm lässt sich Musik anhören und teilen. Doch während bei Spotify die Zuhörer per Flatrate zahlen, sind es bei Soundcloud die Anbieter: Bis zu zwei Stunden Musik lassen sich kostenlos hochladen; wer unbegrenzt Songs einstellen will, zahlt neun Euro pro Monat. Soundcloud versteht sich mit diesem Geschäftsmodell als Plattform für Künstler, die ihre Hörer mit neuen Songs versorgen, Reichweite aufbauen und populär werden wollen.

Seit sich renommierte Risikokapitalgeber wie Doughty Hanson Technology und Kleiner Perkins Caufield & Byers eingekauft haben, gilt Soundcloud als Aushängeschild der Berliner Startup-Szene. Auf 200 Millionen Dollar taxierte das Portal Techcrunch den Wert von Soundcloud bereits im Jahr 2012; seitdem hat sich die Nutzerzahl etwa verzwanzigfacht, die Bewertung dürfte heute deutlich höher liegen.

Das Thema Börsengang umschifft Wahlforss lieber: „Wir konzentrieren uns erst mal auf den Aufbau unserer Firma“, sagt er, „und da haben wir noch ziemlich viel Arbeit vor uns.“

Börsenkandidaten und ihr Geschäftsmodell

Wooga - Alles auf Apps

In einer alten Backfabrik im Prenzlauer Berg, zwischen urwaldartigen Pflanzen und bunten Monstervisagen, programmieren mehr als 250 Wooga-Mitarbeiter Online-Spiele. Die Spiele sind kostenlos, Wooga nimmt Geld ein, wenn Nutzer sich Vorteile erkaufen, um im Spiel weiterzukommen. Knapp vier Jahre nach dem Start gehört die Spieleschmiede zu einem der erfolgreichsten Startups Deutschlands und ist einer der führenden Spielehersteller in Europa. „Der Umsatz verdoppelt sich von Jahr zu Jahr“, sagt Gründer Jens Begemann. Und: „Wir sind profitabel.“

In der Online-Spielebranche herrscht Goldgräberstimmung. Rund 1,5 Milliarden Dollar legte kürzlich die japanische Softbank für 51 Prozent des finnischen Spieleherstellers Supercell auf den Tisch, der erst 2010 gestartet ist. King.com aus den USA denkt gerade über einen Börsengang nach, angeblich zu einer Milliardenbewertung.

Immer mehr Nutzer spielen Spiele auf mobilen Endgeräten, laut Branchenverband Bitkom allein mehr als elf Millionen Deutsche. Damit sind mobile Endgeräte ebenso populär wie Spielkonsolen. „Der Markt explodiert gerade“, sagt ein Branchenkenner. Das sorge allerdings auch dafür, dass die Karten in der Branche neu gemischt werden: So habe Zynga aus den USA zwar lange den Ton angegeben, aber den Transfer zu Mobilgeräten verschlafen.

Wooga soll das nicht passieren. Das Unternehmen, das seine ersten Erfolge mit Spielen für Facebook feierte, entwickelt seit zweieinhalb Jahren Spiele für mobile Geräte. Anfangs setzte Wooga auf die Programmiersprache HTML 5. „Das war die falsche Technologie“, sagt Begemann, „aber zum Glück konnten wir rechtzeitig korrigieren und auf Apps umsatteln.“ Inzwischen bringen die mehr als die Hälfte des Umsatzes.

Spielehersteller müssen viel investieren, um Mobile-Nutzer zu erreichen, deutlich mehr als zehn Cent pro umgesetzten Euro verschlingt das Marketing. Es gilt, schnell Reichweite aufzubauen und die Nutzer dazu zu bringen, die Spiele übers Internet gemeinsam zu spielen. Bei JellySplash gelingt Wooga dies: Gut 15 Millionen Menschen haben das Spiel mit den mehr als 200 Levels in drei Monaten gespielt. Wachstum finanziert Wooga längst aus einem positiven Cash-Flow. Eine weitere Finanzierungsrunde sei nicht geplant – auch kein Börsengang, sagt Begemann.

Kreditech - Schnüffler im Netz

Neue Apps und Datendienste, innovative Recyclingtechnologien und Medikamententests ohne Tierversuche: Mit welchen Trends Jungunternehmer derzeit Kunden und Investoren begeistern.
von Jens Tönnesmann

Wenn Kreditech das Banking der Zukunft sein soll, dann fragt man sich schon, ob man diesem 26-Jährigen sein Geld anvertrauen würde. Sebastian Diemer will so gar nicht in das Bild des Krawatten tragenden Dreiteilers passen. Am liebsten trägt er knallorangene Poloshirts, die nicht verleugnen sollen, dass er ab und an ein Fitnessstudio aufsucht – wenn er nicht gerade auf Wasserskiern unterwegs ist oder Motocross fährt. Diemer hat aber noch nicht ausprobiert, ob seine Firma auch ihn für kreditwürdig hält. Kreditech vergibt in Deutschland keine Kredite mehr. Sehr wohl aber in Polen, Spanien, Tschechien, Russland und Mexiko: Konsumentenkredite bis 500 Euro und mit einer Laufzeit von 30 Tagen, in Polen 2500 Euro bis ein Jahr.

