Sie kennen doch noch den Scheinriesen Tur Tur? In den legendären Geschichten von Michael Ende begegnen ihm Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer in der Wüste. Je mehr sie sich Tur Tur nähern, desto mehr schrumpft er zusammen, bis er am Ende Normalgröße hat.
Auf Normalgröße schrumpfen auch die Gewinne der 30 Unternehmen des Deutschen Aktienindex (Dax) zusammen, je mehr man sich ihnen nähert. Noch Ende 2011 erwartete die Schar der Analysten, dass die 30 Dax-Unternehmen zusammengenommen rund 72,5 Milliarden Euro an Jahresüberschüssen (Nettogewinnen) einfahren würden. Jetzt liegen alle Bilanzen vor. Eine exklusive Auswertung der WirtschaftsWoche zeigt nun, dass die Schätzungen zu hoch waren. Der Riesengewinn ist geschrumpft: Gut 63 Milliarden Euro Nettogewinn fuhren die Dax-Konzerne von Adidas bis Volkswagen zusammen ein – nur homöopathisch mehr als im Vorjahr.
Das bedeutet: Investoren, die in den vergangenen Monaten Aktien kauften, taten dies in Erwartung von deutlich zu hoch prognostizierten Gewinnen. Noch dramatischer wird die Diskrepanz bei den Dax-Werten, wenn man die Gewinnerwartung und den tatsächlichen Ertrag von VW herausrechnet. VW hatte die Erwartungen der Analysten deutlich übertroffen. Ohne VW schafften die übrigen 29 Dax-Unternehmen 41,3 Milliarden Euro Gewinn. Erwartet wurden für die 29 ursprünglich jedoch 64,2 Milliarden – 50 Prozent mehr.
Achtung bei Marktschreiern
Diese Rechenspiele sind keineswegs nur von theoretischer Bedeutung. Sie belegen vielmehr, dass die starke Erholung der Aktienkurse über die vergangenen zwölf bis 18 Monate mitnichten durch starke Unternehmensergebnisse untermauert wurde, zumindest nicht im Durchschnitt. Anleger sollten sich also in Acht nehmen vor Marktschreiern, die Tag für Tag die Mär vom günstigen Aktienmarkt verbreiten.
Die zehn wichtigsten Aktien-Regeln
Gegen die größer werdenden Unwägbarkeiten sollte man sich zuallererst mit einer Strategie wappnen: Wer an kräftiges Wachstum in Deutschland glaubt, an einen anhaltenden Boom der Schwellenländer und hohen privaten Konsum, kann weiter am Aktienmarkt investieren. Wer skeptisch ist, sollte seine Bestände hingegen nicht aufstocken.
Eng verbunden mit der ersten Regel: Immer wieder kommt es vor, dass sich Dinge anders entwickeln, als man erwartet hat. Es ist wichtig, sich selbst immer wieder zu hinterfragen und nicht jeder Entwicklung hinterherzulaufen. Eine solche Reaktion zeugt nicht von einem geringen Vertrauen in die eigene Strategie. Es kostet meist auch Geld, weil die Masse schon vorher diese Richtung eingeschlagen und das Gros an Rendite eingefahren hat.
Groß oder klein, spekulativ oder konservativ, liquide oder illiquide, dividendenstark oder dividendenschwach, Substanz oder Wachstum: Bei Aktien ist die Auswahl riesig. Der richtige Mix aus spekulativen und konservativen Titeln hilft, Schwankungen zwischen guten und schlechten Zeiten auszugleichen. Nicht zu unterschätzen sind starke Dividendenzahler, die Jahr für Jahr den Grundstock für eine solide Rendite legen.
Keine Frage, die Börsen haben in den vergangenen zehn Jahren stärker geschwankt als in allen Dekaden zuvor. Das wird so bleiben, mit wachsendem Computerhandel sogar noch zunehmen. Wer sein Risiko minimieren will, baut Barrieren ein – sogenannte Stopps. Gerne werden Stopps bei 20 Prozent über und unterhalb des aktuellen Kurses gewählt. Dann wird automatisch verkauft, wenn diese Grenzen erreicht sind. Kommt eine Phase überraschend steigender Kurse mit anhaltendem Aufwärtstrend, lässt sich die Barriere leicht nach oben verschieben. Wichtig ist dann, auch die Barriere am unteren Ende nachzuziehen.
