Das Hundert-Milliarden-Risiko Dax-Unternehmen gaukeln Aktionären heile Welt vor

In den Geschäftsberichten der 30 Dax-Unternehmen wird den Aktionären eine heile Welt vorgegaukelt. Dabei schieben die Finanzchefs Abschreibungen auf, Pensionslasten sind nicht gedeckt, Schulden tauchen in der Bilanz nicht auf. Bei welchen Unternehmen Aktionären der Verlust an Vermögen droht, bei welchem Unternehmen Bilanzgefahren derzeit beherrschbar sind.

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Bei den Dax-Unternehmen wirkt alles wie in einer heilen Welt, aber das stimmt nicht Quelle: REUTERS

Obwohl der konjunkturelle Rückenwind weiter ausbleibt, haben wir einen gelungenen Start in das neue Jahr hingelegt. Damit haben wir im ersten Quartal die Robustheit unseres Geschäftsmodells erneut unter Beweis gestellt und sind unserer Rolle als Marktführer einmal mehr gerecht geworden." So äußerte sich Mitte Mai Vorstandschef Frank Appel bei der Vorlage der Zahlen für die ersten drei Monate der Deutschen Post. Während die Post, gemessen an Umsatz und ausgewiesenem Gewinn, tatsächlich relativ gut unterwegs ist, verbergen sich in ihrer Jahresbilanz kritische Positionen: Bei der Altersvorsorge für ihre Mitarbeiter klafft eine Lücke; frühere Einkaufstouren haben zu Vermögenspositionen geführt, deren Werthaltigkeit Experten infrage stellen; möglicherweise muss Appel in einigen Jahren höhere Schulden ausweisen, weil sich die Regeln zur Bilanzierung von Leasingverträgen ändern sollen.

Alarmierende Zahlen

Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, als auch dem Letzten gewahr wurde, dass die Zahlen der Banken faul sind, kursierte ein Merksatz typisch britischen Humors in London: "On the left side, nothing is right, and on the right side, nothing is left." Ganz so schlimm steht es um die Bilanzen der Dax-30-Unternehmen meist nicht. Doch was Wissenschaftler, Analysten und Wirtschaftsprüfer im Auftrag der WirtschaftsWoche in den Büchern der Konzerne entdeckt haben, ist alarmierend.

Milliardenschwere Pensionslasten für die Mitarbeiter sind nicht gedeckt. Verpflichtungen und Schulden aus Leasingverträgen haben die Buchhalter so trickreich gestrickt, dass sie außerhalb der Bilanz geführt werden dürfen. Und Scheinwerte aus zu teuren Firmenübernahmen haben die Finanzchefs seit Jahren nicht abgeschrieben, sondern als vermeintliches Vermögen deklariert. Das alles legal unter dem Deckmantel der geltenden Bilanzregeln. Die Werte der Unternehmen und viele Gewinnzahlen erscheinen deshalb höher, als sie es in Wahrheit sind.



Der große Bilanzcheck

Investoren müssen nicht um jede letzte Ableitung der Bilanzregeln wissen, um zu erkennen, wo die Vorstände möglicherweise Gefahren verschweigen, wo Vermögensposten überbewertet sein könnten und deshalb der Aktienkurs in Zukunft negativ betroffen sein könnte. Wer die wesentlichen Änderungen erfasst, kann sich auf negative Überraschungen einstellen.

Drohende Abschreibungen

So ist es wichtig, zu wissen, wie Unternehmen den Wert ihrer zugekauften Töchter berichtigen: Gehen sie dabei vorsichtig vor und werten regelmäßig ab - oder droht eine Abschreibung auf einen Schlag, wenn diese sich gar nicht mehr vermeiden lässt? Die Universität St. Gallen hat deswegen für die WirtschaftsWoche analysiert, welche Abschreibungspolitik die Dax-30-Unternehmen nach Übernahmen betreiben. Und die Forscher aus der Schweiz haben ermittelt, wie teuer Pensionsansprüche der Mitarbeiter Jahr für Jahr kommen. Berater von Mercer in Frankfurt haben Lücken in den Pensionsfonds aufgedeckt, zudem haben Wirtschaftsprüfer von BDO in Düsseldorf die Zinsannahmen für die Altersvorsorge der 30 Dax-Unternehmen unter die Lupe genommen. Und die Spezialisten der Stuttgarter FAS AG, die Unternehmen in Sachen Bilanzierung beraten, haben abgeklopft, bei welchen Unternehmen sich wegen neuer Bilanzregeln demnächst zusätzliche Milliardenschulden aus Mietkaufverträgen auftürmen könnten. Die Bilanzexperten der Uni St. Gallen durchforsten für die WirtschaftsWoche Jahr für Jahr die Geschäftsberichte der Dax-30-Unternehmen. Ergebnis: Die Milliardenrisiken aus Übernahmen sind erneut gestiegen. Anleger finden dieses Risiko in jeder Bilanz auf der Vermögensseite (Aktiva) unter der Position Goodwill (Firmenwert).

