Deutsche-Börse-Fusion Kengeter hat sich verkalkuliert

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Anglophil durch und durch

Für einen wie Kengeter mögen das Provinzbedenken sein: Seit Jahrzehnten lebt er im Ausland, hadert gelegentlich hörbar mit seiner eigenen Muttersprache. Anfang Dezember etwa, als er in der altehrwürdigen Frankfurter Paulskirche bei einer Podiumsdiskussion auf der Bühne saß. Er klammerte sich an seinem Stuhl fest und übersetzte seine komplizierten Sätze teils direkt aus dem Englischen. Aus England wurde bei ihm „Britannien“ (englisch: „Britain“), Kengeter sagte, er fühle sich traurig („feel sad“), wenn er mit sonorer Stimme von der Deutschen Börse spricht, sagt er oft bloß „Firma“ – wohl abgeleitet vom im Englischen gebräuchlichen „firm“. Aus seinem Mund klingt das dann, als ob das Weltunternehmen ein Provinzbetrieb wäre.

Nach dem Brexit-Votum hat sich die Börse um Schadensbegrenzung bemüht, wie für den Brexit vorgesehen, tagt jetzt ein Referendumsausschuss, dessen Einfluss aber begrenzt ist. Sollte der Sitz der Holding nach Frankfurt verlegt werden, müssten die Aktionäre neu abstimmen – der Prozess begänne wieder bei null. „Kengeter hat sich vergaloppiert“, sagt ein Insider.

Rund 40 Genehmigungsverfahren muss der Deal weltweit durchlaufen, die Prüfung durch Hessen und die EU-Kommission gelten als größte Stolpersteine. Nun beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Ist der Deal bis zum 30. Juni nicht in trockenen Tüchern, erlischt die Zustimmung der Aktionäre. „Dann wird es die Fusion in der Tat nicht geben“, räumt Kengeter ein. Vielleicht kommt das Ende früher: Spätestens am 3. April, drei Tage nach seinem 50. Geburtstag, wird die EU endgültig entscheiden. Sieht sie den Wettbewerb in Gefahr, kann sie den Deal verbieten.

Bedenken wegen der Dominanz der neuen Megabörse bei der Abwicklung von Derivategeschäften hat sie schon geäußert. Um die zu zerstreuen, muss die LSE ihre französische Tochter Clearnet SA verkaufen. Auch das schmeckt in London nicht jedem. Vor der Eheschließung kriselt es nun angeblich zwischen den Verlobten: „Die Spannungen zwischen den Fusionspartnern sind groß“, hört man. Für Unmut soll bei der LSE im Januar eine von den Deutschen in Auftrag gegebene Studie gesorgt haben, in der begründet wurde, warum der Zusammenschluss den Finanzplatz Frankfurt stärken würde. So groß war der Ärger wohl, dass LSE-Chef Xavier Rolet beim Neujahrsempfang in Eschborn fehlte, obwohl tags darauf ein gemeinsamer Termin bei der hessischen Landesregierung war. Auch bei Kengeters Neujahrsempfang in London ließ er sich nicht blicken.

In Sachen Insiderhandel stehen die Briten offiziell stramm hinter Kengeter. In der Sitzfrage aber pochen sie auf London, sind nicht mal bereit, zwei Holding-Sitze zu akzeptieren. Ein ehemaliger Aufsichtsrat der LSE schätzt die Chance, dass die Fusion klappt, inzwischen auf nur noch 50 Prozent. Was wird dann aus Kengeter? In der Frankfurter Paulskirche wurde er gefragt, ob man so ein großes Projekt mit der eigenen Karriere verknüpfen müsse. Antwort: „Wenn man sich so wichtig nimmt, dann kann man das.“ Das Publikum lachte und klatschte. Und Kengeter schob nach: „Die Deutsche Börse ist mit und ohne mich ein wunderbares Unternehmen.“

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