Der Dax jagt von einem Hoch zum Nächsten: Auf dem Höhepunkt der deutschen Bilanzsaison kletterte der Leitindex am Donnerstag um 0,9 Prozent auf 10.742,84 Punkte - das war der höchste Stand in diesem Jahr. Experten machten für die Rally nicht nur unerwartet gute Bilanzzahlen wie die vom "Persil"-Hersteller Henkel verantwortlich. Vor allem die Aussicht auf langanhaltend niedrige Leitzinsen lasse Anleger zu Aktien greifen.
Die 30 Dax-Konzerne verdienten im zweiten Quartal 2016 zwar nicht mehr ganz so viel wie im vergangenen Rekordjahr 2015, aber immer noch ordentlich. Rund eine Milliarde Euro strich jeder Dax-Konzern im Schnitt ein – insgesamt summieren sich die Gewinne auf 29,8 Milliarden Euro. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Untersuchung der Unternehmensberatung EY zu den jüngsten Finanzberichten. Damit verdienten die Unternehmen der ersten Börsenliga zwar deutlich weniger als im zweiten Quartal 2015. Die erreichten 29,8 Milliarden sind aber immer noch der zweithöchste Wert der vergangenen zehn Jahre.
Auch beim Umsatz legten die Unternehmen ein ordentliches Quartal hin. Er sank nur leicht um gut ein Prozent. EY-Geschäftsführer Meyer stellt den Unternehmen ein gutes Zeugnis aus: „Die Dax-Konzerne haben sich im zweiten Quartal wacker geschlagen – trotz des konjunkturellen Gegenwinds und ungünstiger Wechselkurseffekte.“ Zurückzuführen sei der stabile Geschäftsverlauf vor allem auf die wirtschaftliche Erholung in Europa und die weiterhin gute Marktlage in Nordamerika, so Meyer. In Europa erzielten die Dax-Konzerne demnach zwei Prozent mehr Umsatz.
Starker Euro drückt Umsätze
Gegenwind spüren die hiesigen Unternehmen hingegen durch den seit Jahresbeginn etwas stärkeren Euro. Der Euro legte im zweiten Quartal verglichen mit der Vorjahresperiode gegenüber vielen Währungen zu; etwa gegenüber dem Schweizer Franken, dem chinesischen Renminbi oder dem US-Dollar.
Für die Unternehmen ist das ein Problem. Wertet der Euro gegenüber anderen Währungen auf, sind die im Ausland erzielten Umsätze in Euro gerechnet weniger wert. Ein Beispiel: Angenommen, Daimler verkauft in diesem Jahr genauso viele Autos zum selben Preis in den USA wie im vergangenen; der Umsatz in Dollar bleibt also gleich. Sinkt aber der Wert eines Dollars in Euro („der Euro steigt“), fällt der Umsatz in Euro gerechnet trotzdem. 800 Millionen Euro gingen Daimler dadurch allein im zweiten Quartal durch die Lappen. Im vergangenen Jahr hatten die exportorientierten deutschen Firmen noch vom gegenteiligen Effekt profitiert. Damals notierte der Euro verglichen mit dem Vorjahr deutlich schwächer, die Umsätze wuchsen – auch durch Wechselkurseffekte – deutlich.
Zu spüren bekamen die relative Stärke der heimischen Währung in diesem Jahr aber nicht nur die Autobauer, sondern zum Beispiel auch Kosmetikhersteller Beiersdorf. Ohne Wechselkurseffekte hätte der Hamburger Nivea-Produzent im ersten Halbjahr gut drei Prozent mehr Umsatz erzielt. Rechnet man den negativen Effekt durch den Euro aber mit ein, steht ein hauchdünnes Umsatzminus – wie im gesamten Dax.
Gewinne durch Sondereffekte beeinflusst
Während der Umsatz also in etwa gleich blieb, verzeichneten die Unternehmen deutlich weniger Gewinn. Vor Steuern und Zinsen verdienten die Dax-Konzerne von April bis Juni sieben Prozent weniger als im Vorjahresquartal. Auch das verbuchen die Macher der EY-Auswertung angesichts der schwierigen Bedingungen als Erfolg. „Die Rahmenbedingungen sind zurzeit alles andere als ideal“, sagt Meyer. „Wirtschaftliche und politische Turbulenzen sorgen für Verunsicherung und erschweren die langfristige Planung von Investitionen.“
Dass das Gewinnminus im zweiten Quartal trotzdem verhältnismäßig moderat ausfiel, lag jedoch auch an einigen Sondereffekten, etwa beim Dax-Sorgenkind E.On. Der Düsseldorfer Energiekonzern steigerte sein Betriebsergebnis um 122 Prozent auf 734 Millionen Euro und legte damit den größten Gewinnsprung hin. E.On verbuchte dabei einen außerordentlichen Gewinn, weil Derivate, mit denen sich der Konzern gegen Marktschwankungen absichert, deutlich im Wert stiegen. Ohne diesen Sondereffekt wäre der operative Gewinn zurückgegangen.
