Britisches Pfund Ein Banker im Auge des Brexit-Sturms

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Mit dem Pfund ging es abwärts

Es war eine surreale Atmosphäre. Der große Handelsraum an der Wall Street war dunkel, nur die Desks der Devisenhändler waren besetzt. „Plötzlich fingen alle im Raum an zu rufen: ‚Was ist hier los?‘ Kunden riefen an: ‚Was ist passiert?‘“, erinnert sich LaScala. Auch in London wurde es hektisch. Institutionelle Kunden, Unternehmen, Pensionsfonds und Versicherungen wollten sich gegen das fallende Pfund absichern.

Bei 1,43 Dollar verharrte das Pfund etwa 10 bis 15 Minuten. „Wir sagten, wartet doch noch ein bisschen, es wird anders, wenn erst die Ergebnisse von London und anderen Remain-Bezirken reinkommen …“ Stattdessen ging es weiter abwärts mit dem Pfund – und der Brexit verdichtete sich zur Gewissheit: Binnen zweieinhalb Stunden rutschte das Pfund auf 1,32 Dollar – so tief wie seit 31 Jahren nicht mehr.

Einer von LaScalas Kollegen, ein 52-jähriger Brite, vergrub den Kopf in den Händen und stöhnte: „Russ, ich kann gar nicht glauben, was hier passiert!“ Er konnte nicht fassen, dass Großbritannien sich aus der EU verabschieden würde. LaScala war zu beschäftigt, um innezuhalten. Wichtiger war für ihn, dass das Handelssystem Autobahn stabil lief. Mit der Koffein-Brause Red Bull hielten er und die Devisenprofis sich wach.

Gegen 4.35 Uhr Londoner Zeit lagen nach Auszählung von zwei Dritteln der 382 Wahlkreise die EU-Gegner mit 51,3 Prozent vorn. Um 4.40 Uhr schließlich verkündete die BBC den Sieg der Brexit-Befürworter. Damit war es offiziell: Nach mehr als 40 Jahren würde Großbritannien die EU verlassen.

Die Händler lehnten sich erschöpft zurück; einer ging frische Bagels kaufen. In der Morgendämmerung verließ LaScala schließlich das Büro, ging ins Hotel. „Aber ich konnte nicht gut schlafen.“

Schon nach wenigen Stunden kehrte er zurück. Auf den Fernsehschirmen war jetzt der britische Premier David Cameron zu sehen, der den Rücktritt erklärte. Kurz darauf meldete sich Mark Carney zu Wort, Chef der britischen Notenbank, und versuchte, die Märkte zu beruhigen.

Tom Rees und seine Londoner Kollegen, die nun über zwölf Stunden gearbeitet hatten, verdrückten gegen elf Uhr morgens noch eine Runde Pizza. Eigentlich sei der Job als Devisenhändler etwas für junge Männer, sagt LaScala augenzwinkernd. Der Arbeitstag beginne um sieben Uhr morgens und sei voller Stress.

LaScala liebt ihn trotzdem, weil sich immer was tut. Die globalen Devisenmärkte, an denen täglich mehr als fünf Billionen Dollar umgesetzt werden, faszinieren ihn auch nach fast 30 Jahren noch. Als Soros 1992 mit Leerverkäufen in Milliardenhöhe gegen das Pfund wettete, „gab es noch keinen elektronischen Handel, alles lief übers Telefon. Unsere Kunden schrien in den Hörer: ‚Verkaufen, verkaufen, verkaufen. Ich muss Pfund verkaufen!‘ Doch dann stand ein Kollege auf und flüsterte: ‚Es gibt keine Käufer.‘“

Trotz der Versuche der britischen Notenbank, das Pfund durch drastische Zinserhöhungen und Interventionen zu stützen, wertete es an einem Tag um etwa 15 Prozent ab. Soros war eine Milliarde Dollar reicher und galt fortan als der Mann, der die Bank of England in die Knie gezwungen hat.

Nun reiht sich das Brexit-Votum in diese Erinnerungen ein. „Wir haben in jener Nacht vor einem Jahr bei Geschäften, die wir im Auftrag unserer Kunden ausführten, ein Rekordvolumen umgesetzt – drei Mal so viel wie an einem normalen Handelstag und 20 Mal so viel wie sonst in einer normalen Nacht in London.“ Allein im elektronischen Handelssystem seien mehrere zehn Milliarden Euro umgeschlagen worden.

Auf ruhige Zeiten muss LaScala weiter warten. Das stört ihn nicht.

Trotz seines Nachnamens, der an das berühmte Mailänder Opernhaus erinnert, hört LaScala statt Opern lieber krachenden Rock: Metallica und Guns N’ Roses etwa. Musik also, die laut und schnell ist – wie die Finanzmärkte.

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