Verglichen mit CO2-Zertifikaten sind italienische oder griechische Aktien eine langweilige Anlage: Ein Zertifikat, das erlaubt, eine Tonne des Treibhausgases CO2 in die Atmosphäre zu blasen, kostete an der Leipziger Energiebörse EEX vor Silvester noch acht Euro. Bis Ende Januar fiel der Preis unter drei Euro, zog dann aber binnen Tagen um rund 80 Prozent an.
CO2-Zertifikate scheinen ein perfektes Instrument im Kampf gegen den Klimawandel. Die Idee: Unternehmen bekommen die Emissionsrechte zugeteilt. Wer mit seinen Zertifikaten nicht auskommt, muss auf dem Markt zukaufen oder eben seine Emissionen senken. Umgekehrt können Betriebe, die weniger CO2 ausstoßen, als es ihre Zertifikate zulassen, nicht benötigte Rechte verkaufen.
Bisher funktionierte der Markt nur schlecht. Weil die EU mit der Zeit viel zu viele Zertifikate ausgab und weil dank schwacher Konjunktur Fabriken und Kraftwerke nicht auf Hochtouren liefen, verfielen die zuvor stark in die Höhe getriebenen Preise der CO2-Zertifikate von 2008 bis 2012 um mehr als 80 Prozent. Der Anreiz, in Filter oder Energiesparen zu investieren, ging entsprechend zurück. Hinzu kamen Betrugsmanöver: Kriminelle handelten Zertifikate europaweit über Scheinfirmen und ließen sich vom deutschen Fiskus Mehrwertsteuer erstatten, die jedoch nie an ein Finanzamt abgeführt worden war. Laut Europol sind den Steuerzahlern dabei über fünf Milliarden Euro Schaden entstanden. Eine Schaltzentrale des Betrugs war offenbar eine Handelsabteilung der Deutschen Bank in London. Die hat ihren CO2-Handel mittlerweile dichtgemacht.
Aktuell werden die Kurse an den Börsen vor allem von politischem Streit getrieben: EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard will CO2-Zertifikate für 900 Millionen Tonnen vorübergehend aus dem Handel nehmen und in die Jahre 2019 bis 2020 verlagern. Die Zertifikate-Preise sollen dadurch kräftig steigen und Investitionen, etwa in saubere Kraftwerke, sich besser rechnen. Deutschland und Polen wehren sich. In beiden Länder laufen viele Kohlekraftwerke, die enorme Mengen Treibhausgas in die Atmosphäre jagen. Sollte sich Hedegaard durchsetzen und zudem die Konjunktur wieder Tritt fassen, sodass die Industrie wieder mehr produziert, könnten Zertifikate knapp werden. Analysten erwarten, dass die Preise für Emissionsrechte bis 2020 auf 20 bis 25 Euro klettern.
Händler, Hedgefonds und Stromversorger haben längst damit begonnen, in großem Stil CO2-Zertifikate aufzukaufen, solange die noch billig zu haben sind. Eine Schlüsselrolle beim Monopoly um Zertifikate spielen die großen Rohstoffhandelskonzerne, die weltweit die Geschäfte mit Kohle, Öl und Nahrungsmitteln steuern.
Rohstoffmultis steigen ein
"In der ersten Handelsperiode von 2005 bis 2007 hatten die großen Energieversorger einen Anteil von 70 bis 80 Prozent am Emissionshandel", sagt der Hamburger Unternehmensberater Lutz von Meyerinck, der früher bei BP für den Emissionshandel zuständig war. "Dann aber sind zunehmend große Rohstoffhändler und Finanzinvestoren eingestiegen." An der EEX etwa sind für den Terminhandel, bei dem mit Futures auf die künftige Preisentwicklung von CO2-Zertifikaten gewettet wird, knapp 170 Adressen zugelassen – vor allem Banken, Broker, Händler und Hedgefonds.
An den Terminbörsen und beim direkten An- und Verkauf von CO2-Zertifikaten zieht eine Handvoll verschwiegener Konzerne die Strippen. Es sind Adressen, die selbst Kennern der Finanzmärkte oft kein Begriff sind, obwohl sie viele Milliarden umsetzen – internationale Rohstoffhändler wie Cargill, Gunvor, Mercuria und Vitol. Sie betrachten CO2-Emissionen als handelbaren Rohstoff, so wie Mais, Öl oder Kupfer – nur, dass sie hier weder Lagerhallen noch Schiffe und Verladeterminals brauchen.
