Deutsche-Börse-Fusion Kengeter hat sich verkalkuliert

Die Fusion mit der London Stock Exchange steht auf der Kippe. Scheitert sie, wird es eng für Börsenchef Carsten Kengeter. Hinzu kommen Ermittlungen gegen ihn zur Unzeit. Der Druck auf Kengeter steigt.

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Carsten Kengeter, Vorstandsvorsitzender der Deutsche Börse Group Quelle: dpa

Noch einen Tag bevor die Staatsanwälte bei ihm anklopften, war Carsten Kengeter in seinem Element: „Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, muss sich alles ändern“, dozierte der Chef der Deutschen Börse vor gut 300 Zuhörern in der edlen Londoner Merchant Taylors’ Hall. Die Börse hatte geladen, um auf das neue Jahr anzustoßen. Kengeter zitierte Tancredi Falconieri aus dem Klassiker „Der Leopard“, um für die Vorzüge der Fusion von Deutscher Börse und London Stock Exchange (LSE) zu werben. Falconieri hat es dem belesenen Kengeter, der bei Auftritten immer wieder auch Philosophen zitiert, angetan. Allein: Falconieri, eine der Hauptfiguren des Werks von Giuseppe Tomasi di Lampedusa, scheitert am Ende.

So könnte es nun auch dem dynamischen Chef der Deutschen Börse gehen: Aufseher scheinen Bedenken gegen die Fusion zu haben, angeblich kriselt es auch zwischen den Fusionspartnern. Und ausgerechnet jetzt, da der Zusammenschluss von „Luna“ (LSE) und „Delta“ (Deutsche Börse) in die heiße Phase geht, ist Kengeter, der Chef der fusionierten Börse in London werden soll, ins Fadenkreuz der Justiz geraten.

Noch während er in London versicherte, dass er weiter fest an die Fusion glaube, bereiteten Ermittler in Hessen eine Razzia vor. Am Tag nach dem Neujahrsempfang, Kengeter weilte noch in England, schlugen sie um zehn Uhr zu: Frankfurter Staatsanwälte, Polizisten des Landeskriminalamts Wiesbaden plus mehrere Beamte der Finanzaufsicht BaFin durchsuchten Kengeters Büro in der Eschborner Zentrale und seine Privatwohnung.

Der Verdacht: Insiderhandel. Kengeter soll Mitte Dezember 2015 Deutsche-Börse-Aktien für 4,5 Millionen Euro gekauft haben, obwohl es laut Staatsanwaltschaft schon seit Sommer Gespräche über eine Fusion mit London gegeben habe. Die Fahnder werten die „bis dato nicht veröffentlichten Vertragsgespräche“ als geheime Insiderinformation.

Der üble Verdacht trifft nun ausgerechnet Kengeter, den ein Bekannter als „kühlen Taktiker“ beschreibt, den seine Karriere von Barclays über Goldman Sachs bis an die Spitze der Investmentbank UBS führte. Einen, der als Chef international Erfahrung im Investmentbanking sammelte. Wenn einer die Regeln kennen muss, dann er. Nun sei die Frage, wie es um Verhandlungen mit der LSE stand, als er die Aktien kaufte, sagt Fabian Christoph, Partner der Kanzlei Osborne Clarke. Das hänge davon ab, ob es bereits eine „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ für eine Einigung gegeben habe. „Dazu reichen lockere Gespräche, in denen die wesentlichen Eckpunkte noch nicht festgeklopft wurden, nicht aus“, sagt er.

Wie konkret die Gespräche waren, wollen die Fahnder jetzt herausfinden. Fest steht: Nur einen Monat nach den Käufen, am 19. Januar 2016, haben die Börsen eine Geheimhaltungsvereinbarung zur Fusion unterzeichnet. Im Januar bildete die Börse auch Projektteams.

Börsenchef Kengeter in Schwierigkeiten

Nun ist die Aufregung groß: Vergangenen Montag gegen 15 Uhr kamen im Cube, der Zentrale der Börse, die Aufsichtsräte zur außerordentlichen Sitzung zusammen. Eigentlich sollte es um Zugeständnisse an die EU-Kommission gehen, die die Fusion noch freigeben muss, doch nun geht es lange um Kengeters Aktiendeal. Das Gremium hat Anwälte dazu gebeten, darunter Berater der Börse von der Kanzlei Linklaters. Die Sitzung sei konstruktiv gewesen, berichten Kenner, mit sehr detaillierten Fragen der Aufsichtsräte.

