Deutsche-Börse-Fusion Kengeter hat sich verkalkuliert

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Zu spät gemeldet?

Da hilft es, dass der Aufsichtsrat ihm einstimmig das Vertrauen ausgesprochen hat. Schließlich habe er die Aktien im Rahmen eines eigens für ihn geschaffenen Vergütungsplans erworben, heißt es. Die Vorwürfe seien „haltlos“, sagt Aufsichtsratschef Joachim Faber – der sich im Fall einer Verurteilung an die eigene Nase packen müsste, da er das Aktienpaket mit schnürte.

Es könnte ohnehin noch dicker kommen: Die Staatsanwaltschaft prüft nun auch, ob die Börse ihre Ad-hoc-Meldung zur Fusion am 23. Februar rechtzeitig veröffentlicht hat. Mit solchen Meldungen müssen Unternehmen kursbewegende Nachrichten sofort vermelden. Passierte das zu spät, drohen dem Vorstand zusätzlich Ermittlungen wegen des Verdachts auf Marktmanipulation. Nun ist die Schmach groß: Die Ermittler haben einen Raum in der Börse bezogen, der abends versiegelt wird. Kengeter kann live mit ansehen, wie die Ermittler seine Mails oder den Terminkalender mit Suchworten durchflöhen. Die LSE und Kengeters Haus im britischen Wimbledon blieben verschont; die britische Aufsicht FCA ermittelt bisher nicht. „Eine Anfrage um Amtshilfe kam bisher aus Deutschland nicht“, heißt es.

Die Ermittlungen kommen für Kengeter zur Unzeit. Über Monate hatte er bei zahlreichen öffentlichen Auftritten für sein Projekt gekämpft. Anfang März 2016 etwa stand er mit breitem Kreuz im Nobelhotel Frankfurter Hof auf der Bühne und verkündete: „Ich bin überzeugter Europäer.“ Sollten die Engländer aus der EU herausgehen, würde das gar „unsere nationale Sicherheit“ bedrohen. So etwas sagt er heute nicht mehr. Auch nicht, dass die Fusion „von Gott gewollt“ sei und dass die Infrastruktur der Börse in „amerikanische Hände“ fallen könnte, sollte sein Plan scheitern.

Das Brexit-Risiko unterschätzt

Noch drei Wochen vor dem britischen EU-Referendum verteilte Kengeter in der Londoner Photographers’ Gallery Preise – zu Churchills Lieblingschampagner Pol Roger. Churchill habe als erster Brite ein Vereintes Europa gefordert, betonte er, und zeigte sich für die bevorstehende Volksabstimmung optimistisch. Das war sein Kardinalfehler: Kengeter glaubte nicht ernsthaft daran, dass die Briten die EU verlassen. So steckt der Wahl-Londoner heute in der Bredouille: Der Sitz der fusionierten Börse soll in London – und damit künftig außerhalb der EU – sein. Im Vertrag mit der LSE gibt es keine Klausel, die regelt, dass der Sitz nach dem Brexit in die EU und damit in den Hoheitsbereich der hessischen Aufsicht verlegt wird.

Kengeter könnte die Rechnung ohne seine Aufseher in Wiesbaden gemacht haben. Die sollen ohnehin noch erbost sein, weil sie von der Fusion erst aus der Zeitung erfahren haben. „Der dachte wohl, da sitzen in Wiesbaden ein paar Penner mit 60.000-Euro-Jobs auf Plastikstühlen“, lästert ein Beobachter. Jetzt müsse er eben feststellen, dass ein paar klassisch deutsche, anständige und unbeeinflussbare Aufseher ihren Job machen würden. Der Aktienkauf rückt Kengeter gefährlich nahe an das Bild vom Boni-Banker: Für jeden Euro aus privatem Geld bekam er Aktien im gleichen Wert geschenkt. Ein Geschenk, das selbst ein Millionär ungern ausschlägt – und das das Klima bei Politik und Aufsehern vergiftet.

Bei Aufsehern, die Einfluss haben: Denn die Börse ist kein rein privates Unternehmen, sondern Trägerin öffentlich-rechtlicher Wertpapierbörsen. Der grüne Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir, faktisch oberster Chef der hessischen Börsenaufsicht, kann die Fusion daher untersagen. In der Finanzwelt kursiert nun gar das Gerücht, dass die Hessen die Fusion durch das Vorantreiben der Ermittlungen torpedieren wollten. Belege dafür gibt es freilich nicht. Al-Wazir äußert sich noch nicht. Fest steht
aber: Dass der Sitz der fusionierten Börse im Post-Brexit-London liegen soll, außerhalb des Zugriffs deutscher Behörden, stößt vielen übel auf. „Rational liegen die Gründe für den Hauptsitz in Frankfurt glasklar auf dem Tisch“, tönte etwa Hessens Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) jüngst.

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