Wackelposition Goodwill

Erfolgreiche Industrie-Dax-Konzerne
Platz 10: SAP Quelle: dpa
Platz 9: Bayer Quelle: dpa
Platz 8: Deutsche Telekom Quelle: dapd
Top 7: Siemens Quelle: REUTERS
Top 5: RWE Quelle: REUTERS
Platz 5: E.On Quelle: dpa
Top 4: Daimler Quelle: REUTERS

Der Goodwill, den Finanzchefs im Gegensatz zu einer Maschine oder einem Patent nicht einzeln veräußern können und der deswegen als wacklig einzustufen ist, entsteht so: Übernimmt ein Unternehmen einen Konkurrenten, ist das Management verpflichtet, das Vermögen seiner neuen Tochter buchhalterisch in Einzelteile zu zerlegen. Lizenzen, der Fuhrpark, Immobilien - jede Position wird neu bewertet. Fällt der gezahlte Kaufpreis für das Unternehmen höher aus als das neu bewertete Vermögen, wird diese Übernahmeprämie als Goodwill in die Bilanz gebucht. Das IASB hat vor gut neun Jahren den Unternehmen jede Menge Spielraum gegeben, wie sie den Goodwill nach der Ersteinbuchung in die Bilanz behandeln dürfen. Spielraum, den die Unternehmenschefs auch weidlich nutzen.

Anleger sind leicht zu täuschen

Früher unterstellten die Regelvorgaben, dass der Goodwill schrittweise schrumpft - so wie der Wert einer Maschine oder eines Computers. Seit März 2004 jedoch dürfen Unternehmen auf regelmäßige Abschreibungen verzichten.  Statt wie früher jedes Jahr pauschal abzuschreiben - in der Regel wurde der Goodwill spätestens nach 15 Jahren auf null gesetzt - , müssen Unternehmen in einem komplexen Verfahren wenigstens einmal im Jahr prüfen, ob ihr Goodwill noch werthaltig ist (sogenannter Impairment Test). "Die Unternehmensbewertung, die ja eigentlich Anleger an der Börse vornehmen sollten, wurde so den Finanzchefs in den Schoß gelegt", sagt Peter Leibfried, Professor für Rechnungslegung und Wirtschaftsprüfung an der Universität St. Gallen.

Fakten zu Übernahmeprämien - Goodwill

Deshalb ist ein Leichtes für Vorstände, Anleger über den Impairment Test zu täuschen, um so höhere Gewinne und ein höheres Eigenkapital auszuweisen. Dafür nehmen sie - und später die Wirtschaftsprüfer - einzelne Geschäftseinheiten unter die Lupe. Zeigt sich bei einer Geschäftseinheit, dass die ursprünglich angesetzten Annahmen über Ertrag, Cash-Flow oder Kapitalkosten zu optimistisch waren, muss eine Abwertung erfolgen - in der Theorie. In der Praxis tricksen viele Unternehmen, sobald eine Einheit Abschreibungsbedarf hat. Beliebt ist der Dreh, schwach laufende Geschäfte in der einen Einheit mit guten laufenden in einer anderen neu zusammenzufassen: etwa schwache Verkäufe in Kroatien mit dem besser laufenden Geschäft in Serbien. Der Effekt: Seit die Unternehmen selbst bewerten dürfen, was ihre bei Zukäufen gezahlten Prämien noch wert sind, gibt es kaum noch Abschreibungsbedarf.  Im Durchschnitt unterstellten die Dax-Unternehmen früher eine Nutzungsdauer für ihre Firmenwerte von knapp neun Jahren - sie schrieben jährlich 11,7 Prozent auf ihren Goodwill ab, so die Analyse der Universität St. Gallen. Seit 2005 aber fiel dieser Durchschnitt auf nur noch 2,7 Prozent.