Wer hat wann was freigegeben, welche Informationen hatten diese Leute? Auch Kengeter war vor Ort – und zeigte Pokerface. Anfangs, als er von den Ermittlungen erfuhr, habe er „sehr mitgenommen“ gewirkt, sagt ein Vertrauter. Nun aber habe er sich zumindest äußerlich gefangen. Er wirke „sehr ruhig“, aber bedrückt, sagen mehrere Wegbegleiter. Menschen, die den hochgewachsenen Manager kennen, sehen es ihm aber an Augen und Mimik an: Die Sache belastet ihn menschlich schwer.

Zu spät gemeldet?

Da hilft es, dass der Aufsichtsrat ihm einstimmig das Vertrauen ausgesprochen hat. Schließlich habe er die Aktien im Rahmen eines eigens für ihn geschaffenen Vergütungsplans erworben, heißt es. Die Vorwürfe seien „haltlos“, sagt Aufsichtsratschef Joachim Faber – der sich im Fall einer Verurteilung an die eigene Nase packen müsste, da er das Aktienpaket mit schnürte.

Es könnte ohnehin noch dicker kommen: Die Staatsanwaltschaft prüft nun auch, ob die Börse ihre Ad-hoc-Meldung zur Fusion am 23. Februar rechtzeitig veröffentlicht hat. Mit solchen Meldungen müssen Unternehmen kursbewegende Nachrichten sofort vermelden. Passierte das zu spät, drohen dem Vorstand zusätzlich Ermittlungen wegen des Verdachts auf Marktmanipulation. Nun ist die Schmach groß: Die Ermittler haben einen Raum in der Börse bezogen, der abends versiegelt wird. Kengeter kann live mit ansehen, wie die Ermittler seine Mails oder den Terminkalender mit Suchworten durchflöhen. Die LSE und Kengeters Haus im britischen Wimbledon blieben verschont; die britische Aufsicht FCA ermittelt bisher nicht. „Eine Anfrage um Amtshilfe kam bisher aus Deutschland nicht“, heißt es.

Die Ermittlungen kommen für Kengeter zur Unzeit. Über Monate hatte er bei zahlreichen öffentlichen Auftritten für sein Projekt gekämpft. Anfang März 2016 etwa stand er mit breitem Kreuz im Nobelhotel Frankfurter Hof auf der Bühne und verkündete: „Ich bin überzeugter Europäer.“ Sollten die Engländer aus der EU herausgehen, würde das gar „unsere nationale Sicherheit“ bedrohen. So etwas sagt er heute nicht mehr. Auch nicht, dass die Fusion „von Gott gewollt“ sei und dass die Infrastruktur der Börse in „amerikanische Hände“ fallen könnte, sollte sein Plan scheitern.

Das Brexit-Risiko unterschätzt

Noch drei Wochen vor dem britischen EU-Referendum verteilte Kengeter in der Londoner Photographers’ Gallery Preise – zu Churchills Lieblingschampagner Pol Roger. Churchill habe als erster Brite ein Vereintes Europa gefordert, betonte er, und zeigte sich für die bevorstehende Volksabstimmung optimistisch. Das war sein Kardinalfehler: Kengeter glaubte nicht ernsthaft daran, dass die Briten die EU verlassen. So steckt der Wahl-Londoner heute in der Bredouille: Der Sitz der fusionierten Börse soll in London – und damit künftig außerhalb der EU – sein. Im Vertrag mit der LSE gibt es keine Klausel, die regelt, dass der Sitz nach dem Brexit in die EU und damit in den Hoheitsbereich der hessischen Aufsicht verlegt wird.

Kengeter könnte die Rechnung ohne seine Aufseher in Wiesbaden gemacht haben. Die sollen ohnehin noch erbost sein, weil sie von der Fusion erst aus der Zeitung erfahren haben. „Der dachte wohl, da sitzen in Wiesbaden ein paar Penner mit 60.000-Euro-Jobs auf Plastikstühlen“, lästert ein Beobachter. Jetzt müsse er eben feststellen, dass ein paar klassisch deutsche, anständige und unbeeinflussbare Aufseher ihren Job machen würden. Der Aktienkauf rückt Kengeter gefährlich nahe an das Bild vom Boni-Banker: Für jeden Euro aus privatem Geld bekam er Aktien im gleichen Wert geschenkt. Ein Geschenk, das selbst ein Millionär ungern ausschlägt – und das das Klima bei Politik und Aufsehern vergiftet.

