Börsenpsychologie Warum sich Anleger oft überschätzen

Wenn die Kurse steigen, werden Kleinanleger risikofreudig. Trotz sachlicher Informationen kann der Anleger das wahre, objektive Risiko dann gar nicht einschätzen, wie eine Studie zeigt.

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Wenn der Aktienkurs steigt, werden viele Anleger risikofreudiger. Quelle: dapd

Düsseldorf Wie gefährlich Skifahren ist, können kleine Kinder nicht wissen. Sie probieren es einfach aus. Und wenn sie einmal heil hinuntergekommen sind, wollen sie sofort auf den nächsten Hügel – am besten einen steileren. Denn wenn es vorher gutgegangen ist, wird es auch jetzt gutgehen.

Meist reichen schon ein paar Erfolgserlebnisse, und schon sinkt das Risikoempfinden. Dass die Gefahren tatsächlich umso höher sind, je steiler der Berg wird, daran denken höchstens die Eltern.

Dabei verhalten sich Erwachsene genau gleich – zum Beispiel bei der Suche nach guten Anlagemöglichkeiten für das eigene Ersparte. Eine neue Studie aus dem Bereich der verhaltensökonomischen Finanzforschung zeigt: Ob wir eine Investition für riskant oder nicht halten, hängt von vielem ab – nur nicht vom wahren, objektiven Risiko.

Für ihre Analyse haben die Autoren, die Ökonomen Thomas Post und Arvid Hoffmann, rund 1000 Kleinanleger ein Jahr lang regelmäßig nach ihrem subjektiven Risikoempfinden befragt. Dafür legten ihnen die Forscher der Universität Maastricht eine Skala vor und baten sie um eine Einschätzung, für wie gefährlich sie das Investieren an der Börse im folgenden Monat hielten.

Der Clou dabei: Das Forscherduo hatte gleichzeitig Einblick in die Aktiendepots der Befragten – diese Daten hatte ein niederländischer Online-Broker zur Verfügung gestellt. Im Durchschnitt hatten die Probanden rund 50.000 Euro an den Börsen angelegt. „Die meisten Teilnehmer waren weder Profis noch absolute Laien“, sagt Autor Hoffmann.

Die Wissenschaftler untersuchten, wie die persönlichen Erfahrungen an der Börse Mut oder Angst beeinflussen. Sie stießen auf ein klares Muster: Je stärker die Aktien eines Anlegers in der jüngeren Vergangenheit im Wert gestiegen waren, desto geringer war sein Risikoempfinden – und desto höher seine Bereitschaft, gewagte Deals einzugehen. Ob seine Investments im betrachteten Zeitraum tatsächlich riskant waren – wie stark sie also im Schnitt von Tag zu Tag schwankten –, hatte dagegen keinen Einfluss auf die Risikobereitschaft.


Bei komplexen Problemen ist der Mensch überfordert

Hoffmann und Post sehen darin eine mögliche Erklärung für die Entstehung von Spekulationsblasen. Diese entstehen schließlich immer dann, wenn sich Anleger zu sehr auf den Trend verlassen und angestachelt durch zurückliegende Erfolge leichtsinniger werden.

„Die Anleger denken: Ist die Rendite gut, ist alles sicher“, sagt Arvid Hoffmann. Doch das sei ein naives Denkmuster: Denn es seien ja meist eher die gefährlichen Investments, die viel abwerfen würden – schließlich müsse der Anleger mit der Chance auf hohe Gewinne für sein Risiko entschädigt werden, möglicherweise auch viel zu verlieren.

Doch woher kommt diese Fehleinschätzung? Verhaltensforscher gehen davon aus: Gerade bei komplexen Problemen ist der Mensch damit überfordert, alle sachlichen Informationen zu einem konsistenten Bild zusammenzusetzen. Unsere Gefühle leiten uns dabei in die Irre. Affektheuristik nennt sich diese Theorie – sie geht zurück auf den amerikanischen Psychologen Paul Slovic. Weil sich die Anleger über hohe Gewinne freuen, empfinden sie das Risiko als geringer – obwohl beides eigentlich andersherum miteinander zusammenhängt. Doch das Erfolgserlebnis wird dann zum entscheidenden Impuls und überstrahlt alle anderen Gedanken.

Gleichzeitig neigen gerade Laien dazu, sich zu sehr auf ihren – meist eher begrenzten – Erfahrungsschatz zu verlassen. Das zeigt etwa eine experimentelle Studie dreier schweizerischer Forscher, die kürzlich im „Journal of Behavioral Finance“ erschienen ist: Per Fragebogen baten sie eine Gruppe von 500 zufällig ausgewählten Kleinanlegern, Einschätzungen über 20 verschiedene Anlageklassen abzugeben – darunter Gold, Kunstobjekte und Aktien.


„Investoren überschätzen, was sie verstehen“

Das Ergebnis bestätigte die Vermutung der Forscher: Die Finanzprodukte, mit denen sich die Befragten nach eigener Auskunft besser auskannten, hielten sie auch für deutlich weniger riskant. Das Gleiche galt für Produkte aus der Schweiz, also aus dem eigenen Land. Der Zusammenhang zwischen gefühltem und tatsächlichem Risiko war dagegen längst nicht so klar.

„Leider überschätzen Investoren oft, was sie verstehen“, schreiben die Autoren Mei Wang (Universität Zürich), Carmen Keller und Michael Siegrist (beide: ETH Zürich). Sie kritisieren, dass die typischerweise gefühlsgetriebenen Anlageentscheidungen in den gängigen Theoriemodellen der Finanzforschung noch nicht vorkämen.

Doch könnten Banken und Broker die Anleger nicht auch einfach besser über die Risiken ihrer Investitionen informieren? Doch, meint zumindest Arvid Hoffmann. Er schlägt vor, dass Online-Broker neben dem Verlauf der Aktienkurse auch anzeigen sollten, wie sehr der Wert der Anlagen in der Vergangenheit schwankte – und ob das Portfolio damit riskanter war als der Gesamtmarkt. „Das wäre doch eine Win-win-Situation für Anbieter und Kunden“, meint Hoffmann. „Die Gefahr von Paniken und Blasen wäre dann kleiner.“

Ob Anleger aber durch diese Zusatzinformationen tatsächlich dazulernen würden, ist unklar – das zeigt ein Online-Experiment dreier Forscher des amerikanischen RAND-Think-Tanks: Sie gaben einer Gruppe von 2000 Probanden die Aufgabe, ein fiktives Anleiheportfolio aufzustellen – und 10000 Dollar auf unterschiedlich riskante Anlageklassen zu verteilen. Teilnehmer, die gleichzeitig noch über das historische Risiko der Finanzprodukte informiert wurden, wählten zwar ein sichereres Portfolio als diejenigen, die nur den zurückliegenden Kursverlauf zu sehen bekamen – groß waren die Unterschiede allerdings nicht.

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