Rückläufige Gewinne

Anleger tun gut daran, mögliche Abwertungen des Goodwill in Betracht zu ziehen. Denn die Zahl derer, die für die Rückkehr zur alten Regelung regelmäßiger Abschreibung plädieren, steigt seit Jahren. Auch wenn dies deutlich rückläufige Gewinne vieler Unternehmen bedeutete. Unter den Befürwortern sind etwa Vertreter der Berliner Bilanzwächter der Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR). "Auch die EU-Regulierung dringt tiefer in das Thema Bilanzierung ein. Ich habe den Eindruck, dass die Abschreibungspolitik der Unternehmen jetzt richtig auf der Agenda steht", sagt Leibfried.

Schockierende Ergebnisse

Kapital der 30 Dax-Unternehmen

Dazu beitragen dürfte auch "das schockierende Ergebnis" einer Untersuchung, die Karlheinz Küting gerade abgeschlossen hat. Seine erste große Publikation über die Bilanzierungspraxis deutscher Konzerne stammt von 1974. Auch heute noch widmet sich der Direktor des Centrums für Bilanzierung und Prüfung an der Universität des Saarlandes neben der Theorie gerne praxisnahen und börsenrelevanten Themen. Laut seiner noch unveröffentlichten Studie unter 134 deutschen börsennotierten Gesellschaften aus Dax, MDax, SDax und TecDax unterstellen die Unternehmen, dass sie aus den gezahlten Übernahmeprämien für neue Töchter 204 Jahre lang Nutzen ziehen werden. Herausgerechnet sind dabei die zuletzt hohen Abschreibungen der Deutschen Telekom. In 204 Jahren aber dürfte kaum noch eine der teuer gekauften Töchter vor Kraft strotzen. So sind aktuell 36 der 100 größten Firmen weltweit jünger als 40 Jahre. Das zeigt eine Untersuchung des Zürcher Private-Equity-Verwalters Adveq. Konsequenz: Da sich der "Goodwill als völlig falsch eingeschätzte Zukunftserwartung erweisen kann, die zu Verlusten führt" und der Impairment Test "Missbrauchspotenzial" in sich berge, fordert Küting, wieder regelmäßig abzuschreiben und für den Goodwill eine Nutzungsdauer von "10 bis 20 Jahren" zu unterstellen.

Denn früher oder später müssen die meisten Unternehmen ohnehin einräumen, dass ihre einst gezahlten Prämien bei Übernahmen (Goodwill) keinen echten Gegenwert haben. Bei der Deutschen Telekom etwa radierten Abschreibungen häufig den kompletten Gewinn aus. Zuletzt bescherte eine Abwertung über netto 7,4 Milliarden Euro den Aktionären einen Jahresverlust über 5,3 Milliarden Euro. Von in der Spitze 40,6 Milliarden Euro an Goodwill sind nur - oder immer noch - 14,4 Milliarden übrig. Die Telekom befindet sich dabei in schlechter Gesellschaft. Bei der spanischen Telefonica brach der Gewinn 2012 um 27 Prozent wegen Abschreibungen ein; Rivale France Télécom verlor deswegen drei Viertel seines Vorjahresertrages.

Papiererträge

Wenn Unternehmen zu wenig abwerten, entstehen Papiergewinne, die das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) schönen. Gemessen an früher üblichen Abschreibungen, hätten die 30-Dax-Unternehmen 2012 statt 63 Milliarden Euro nur rund 46 Milliarden Euro verdient. Solche Berechnungen beziehen aufmerksame Investoren immer stärker in ihr Kalkül ein: Das geschätzte KGV, auf das Anleger noch bereit sind zu handeln, ist in den vergangenen zehn Jahren deutlich geschrumpft: Der Dax handelte seit 2003 maximal mit dem 14-fachen erhofften Jahresgewinn, der Durchschnitt lag sogar bei nur gut elf, früher gestanden Anleger den Börsen auch mal das bis zu 20-Fache an erwarteten Gewinnen zu. Um das - geschätzte - KGV, die Kernkennzahl für die Aktienbewertung, zu ermitteln, dividieren Investoren den aktuellen Börsenwert eines Unternehmens durch den letztjährigen oder den erwarteten Jahresüberschuss des Unternehmens.