Wichtig in Phasen überraschender Kurssteigerungen oder -stürze ist es, das Verhalten der Masse zu beobachten. Ist es noch nachvollziehbar oder völlig irrational? Häufig ist es irrational. Dann hilft meist die zweite Regel: Widerstandskraft zeigen. Nach einigen Monaten kehrt die Rationalität von ganz allein zurück. Der Kurssturz aus dem vergangenen Jahr und die jüngste Entwicklung beweisen das gerade wieder.
Sind Aktien wie seit Jahresbeginn schon um 30, 40 oder gar 50 Prozent gestiegen, dann sind Anschlussgewinne in der Regel nur noch schwer zu erzielen. Phrasenverdächtig ist zwar die alte Weisheit: „An Gewinnmitnahmen ist noch niemand zugrunde gegangen.“ Richtig ist sie trotzdem.
Firmenchefs haben einen gewaltigen Vorteil gegenüber normalen Aktionären. Sie wissen weit mehr als jeder Analyst oder Kommentator, wie es in ihrem Unternehmen aussieht. Insider nennt man sie deshalb. Sie melden ihre Orders innerhalb von fünf Handelstagen an die Börsenaufsicht Bafin. Das Handelsblatt veröffentlicht alle zwei Wochen das sogenannte Insider-Barometer, das aus der Summe aller Kauf- und Verkaufsorders Schlüsse für den weiteren Verlauf in Dax & Co. zieht. Jüngste Tendenz: Vorstände und Aufsichtsräte verkaufen mehr als sie kaufen. Vorsicht also!
Terroranschläge und Naturkatastrophen kommen unerwartet. Politische Konflikte wie aktuell zwischen Israel und dem Iran schwelen meist länger. Entscheidende Wahlen wie jüngst in Russland und in diesem Jahr noch in Frankreich und den USA sind vorhersehbar und haben immer Einfluss auf die Börse. Dabei gilt generell: Wahljahre sind gute Börsenjahre.
Mit Optionsscheinen oder Bonus-Zertifikaten lässt sich zwar aus einem Aufwärtstrend ein noch größerer Profit schlagen. Dies sind jedoch in der Regel Wetten ohne realen Hintergrund. Aktien sind reale Werte.
Vor allem Aktien einzelner Branchen unterliegen immer wieder gewissen Moden. Doch die wechseln wie im realen Leben, und manchmal geht das schneller, als man denkt. Das bekommt gerade die einst angesehene Solarenergie-Branche bitter zu spüren.
Haupttreiber der Aktienkurse weltweit ist vielmehr die „ultra-expansive Geldpolitik“ der Notenbanken, sagt Eberhardt Unger, Chefvolkswirt von Fairesearch in Kronberg. Zwar werde diese Politik die „Aktienmärkte weiter stützen“, so Unger. Anleger sollten sich jedoch bewusst sein, dass das Verhältnis von Kursen zu Gewinnen „schon ehrgeizig hoch ist“.
Unter „Berücksichtigung verschiedenster Bewertungsmethoden“ wie dem Verhältnis aus Marktwert zu bilanziellem Vermögenswert (Buchwert), Kurs zu den Barmittelzuflüssen und dem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) kommt auch Eugen Keller, Leiter der Renten- und Devisenstrategie des Bankhauses Metzler in Frankfurt, zu dem Schluss, dass „die Aktienmärkte alles andere als preiswert sind“. Das gilt aber für alle Anlageklassen. Anleihen sind überteuert, für Tagesgeld gibt es so gut wie keinen Zins, Immobilien eignen sich nicht für einen schnellen Kauf und Verkauf, der Goldpreis steht zumindest temporär unter Druck.