Weitgehend unbemerkt haben die Rohstoffkonzerne im Emissionshandel dominierende Marktanteile erobert. „In Europa handeln wir mit rund zehn Prozent der jährlichen Emissions-Zuteilungen“, heißt es beim Genfer Ölhändler Mercuria. Das Unternehmen erzielte 2011 einen Umsatz von 76 Milliarden Dollar. Der weltweit größte CO2-Händler dürfte der Rohstoffkonzern Vitol sein, der seinen Sitz ebenfalls in Genf hat und 2012 gut 300 Milliarden Dollar umsetzte. Vitol hält Zertifikate für den Ausstoß von über 350 Millionen Tonnen CO2. Das entspricht 17,5 Prozent der jährlich in der EU vergebenen Lizenzen. Zusammen kontrollieren Mercuria und Vitol also rund ein Viertel des gesamten Emissionshandels in Europa. Hinzu kommt die ebenfalls in der Schweiz sitzende Gunvor-Gruppe, die zuletzt 87 Milliarden Dollar Umsatz meldete, vor allem mit Erdöl aus Russland. Gunvor-Gründer Gennadij Timtschenko gilt als guter Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Schon vor einigen Jahren ist Gunvor in den Handel mit Emissionsrechten eingestiegen. In welchem Umfang, darüber schweigt Gunvor genauso wie der US-Handelskonzern Cargill. Der weltweit größte Händler von Weizen, Sojabohnen und anderen Agrarprodukten hat für den Handel mit CO2-Zertifikaten eigens eine Tochtergesellschaft gegründet, die Firma Green Hercules Trading (GHT). Da in den USA nur Kalifornien und Pennsylvania Emissionsrechte eingeführt haben, handelt GHT vor allem in Europa.
Die Trader, die um 2006 herum den Klimaschutz als neues Eldorado entdeckten, trieben die Preise auf Rekordstände. Zeitweise mussten Industriebetriebe, die mit ihren eigenen Emissionsrechten nicht auskamen, ihnen bis zu 32 Euro pro Tonne CO2 zahlen. Das war vor allem für kleinere Firmen aus energieintensiven Branchen wie Chemie und Baustoffe bitter. Die Mittelständler begriffen anfangs gar nicht, dass Emissionsrechte Finanzinstrumente sind, mit denen sich trefflich spekulieren lässt. Kleinere Industrieunternehmen erwerben die von ihnen benötigten CO2-Zertifikate meist nur einmal im Jahr. Oft warten sie damit, bis der alljährliche Meldetermin Ende März vor der Tür steht. In den Wochen, bevor die Firmen ihre Emissionsmengen bei den Umweltbehörden anmelden, treiben Akteure an den Terminbörsen die Preise ein wenig in die Höhe - zulasten von allen, die ihre Pflichtmengen nicht rechtzeitig gekauft haben.
Wetten auf steigende Preise
Ein Selbstläufer sind die Geschäfte dennoch nicht. 2008, als Europas Wirtschaft nach Ausbruch der Finanzkrise in die Rezession rutschte, brachen die Preise kräftig ein. Der anhaltende Preisverfall dürfte vielen Spekulanten hohe Verluste beschert haben. Doch die Händler von Mercuria oder Vitol haben im Rohstoffgeschäft gelernt, mit Turbulenzen zu leben. "Trader können an einem Preisverfall ebenso gut verdienen wie an steigenden Kursen", sagt Stefan Dohler, Mitglied der Geschäftsleitung des Stromkonzerns Vattenfall.
Aktuell wittern alle, die Zertifikate bunkern oder an Börsen auf steigende Preise setzen, wieder Morgenluft - dank der Pläne von EU-Kommissarin Hedegaard. Auch Teile der Industrie haben nichts gegen teurere Zertifikate: "Bei vier bis fünf Euro pro Tonne Kohlendioxid bestehen für die Energieversorger keine Anreize, in emissionsarme Kraftwerke zu investieren", sagt Dohler von Vattenfall. Schmutzige Kohle, die beim Verheizen besonders viel CO2 freisetzt, ist derzeit sehr billig. Für das emissionsarme Erdgas werden hingegen Höchstpreise verlangt. "Die Preisdifferenz ist derzeit so groß, dass Emissionsrechte deutlich über 20 Euro pro Tonne kosten müssten, damit sich der Bau von Gaskraftwerken lohnt", sagt Dohler. Die Pläne der EU gehen dem Strom-Manager sogar nicht weit genug: "Unserer Ansicht nach sollten die 900 Millionen Tonnen vollkommen aus dem Handel herausgenommen und nicht bloß um einige Jahre verschoben werden."
Obendrein nutzen Industriekonzerne und Versorger die niedrigen Preise, um in großem Stil CO2-Zertifikate zu bunkern. "Vattenfall deckt sich derzeit mit Emissionsrechten für die kommenden Jahre ein", bestätigt Manager Dohler. Viele Unternehmen, so scheint es, haben jetzt mehr CO2-Zertifikate, als sie in den nächsten Jahren benötigen. Ihre Finanzchefs setzen darauf, dass sie diese irgendwann versilbern können - mit Gewinn, versteht sich.