Die Folgen einer wieder regelmäßigen Abwertung des Goodwills, die viele Experten inzwischen fordern, wären dramatisch: Eine regelmäßige Abwertung über zehn Jahre würde die Gewinne der 30 Dax-Unternehmen, gemessen am letztjährigen Ertrag, um ein Drittel einbrechen lassen. Auch der Vermögensanteil des Aktionärs an seinem Unternehmen, der Buchwert, ist erheblich betroffen. Aktuell gestehen Investoren allen Dax-Unternehmen im Durchschnitt eine 50-prozentige Prämie auf den Vermögenswert, das dem Eigenkapital entspricht, zu. Das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) liegt deshalb bei 1,5. Die luftigen Goodwillpositionen machen inzwischen 36 Prozent des Eigenkapitals aller Dax-Unternehmen aus. Eine Komplettabwertung des Goodwill ließe das KBV um mehr als die Hälfte auf einen Faktor von 2,34 hochschnellen - was einer enorm hohen Bewertung der Aktien entspräche. Besonders gefährlich ist, wenn der Goodwillposten einen hohen Anteil am Eigenkapital hat, wie bei der Deutschen Post, Fresenius Medical Care, Linde oder Henkel etwa. Unerwartete Ertragseinbrüche wegen Abschreibungen auf den Goodwill sind dagegen bei BMW, Beiersdorf oder Infineon nicht zu erwarten, da der Bilanzposten homöopathisch ist.

Neue Schulden aus Leasing

Welche Börsen an ihren Hochs kratzen
Dax, DeutschlandDer Deutsche Leitindex erreichte seinen Höchststand von 8.151,57 Punkten im Handelsverlauf am 13. Juli 2007. Obwohl sich die Krise am US-Immobilienmarkt bereits abzeichnete, schaffte der Dax 2007 ein Jahresplus von 23 Prozent. Momentan ist der Index ein gutes Stück vom Rekord entfernt – es fehlen über 450 Punkte. Beim Dax handelt es sich im Gegensatz zu den anderen großen Indizes wie dem Dow Jones um einen Performance-Index – in diesen werden die Dividenden der enthaltenen Unternehmen mit eingerechnet. Der Dow-Jones als Kursindex dagegen bildet nur die Kursentwicklung der Einzelwerte ab. Quelle: dapd
Dow Jones, USADas wichtigste Börsenbarometer der Welt ist an der New York Stock Exchange gelistet. Die Marktkapitalisierung aller im Dow Jones gelisteten Aktien beträgt mehr als drei Billionen Euro. Zum Vergleich: Im Dax beträgt die Marktkapitalisierung aller Aktien fast 880 Milliarden Euro. Der Dow Jones hat seinen Höchststand von 14.716,46 Punkten auf Verlaufsbasis am 09. April 2013 erreicht. Vor allem das billige Geld der Notenbanken treibe Anleger in Aktien, urteilen Analysten. Doch erste Anzeichen für ein baldiges Ende der lockeren Geldpolitik könnten den Dow Jones schnell wieder fallen lassen. Momentan notiert der Dow knapp unter seinem Hoch. Quelle: REUTERS
Nikkei 225, JapanAm 29. Dezember 1989 erreichte der Nikkei mit 38.957,44 Punkten im Handelsverlauf seinen Allzeithöchststand. Im April 2003 erreichte der wichtigste japanische Index den Tiefststand von 7.607 Punkten. Innerhalb von etwa viereinhalb Jahren hatte der Nikkei damit mehr als 80 Prozent eingebüßt. Schuld war unter anderem auch das Platzen der Spekulationsblase im Technologiesektor (Dotcom-Blase). Die Grenze von 30.000 Punkten fiel zum ersten Mal am 7. Dezember 1988 – davon ist trotz eines guten Kurses derzeit nicht einmal die Hälfte erreicht. Genauso wie der Dow-Jones-Index ist der Nikkei 225 kein Performance-Index, sondern ein preisgewichteter Kursindex. Quelle: dpa
Nasdaq 100, USADas amerikanische Pendant zum TecDax ist der Nasdaq 100, der die 100 größten Technologieunternehmen der Nasdaq enthält. Der Index listet unter anderem Börsenschwergewichte wie Apple, Google und Amazon. Seit Mai 2012 auch Facebook. Das Allzeithoch von 4.816,35 Punkten erreichte der Nasdaq 100 im Handelsverlauf des 24. März 2000. Dies verwundert wenig, da Technologieaktien um 2000 herum deutlich überbewertet waren, die sogenannte Dotcom-Blase. Deshalb notiert der Nasdaq in der vergangenen Zeit auch um rund 2000 Punkte niedriger. Quelle: REUTERS
S&P 500, USADer dritte wichtige Index aus den USA ist der S&P 500. Der von Standard & Poor's zusammengestellte Index umfasst die 500 größten US-Unternehmen und gehört damit zu den meistbeachtesten Indizes der Welt. Der klassische S&P, der auch in den Medien die meiste Beachtung findet, ist ein Kursindex. Er erreichte sein Allzeithoch von 1.576,09 Punkten im Handelsverlauf des 11. Oktober 2007. Momentan ist der Index nur wenige Punkte von seinem Rekord entfernt. Möchte man den Dax mit dem S&P vergleichen, so kann man auf den S&P 500 Total Return zurückgreifen, der wie der Dax ein Performance-Index ist. Seit dem 1. Januar 2000 hat sich der S&P 500 TR mit einer durchschnittlichen Jahresrendite von 9,7 Prozent besser entwickelt als der Dax (8,5 Prozent). Quelle: REUTERS
Euro Stoxx 50, EuropaDer wohl wichtigste Index für Europa ist der noch recht junge Euro Stoxx 50, der die größten Unternehmen aus der Euro-Zone listet. Der erst 1998 eingeführte Index erreichte sein Handelsallzeithoch von 5.495,18 Punkten am 6. März 2000. Nach dem Platzen der Dotcom-Blase ging es für den Euro Stoxx 50 deutlich nach unten. Nachdem er sich wieder aufgerappelt hatte, belastete ab 2007 die weltweite Finanzkrise und das Schuldenchaos in Europa den Kurs. Zurzeit notiert der Euro Stoxx in der Nähe von 2600 Punkten. Quelle: dapd
FTSE 100, GroßbritannienDer „Footsie“, wie er umgangssprachlich genannt wird, repräsentiert 80 Prozent der Marktkapitalisierung aller Aktien, die an der Börse in London gelistet sind. Sein Allzeithoch von 6.950,60 Punkten erreicht der Index am 30. Dezember 1999 – also wenige Monate vor dem Platzen der Dotcom-Blase. Erst acht Jahre später sollte der Kurs in ähnliche Höhen kommen, dann brach die Finanzkrise aus. Aktuell fehlen zum Höchststand etwa 500 Punkte. Quelle: AP