Die Last der Niedrigzinsen
Den zweitgrößten Satz beim Betriebsgewinn schafften die Softwareentwickler von SAP. Bei den Walldorfern stieg das operative Ergebnis um 80 Prozent auf knapp 1,3 Milliarden Euro. Allerdings half auch hier ein Sondereffekt. Der Konzern hatte im vergangenen Jahr Mitarbeiter entlassen und deswegen im ersten Halbjahr 418 Millionen Euro Restrukturierungskosten verbucht. Dieser Posten fiel in diesem Jahr deutlich kleiner aus. Und da das Kerngeschäft weiter brummte, stieg der Gewinn deutlich an.
Verlierer VW, RWE und Deutsche Bank
Weniger gut sieht es dagegen bei VW, RWE und Deutscher Bank aus. Die drei verzeichneten die größten Gewinnrückgänge. Der Wolfsburger Autobauer verbuchte allein im zweiten Quartal Konzern 2,5 Milliarden Euro außerordentlichen Verlust – vor allem wegen der „Dieselthematik“, wie es dazu im Geschäftsbericht heißt. Bei RWE schlugen hingegen höhere Materialkosten negativ zu Buche. Die Deutsche Bank kämpft – neben allen unternehmensspezifischen Problemen – auch mit dem Niedrigzins. Der entwickele sich für die Banken und Versicherungen zunehmend zu einem existenziellen Problem, schreiben die Analysten von EY.
Tatsächlich knabbert das niedrige Zinsniveau aber nicht nur an den Erträgen von Allianz, Commerzbank und Co, sondern belastet auch handfeste Industrieunternehmen wie etwa BASF. Denn vor allem die Pensionsrückstellungen, die Unternehmen für die zukünftigen und aktuellen Pensionäre bilden müssen, schwanken mit dem Zins. Je niedriger er ist, desto mehr Vermögen muss das Unternehmen beiseitelegen, um die Zahlungsverpflichtungen in der Zukunft auch leisten zu können. BASF musste im ersten Halbjahr 3,4 Milliarden Euro zusätzlich für Pensionen zurückstellen.
Niedrigzinsen knabbern am Eigenkapital
Aktionäre merken das zwar nicht in der Gewinn-und Verlustrechnung (GuV) des Konzerns und somit auch nicht am Gewinn. Denn die so genannte „Neubewertung leistungsorientierter Versorgungspläne“ ist nicht Teil des operativen Geschäfts und wird daher nicht in der GuV erfasst. Doch das Geld fehlt trotzdem – und zwar in der Bilanz beim Eigenkapital, also dem Teil des Unternehmensvermögens, das den Aktionären gehört. Auch BMW (eine Milliarde Euro), Deutsche Post (1,5 Milliarden) und Telekom (0,4 Milliarden) mussten im ersten Halbjahr ihre Pensionsrückstellungen erhöhen – zulasten der Anteilseigner.
Trotz dieser Probleme und rückläufiger Umsätze und Gewinne sieht Meyer die Dax-Konzerne auf einem guten Weg: „Die Neuausrichtung vieler deutscher Konzerne trägt teilweise bereits Früchte – einige Dax-Konzerne konnten im zweiten Quartal überraschend gute Zahlen vorlegen.“ Wie zum Beweis hat EY ausgerechnet, dass die Bargeldreserven in der ersten Börsenliga deutlich gestiegen sind, auf 92 Milliarden Euro Cash sitzen die 30 Konzerne. Daher seien die Unternehmen in der Lage, sich etwa mit Zukäufen auf die neuen Herausforderungen einzustellen.
Schon jetzt ist in dieser Hinsicht einiges im Gang: Der Pharmakonzern Bayer versucht sich gerade an der Übernahme des US-Agrargiganten Monsanto, die Deutsche Börse will mit der Londoner Konkurrenz fusionieren. Ob das für die Aktionäre aber tatsächlich gut ausgehen wird, steht auf einem ganz anderen Blatt.