Dax-Umfrage nach Brexit-Votum Angst und Panik unter den Anlegern

Zehn Prozent verlor der Dax zum Handelsstart am Freitag, bis anschließend eine Gegenbewegung einsetze. Ist nun das Schlimmste an den Aktienmärkten vorbei? Eine exklusive Analyse zeigt, wie es an den Börsen weitergeht.

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Die Auswertung der aktuellen Handelsblatt-Umfrage zur Börsenstimmung zeigt: Die Kurse dürften weiter abrutschen.

Düsseldorf Das Votum der Briten hat alle Erwartungen auf den Kopf gestellt. Zum einen fand die Rally, die im Falle eines EU-Verbleibs von Großbritannien erwartet wurde, bereits vor der Abstimmung statt. Und als das Königreich für einen Abschied aus der Europäischen Union stimmte, folgte ein Ausverkauf an den Märkten. „Aufgrund des inzwischen übergroßen Optimismus halte ich eine Rally für kurzlebig, die derzeit große Verunsicherung dürfte meiner Einschätzung nach nicht für länger anhaltende Kurssteigerungen reichen“, schrieb Sentimentexperte Stephan Heibel am vergangenen Montag.

Heibel, Inhaber des Analysehauses Animusx, wertet für seine Prognosen zur künftigen Dax-Entwicklung die Ergebnisse der wöchentlichen Handelsblatt-Umfrage unter mehr als 2.300 Anlegern aus. Diese Umfrage ermittelt die Börsenstimmung, also ob Anleger die aktuelle und die künftige Entwicklung positiv oder negativ beurteilen. In vielen Fällen sind die Ergebnisse Kontraindikatoren.

Vereinfacht gesagt: Wenn die Anleger zu euphorisch sind, ist dies ein Indiz für bald fallende Kurse. Konkrete Erwartungen zu künftigen Börsenentwicklung lassen sich aber nur ableiten, wenn man die Antworten zu allen vier Fragen, aus denen die Erhebung besteht, zusammen auswertet.

Die entscheidende Frage, die Anleger nun umtreibt: Bildet der Ausverkauf nach dem Brexit-Votum die Basis für eine nachhaltige Rally? Oder müssen Anleger nun Schlimmeres befürchten? Die Auswertung der aktuellen Umfrage gibt dazu deutliche Hinweise.

Angst und Panik ist in der kurzfristigen Stimmung der Anleger abzulesen. 60 Prozent betrachten die aktuelle Entwicklung im Dax als Abwärtsimpuls, ein Zuwachs von elf Prozentpunkten gegenüber der Vorwoche. Nur noch 19 Prozent (minus fünf Prozentpunkte) sehen darin eine übergeordnete Seitwärtsbewegung. Das Sentiment ist mit ist minus 5,5 Prozent so schlecht wie zuletzt im Februar 2016, als der Dax unter 9.000 Punkte rutschte.


Anleger sind verunsichert

Entsprechend groß ist die Verunsicherung unter den Umfrageteilnehmern: 46 Prozent (plus 15 Prozentpunkte ) fühlen sich von der Entwicklung völlig überrollt, aber immerhin 15 Prozent (plus sechs Prozentpunkte) haben auf diese Turbulenzen spekuliert. Angesichts der Entwicklung am Freitag gibt es auch keine Ausreden mehr. Entweder lagen die Anleger richtig oder falsch. Die sonst so beliebten Antworten, man habe die Entwicklung der Vorwoche mehr oder weniger oder kaum erwartet, gaben dementsprechend nur wenige Umfrageteilnehmer an.

Auch im Optimismus der Anleger – ablesbar an der Frage wo die Kurse in drei Monaten stehen – hat der Brexit seine Spuren hinterlassen. Diese Optimismus war in den vergangenen Wochen kontinuierlich nach oben gegangen. Jeder weitere Kursverlust führte zu einer Trotzreaktion der Anleger, die sich an steigenden Kursen in der immer ferneren Zukunft festhielten.