Eine weitere Lücke, die die Unternehmen weltweit in der Vergangenheit nutzten, betrifft spezielle Miet- und Mietkaufverträge (Leasing). Die Finanzchefs und Buchhalter mussten bisher in einem komplexen Verfahren prüfen, ob sie ein geleastes Gut in der Bilanz aufführen müssen oder nicht. Grob vereinfacht gesagt, mussten das Leasingobjekt und die mit ihm verbundenen Schulden immer nur dann bilanziert werden, wenn das Unternehmen den größten Teil der wirtschaftlichen Chancen und Risiken aus dem Leasingvertrag trägt. Lagen die Risiken aber beim Leasinggeber, konnten Leasingobjekt und - schulden außerhalb der Bilanz geführt werden.  Die absehbare Folge: Die Leasinggesellschaften und Banken konstruierten für die Unternehmen Verträge möglichst so, dass die Schulden daraus nicht in der Bilanz landeten. Bei den größten Unternehmen in Europa tauchen rund 80 Prozent aller Leasingverpflichtungen bisher nicht in der Bilanz auf. Einer Schätzung der Schweizer Bank Credit Suisse zufolge wurden in der Vergangenheit insgesamt 1700 Milliarden Dollar an Schulden bei Konzernen weltweit außerhalb der Bilanzen geführt.



Der große Bilanzcheck

Die Stuttgarter FAS hat exklusiv für die WirtschaftsWoche ausgerechnet, wie stark Unternehmen von der Neuregelung betroffen sein könnten. Das Ergebnis für die 30 Dax-Unternehmen: Knapp 62 Milliarden Euro neue Schulden kommen - berechnet auf den jeweils letzten Jahresbilanzstichtag - ans Tageslicht. Besonders stark betroffen sind Firmen mit vielen gemieteten Immobilien wie etwa die Deutsche Telekom oder die Deutsche Bank. Diese sollen künftig in der Bilanz als Finanzierungsgeschäft, also etwa wie die Aufnahme eines Kredits, erfasst werden.