Bei Aufsehern, die Einfluss haben: Denn die Börse ist kein rein privates Unternehmen, sondern Trägerin öffentlich-rechtlicher Wertpapierbörsen. Der grüne Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir, faktisch oberster Chef der hessischen Börsenaufsicht, kann die Fusion daher untersagen. In der Finanzwelt kursiert nun gar das Gerücht, dass die Hessen die Fusion durch das Vorantreiben der Ermittlungen torpedieren wollten. Belege dafür gibt es freilich nicht. Al-Wazir äußert sich noch nicht. Fest steht
aber: Dass der Sitz der fusionierten Börse im Post-Brexit-London liegen soll, außerhalb des Zugriffs deutscher Behörden, stößt vielen übel auf. „Rational liegen die Gründe für den Hauptsitz in Frankfurt glasklar auf dem Tisch“, tönte etwa Hessens Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) jüngst.

Anglophil durch und durch

Für einen wie Kengeter mögen das Provinzbedenken sein: Seit Jahrzehnten lebt er im Ausland, hadert gelegentlich hörbar mit seiner eigenen Muttersprache. Anfang Dezember etwa, als er in der altehrwürdigen Frankfurter Paulskirche bei einer Podiumsdiskussion auf der Bühne saß. Er klammerte sich an seinem Stuhl fest und übersetzte seine komplizierten Sätze teils direkt aus dem Englischen. Aus England wurde bei ihm „Britannien“ (englisch: „Britain“), Kengeter sagte, er fühle sich traurig („feel sad“), wenn er mit sonorer Stimme von der Deutschen Börse spricht, sagt er oft bloß „Firma“ – wohl abgeleitet vom im Englischen gebräuchlichen „firm“. Aus seinem Mund klingt das dann, als ob das Weltunternehmen ein Provinzbetrieb wäre.

Nach dem Brexit-Votum hat sich die Börse um Schadensbegrenzung bemüht, wie für den Brexit vorgesehen, tagt jetzt ein Referendumsausschuss, dessen Einfluss aber begrenzt ist. Sollte der Sitz der Holding nach Frankfurt verlegt werden, müssten die Aktionäre neu abstimmen – der Prozess begänne wieder bei null. „Kengeter hat sich vergaloppiert“, sagt ein Insider.

Rund 40 Genehmigungsverfahren muss der Deal weltweit durchlaufen, die Prüfung durch Hessen und die EU-Kommission gelten als größte Stolpersteine. Nun beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Ist der Deal bis zum 30. Juni nicht in trockenen Tüchern, erlischt die Zustimmung der Aktionäre. „Dann wird es die Fusion in der Tat nicht geben“, räumt Kengeter ein. Vielleicht kommt das Ende früher: Spätestens am 3. April, drei Tage nach seinem 50. Geburtstag, wird die EU endgültig entscheiden. Sieht sie den Wettbewerb in Gefahr, kann sie den Deal verbieten.

Bedenken wegen der Dominanz der neuen Megabörse bei der Abwicklung von Derivategeschäften hat sie schon geäußert. Um die zu zerstreuen, muss die LSE ihre französische Tochter Clearnet SA verkaufen. Auch das schmeckt in London nicht jedem. Vor der Eheschließung kriselt es nun angeblich zwischen den Verlobten: „Die Spannungen zwischen den Fusionspartnern sind groß“, hört man. Für Unmut soll bei der LSE im Januar eine von den Deutschen in Auftrag gegebene Studie gesorgt haben, in der begründet wurde, warum der Zusammenschluss den Finanzplatz Frankfurt stärken würde. So groß war der Ärger wohl, dass LSE-Chef Xavier Rolet beim Neujahrsempfang in Eschborn fehlte, obwohl tags darauf ein gemeinsamer Termin bei der hessischen Landesregierung war. Auch bei Kengeters Neujahrsempfang in London ließ er sich nicht blicken.

In Sachen Insiderhandel stehen die Briten offiziell stramm hinter Kengeter. In der Sitzfrage aber pochen sie auf London, sind nicht mal bereit, zwei Holding-Sitze zu akzeptieren. Ein ehemaliger Aufsichtsrat der LSE schätzt die Chance, dass die Fusion klappt, inzwischen auf nur noch 50 Prozent. Was wird dann aus Kengeter? In der Frankfurter Paulskirche wurde er gefragt, ob man so ein großes Projekt mit der eigenen Karriere verknüpfen müsse. Antwort: „Wenn man sich so wichtig nimmt, dann kann man das.“ Das Publikum lachte und klatschte. Und Kengeter schob nach: „Die Deutsche Börse ist mit und ohne mich ein wunderbares Unternehmen.“

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