Dieser Zukunftsoptimismus ist nun angekratzt. Nur noch gut jeder Dritte (minus drei Prozentpunkte) glaubt an steigende Kurse in drei Monaten, gut jeder Fünfte (plus acht Prozentpunkte) hingegen rechnet mit einem anhaltenden Ausverkauf. Eine Seitwärtsbewegung erwarten 28 Prozent (minus vier Prozentpunkte).

Überraschend ist, dass trotz des deutlich rückläufigen Zukunftsoptimismus die Kaufbereitschaft stark angesprungen ist. So wollen nun 41 Prozent (plus zehn Prozentpunkte) in den kommenden zwei Wochen Aktien zukaufen, unverändert zwölf Prozent wollen verkaufen. Das Kaufinteresse wurde aus dem Lager der Neutralen genährt, das sich um elf Prozentpunkte auf nur noch 47 Prozent verkleinert.

Um zehn Prozent brach der Dax in Folge der Brexit-Entscheidung über Nacht ein. Es folgte dann bereits im Verlauf des Freitags eine deutliche Erholung und in den Finanzmedien ist nun zu hören, dass der bereinigende Ausverkauf endlich hinter uns liege, nun sei der Weg für eine Rally frei. „Ich kann dem nicht zustimmen“, meint Heibel.

Zum einen sind die steigenden Kurse vom Freitag in erster Linie auf Deckungskäufe zurückzuführen. Viele insbesondere institutionelle Anleger hatten mit Put-Optionsscheinen und anderen Finanzprodukten auf fallende Kurse gesetzt oder sich gegen einen Brexit abgesichert. Diese Produkte konnte sie am Freitag mit deutlichem Gewinn glatt stellen.


Spekulative Käufer

Zum Hintergrund: Wer auf fallende Kurse gesetzt hat und danach diese Derivate verkauft, muss dafür an den Aktienmärkten den jeweiligen Basiswert kaufen. Allein das sorgt für steigende Kurse, die ohne weitere Nachfrage allerdings nur von kurzfristiger Natur sind.

Auch das Ergebnis der Sentimentumfrage spricht dafür, dass die meisten Käufe vom vergangenen Freitag in erster Linie spekulativer Natur waren, also keine Überzeugungskäufe, die langfristig im Depot bleiben sollen. Denn das Investitionsverhalten ist stark angestiegen, aber der Optimismus deutlich gesunken. „Diese spekulativen Käufe werden bald aufgelöst, was eine mögliche Rally früh bremsen dürfte“, erläutert Heibel.

Der dritte Punkt, der gegen eine Rally spricht: Es wird nun eine lange Phase der Ungewissheit folgen. Schlimmer als die wirtschaftlichen Folgen des Brexits werden die Auswirkungen der Verhandlungen über den Scheidungsvertrag sein. Solange keine Gewissheit über den Scheidungsvertrag herrscht, werden insbesondere Unternehmen ihre Investitionen zurückhalten, sowohl Investitionen in Großbritannien, als auch in Europa. Und das wird sich bereits sehr schnell auf die Laune an den Finanzmärkten niederschlagen.

„Wir sehen in diesen Tagen Angst und Panik an den Finanzmärkten, was für eine Gegenbewegung spricht“, meint der Börsenexperte. Denn das gilt als Kontraindikator, weil viele Anleger bereits verkauft haben und bereits wenige Käufer die Kurse steigen lassen können.

Doch für langfristig steigende Kurse fehle die Überzeugung, der Optimismus der Anleger. „Ich würde also in die Gegenbewegung hinein Portfoliopositionen ausdünnen und Barmittel generieren, um im Falle eines erneuten Ausverkaufs handlungsfähig zu sein“, erläutert Heibel seine Strategie.

Die Handelsblatt-Umfrage startet jeden Freitag und endet am Sonntag. Die Auswertung lesen Sie tags darauf auf Handelsblatt Online. Einfacher haben es Leser, die sich für eine kostenlose Erinnerungsmail eintragen. Sie erhalten automatisch eine Mail mit der Bitte, an der Umfrage teilzunehmen, und eine, wenn die Experten-Auswertung auf Handelsblatt Online zu lesen ist.

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