310 Milliarden schwere Pensionslasten

Wer auf die jährlichen Mitteilungen seiner privaten oder berufsständischen Altersvorsorgeinstitutionen schaut, kennt die Leier seit Jahren: Wegen der niedrigen Zinsen muss leider, leider die erwartete Rendite für das laufende Jahr gesenkt werden, heißt es da. Wo in Privatbilanzen hochgerechnet schnell ein paar Zehntausend Euro zu Rentenbeginn fehlen, geht es bei den Unternehmen, die für die Vorsorge ihrer Mitarbeiter geradestehen, um Milliarden. Genau genommen um 310 Milliarden. So hoch sind derzeit die laufenden und künftigen Pensionsansprüche der Mitarbeiter an die 30 Dax-Unternehmen, wie die Frankfurter Beratungsgesellschaft Mercer ermittelt hat.

Binnen eines Jahres sind die Verpflichtungen um fast 54 Milliarden Euro nach oben geschnellt. Der Grund sind die dramatisch gefallenen Zinsen für sichere Anlagen. Denn Maßstab für die Berechnung einer Pensionslast sind die Renditen von Unternehmensanleihen mit einem sehr guten Rating. Mit dieser Rendite werden die künftigen Pensionsansprüche der Mitarbeiter auf den Stichtag der Bilanz abgezinst. Je niedriger die Zinsen, desto höher der Betrag, den die Unternehmen bereithalten müssen. Die Finanzchefs haben dabei noch Glück: Sie müssen nicht den gerade aktuellen, sondern einen über die Jahre geglätteten Zins ansetzen. Per Ende 2012 lag dieser bei 3,5 Prozent, Ende 2011 laut Mercer noch bei 4,8 Prozent - zu beiden Zeitpunkten deutlich höher als die echten Marktrenditen von Top-Unternehmenspapieren mit langer Laufzeit. So liegt etwa die Rendite einer Anleihe des französischen Ölkonzerns Total bis zum Jahr 2022, die zu den wenigen Top-Papieren zählt, aktuell bei gerade mal noch 2,2 Prozent.

Lieber vorsichtig

Diese Dax-Aktien sollten Anleger kaufen

Wer es sich leisten kann, setzt deshalb den Abzinsungsmaßstab lieber niedriger an, damit die Pensionslücken in Zukunft noch beherrschbar sind. So sind bei BMW, Henkel, Daimler und Münchener Rück die angenommenen Zinssätze recht vorsichtig kalkuliert. Eher aggressive Annahmen unterstellen Fresenius, Fresenius Medical Care, HeidelbergCement und Lanxess. "Aktionäre sollten aufmerken, wenn ihre Unternehmen dauerhaft höhere Zinssätze anwenden als eigentlich geboten", so Jens Freiberg, Wirtschaftsprüfer bei BDO in Düsseldorf.

Denn schon geringe Veränderungen haben erhebliche Auswirkungen auf die Bilanz: So stiegen bei RWE die Zusagen für Arbeitnehmer in Deutschland binnen eines Jahres um 3,7 Milliarden Euro, nur weil der Essener Energiekonzern den Zinssatz für deren Berechnung um 1,75 Prozentpunkte senkte. Effekt: Inklusive der Pensionsansprüche von Mitarbeitern im Ausland belastete RWE das Eigenkapital Ende 2012 mit knapp 2,3 Milliarden Euro. Auch bei Bayer, E.On oder Siemens sprangen die Verpflichtungen in die Höhe. Faustregel für Anleger: Sinkt der Rechnungszins um einen Prozentpunkt, dann steigt die Pensionsverpflichtung eines Unternehmens um 10 bis 20 Prozent.



