Börsenweisheit „Time not Timing“ Bloß keinen Supertag verpassen

Die Schwankungen an den Märkten waren zuletzt enorm. Wer das richtige „Timing“ hatte, konnte nach dem Brexit-Referendum viel Geld verdienen. Doch viel wichtiger und gewinnbringender ist es, auf Zeit zu setzen.

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Die Entscheidung der Briten für den Brexit treibt Händler und Anleger noch immer um. Quelle: Reuters

Düsseldorf Das „Ja“ der Briten zum EU-Ausstieg sorgte vor allem an den europäischen Börsen für ein Beben. Unmittelbar nach dem Brexit-Referendum rutschte allein der Dax um zehn Prozent ins Minus. Anleger, die unmittelbar nach der historischen Entscheidung der Briten beherzt zugriffen, konnten viel Geld verdienen. Mittlerweile notiert der Dax fast wieder auf seinem Stand vom 23. Juni von gut 10.200 Punkten. Auf den Absturz folgte die Erholung – inklusive einiger Börsentag mit sehr hohen Kursgewinnen.
An den besten Börsentagen investiert zu sein, an den schwächsten aber am Parkettrand zu stehen - das wäre die perfekte Anlagestrategie. „Market-Timing“ nennen Börsianer das, was aber in der Praxis so gut wie nicht zu schaffen ist. Das zeigen zahlreichen Studien und nicht zuletzt die Marktentwicklungen rund um das Brexit-Referendum. In den Tagen vor der Abstimmung hatten die Börsen eine kleine Rally hingelegt und ein „Nein“ der Briten vorweggenommen. Vom „Ja“ zum Brexit wurden sie entsprechend eiskalt erwischt.


Auch wer nach dem Brexit die Nerven verlor und verkaufte, um auf bessere Zeiten zu warten, machte einen Fehler und verpasste die Erholung. „Market Timing kann zu einer gefährlichen Angewohnheit werden“, sagt Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei JP Morgan Asset Management. „Kurseinbrüche sind schwer vorherzusagen und starke Erträge folgen oft auf eine schlechte Wertentwicklung.“ Wie so oft kam ja auch der Absturz nach dem Brexit völlig überraschend, ebenso wie die starke Erholung.

„Häufig denken Anleger, sie könnten cleverer sein als der Markt — oder sie lassen sich von Emotionen wie Angst oder Gier zu Anlageentscheidungen verleiten, die sie später bereuen“, so Galler. Trotzdem träumen immer noch viele Anleger diesen nur zu schönen Traum vom perfekten „Timing“ und versuchen ihr Glück. Denn viel mehr ist es nicht, wenn sie mit dieser riskanten Strategie doch mal richtig liegen.


Großes Pech und leider ziemlich teuer ist es aber, wenn Anleger an den besten Börsentagen nicht investiert sind. Davon gibt es nämlich gar nicht so viele, wie die Experten von Fidelity International einmal mehr festgestellt haben. Die größten Kurssteigerungen an der Börse finden nämlich nur an wenigen Tagen statt. Seit der Euro-Einführung haben laut der Experten nur zehn Tage über den Erfolg der Aktienanlage entschieden. „Die vergleichsweise hohe Rendite einer Aktienanlage ist auf relativ wenige Tage mit hohen Kurssteigerungen zurückzuführen“, sagt Fidelity-Kapitalmarktstratege Carsten Roemheld. Und an denen gilt es investiert zu sein.


Auf das richtige Timing zu hoffen, kann ziemlich teuer werden


Der Experte rechnet vor: Ein Anleger, der Anfang 1999 mit der Einführung des Euros 1.000 Euro in den MSCI Europe angelegt hat, konnte sich Ende Mai über immerhin 1.992 Euro freuen – und hat sein Kapital so fast verdoppelt. Hätte dieser Anleger allerdings die zehn besten Börsentage in diesem Zeitraum verpasst, wäre nur ein Betrag von 1.023 Euro entstanden. „Selbst wenn ein Anleger nur ein paar Tage daneben liegt, kann dies auf seinen Gesamtertrag verheerende Auswirkungen haben“, sagt JP-Morgan-Experte Galler. Ohne die 40 besten Tage wären sogar nur noch 324 Euro übrig.

Dieses Ergebnis zeigt sich auch für den deutschen Aktienmarkt: Aus einer Anlage von 1000 Euro in deutsche Standardwerte – gemessen am MSCI Germany – wurden von Ende 1998 bis Ende Mai 2016 2124 Euro. Hätte der Anleger die zehn besten Tage dieses Zeitraums verpasst, wären Ende Mai 2016 nur noch 963 Euro übrig gewesen. Hätte er sogar die 40 besten Tage verpasst, wären nur noch 216 Euro übrig.


Anleger sollten an den Supertagen also unbedingt investiert sein. Nur kündigen die sich natürlich nicht an. Im Gegenteil, oft werden Börsianer von solchen Mini-Rallys und den Ereignissen, die sie auslösen, völlig überrascht. „Da niemand vorhersagen kann, wann diese Tage sind, ist es im Allgemeinen sinnvoller, durch Marktzyklen hindurch voll investiert zu sein“, sagt Roemheld. „Zeit ist bei der Aktienanlage wichtiger als der Zeitpunkt.“ Auf das richtige Timing zu hoffen, kann ziemlich teuer werden. „Schwankungen sind ein natürlicher Bestandteil der Aktienmärkte und der Preis, den Investoren für die langfristige Outperformance von Aktien gegenüber anderen Anlageklassen bezahlen“, so der Fidelity-Experte.


Anleger sollten deshalb auch in volatilen Börsenphasen einen kühlen Kopf bewahren und nicht überstürzt handeln. „Den ,richtigen‘ Ein- oder Ausstiegszeitpunkt vorherzusehen und dementsprechend zu kaufen oder zu verkaufen, gelingt ohnehin nicht.“ Viel wichtiger ist es, langfristig investiert zu sein. Denn das zahlt sich aus. Zeit ist bei der Aktienanlage wichtiger als der Zeitpunkt. „Time not Timing“ eben.

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