In diesen Ländern achtet Kreditechs Algorithmus auf den Lebenswandel potenzieller Schuldner. Er errechnet, wie wahrscheinlich es ist, dass diese ihre Kredite zurückzahlen. Anders als die deutsche Schufa sucht Kreditech nicht primär nach Versäumnissen in der Vergangenheit, die Firma schnüffelt im Netz nach Charaktereigenschaften, um die Zukunft vorherzusehen. Kreditech durchforstet dafür Facebook, Twitter, Amazon, Ebay, so ziemlich jede Spur, die ein Mensch im Netz hinterlässt. Die Software setzt aus bis zu 8000 Variablen ein Bild des potenziellen Schuldners zusammen. „Einen Kreditantragsteller, der bei Amazon gerade das Buch ,Raus aus den Schulden‘ bestellt hat und angibt, 3000 Euro im Monat bei einer Bank zu verdienen, dessen Smartphone sich allerdings nie dort aufhält, sondern der sich jeden Morgen mit einem Trunkenbold in der Eckkneipe eincheckt, den lehnen wir mit Sicherheit ab“, sagt Diemer.

Im zweiten Jahr nach Gründung leihen sich seine 40.000 Kunden im Schnitt 121 Euro, pro Woche kommt eine vierstellige Zahl Neuabschlüsse hinzu. Zehn Millionen Euro waren 2013 im Schnitt ausgeliehen, 2014 sollen es fast 30 Millionen sein. Dann will Diemer 35 Millionen Euro umsetzen, mehr als viermal so viel wie dieses Jahr – und profitabel arbeiten. Im ersten Halbjahr will Diemer Kredite auch in Argentinien, Peru und Australien vergeben.

Trotz des rasanten Wachstums betreibt er ein riskantes Geschäft. Nicht nur weil potenzielle Kunden nach der NSA-Affäre genauer hinsehen, welche Daten sie Diemers Algorithmus auslesen lassen, sondern auch, weil das Ausfallrisiko bei Kreditech deutlich höher ist als bei einer Bank oder im vergleichbaren Geschäft einer Mikrokredit-Organisation. In Polen, Tschechien und Spanien liegt die Ausfallquote zwischen 10 und 13 Prozent. In neuen Märkten wie Russland sei mangels brauchbarer Daten anfangs jeder zweite Schuldner säumig gewesen, sagt Diemer. Das habe Kreditech allerdings mit zwei Prozent Zins pro Tag kompensieren können.

Im Schnitt verlangen die Hamburger während der Laufzeit von 30 Tagen zwischen 15 und 35 Prozent. Schuldner sollten das lieber nicht aufs Jahr hochrechnen. Zinswucher, das damit verbundene Reputationsrisiko und Datenschutz-Bedenken sind die größten Risiken der jungen Firma. Nicht umsonst hat Diemer sein Geschäft, bei Gründung noch unter dem Namen Kredito, wieder eingestellt, nachdem die Finanzaufsicht BaFin eine Prüfung erwogen hatte. Eine Vollbanklizenz braucht Kreditech bisher in keinem seiner Märkte.

Konkurrent strebt zur Börse

Der härteste Wettbewerber, die britische Firma Wonga, wurde schon mehrfach als Wucherer beschimpft. Die Briten wiesen 2012 75 Millionen Euro Gewinn aus und streben an die Börse. Diemer ist sichtlich bemüht, sich von der Konkurrenz abzuheben: „Dort, wo wir arbeiten, bekommen die meisten Menschen überhaupt keinen Kredit. Bei uns haben sie immerhin eine Chance“, sagt er. Und im Übrigen sei das Kreditgeschäft nur eine Art Vorübung, um an vernünftige Daten zu kommen. Denn von 2014 an will er sein Scoring-Modell an Händler und lokale Banken verkaufen.

Immerhin weiß er bekannte Investoren hinter sich: Die Samwer-Brüder und andere haben insgesamt 33 Millionen Dollar überwiesen. Auf Basis einer Bewertung von angeblich über 100 Millionen Dollar verhandelt Diemer derzeit mit einem Investor über zusätzliche 20 Millionen. „Das soll die letzte Finanzierungsrunde mit Risikokapital werden“, sagt er. Diemer macht keinen Hehl draus, dass er an die Börse will – womöglich schon 2014.

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