Der große Bilanzcheck

Nicht nur Spötter behaupten deshalb, viele Unternehmen gehörten nicht den Anteilseignern, sondern den Pensionären. Obwohl die 30 Dax-Unternehmen 2012 mehr als zehn Prozent Rendite auf ihr Pensionsvermögen erwirtschafteten, fehlen fast 120 Milliarden Euro für die spätere Altersvorsorge in denjenigen Töpfen, die außerhalb der Bilanz das Pensionskapital ansammeln und damit im Falle einer Insolvenz nicht in der Masse untergehen. Innerhalb der Bilanz bilden die Unternehmen allerdings zudem Rückstellungen, teilweise sehr hohe, um einen Puffer für fehlendes ausgelagertes Vermögen zu sichern. In Summe aus ausgelagertem Vermögen und den Bilanzrückstellungen fehlen für alle Dax-30-Unternehmen berechnet derzeit immer noch 14,5 Milliarden Euro, obwohl etliche Lücken zulasten des Aktionärskapital bereits geschlossen wurden. Sollten die Zinsen weiter niedrig bleiben, dann müssten Milliarden aus den laufenden Geschäften abgezogen werden, um Pensionslöcher zu stopfen. Kapital, das für Investitionen oder Dividendenausschüttungen an die Aktionäre fehlte. Um Kleingeld geht es dabei nicht: 48 Milliarden Euro oder rund sieben Prozent ihres Anteils am Vermögen ihrer Unternehmen verloren Anleger in Dax-Aktien allein 2012 wegen der gestiegenen Pensionsverpflichtungen.

Spielräume eingeengt

Und dieses Jahr könnte erneut bitter werden. Denn das IASB hat die weitreichenden Gestaltungsspielräume der Unternehmen, was Pensionen betrifft, eingeschränkt. Seit dem 1. Januar müssen alle bisher nicht erfassten Pensionsverpflichtungen voll ausgewiesen werden. Thomas Hagemann, Chefaktuar von Mercer in Frankfurt, schätzt, dass allein deshalb weitere 23 Milliarden Euro an Eigenkapital aus den Dax-30-Bilanzen radiert werden. Insgesamt fielen dann 2012 und 2013 Verluste von 71 Milliarden Euro an - das entspricht mehr als dem erwarteten Jahresgewinn aller Dax-30-Unternehmen in diesem Jahr.

Daimler hat die größte Lücke

Kleine Börsenchronik - Dax auf Rekordjagd
Dax-Höchststand Quelle: dpa
Foto vom roten Platz in Moskow Quelle: AP
Foto der US-Notenbank Quelle: dapd
Foto von Verona Pooth Quelle: dpa/dpaweb
Foto des Anschlages auf das World-Trade-Center am 11. September 2001 Quelle: REUTERS
Foto des Irakkrieges Quelle: dpa
Schriftzug IKB Quelle: dpa

Um allen Anlegern einen Überblick aus den wichtigsten Daten zu Pensionen zu geben, haben die Berater von Mercer Zahlen zu den Verpflichtungen und dem externen Vermögen analysiert. Die Wirtschaftsprüfer von BDO haben die Zinsannahmen unter die Lupe genommen. Und die Wissenschaftler der Universität St. Gallen haben konkrete Schätzungen zu künftigen Barabflüssen aus der Bilanz zugunsten der Pensionäre errechnet. Zudem komplettieren Bilanzzahlen zu den Pensionsrückstellungen aller Dax-30-Unternehmen das Bild.

Daimler etwa zinst zwar konservativ ab, hat aber mit fehlenden Pensionsgeldern von fast 6,7 Milliarden Euro die größte Lücke im Dax. ThyssenKrupp steckt ohnehin in schwerem Fahrwasser wegen Fehlinvestitionen in Stahlwerke in den USA und Brasilien. Dass nach der aktuellen Neuregelung für die Pensionen demnächst jährlich geschätzte 459 Millionen Euro an die Pensionsfonds oder in die Rückstellung fließen müssten, drückt den Essener Konzern schwerer als der jährliche Abfluss von knapp 1,6 Milliarden Euro bei VW, deren Geschäfte auf Touren sind.

Auf dem letzten Drücker

Die Deutsche Post reduzierte noch auf den letzten Drücker vor dem Bilanzstichtag ihre Lücke, indem sie drei Anleihen über zwei Milliarden Euro ausgab, um mit den Schulden ihr ausgelagertes Vermögen aufzupolstern. Post-Aktionäre sind direkt betroffen, denn ein Papier ist eine Wandelanleihe, die später in Aktien getauscht werden kann. Bis zu fast vier Prozent aller Aktien der Post könnten damit demnächst neuen Anteilseignern gehören, Altaktionäre besäßen dann wegen der Dotierung der Pensionsfonds weniger an ihrem Unternehmen. So richtig gesagt hat ihnen das niemand.

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