Deutsche Börse Gnadenfrist für Kengeter vor der Hauptversammlung

Börsenchef Carsten Kengeter steht eine unterkühlte Hauptversammlung bevor, aber keine, auf der es zum großen Knall kommen wird.

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Deutsche Börse-Chef Karsten Kengeter. Quelle: Bloomberg

Der Kurs der Börsenaktie notiert heute so hoch wie zuletzt vor neun Jahren und hat auch seit Kengeters Amtsantritt 2015 deutlich zugelegt. Hier gibt es also nichts zu meckern.
Trotzdem bestehen wichtige Konflikte zwischen Aktionären und Management zu zwei Fragen: Erstens, ob die Chefs die Risiken der gescheiterten Fusion mit der Londoner Börse vor allem nach dem britischen Brexit-Votum nicht besser im Auge hätten behalten können. Und zweitens, welche Konsequenzen die Ermittlungen gegen CEO Kengeter wegen möglicher Insidergeschäfte im Vorfeld der Fusion haben müssen.


Für die erste Frage aber kommt die Hauptversammlung am Mittwoch zu spät. Und für die zweite zu früh. Das Management wird sich daher wohl einen Rüffel der Aktionäre wegen der genannten Probleme abholen, mehr aber auch nicht.

Die geplatzte Fusion kann Kengeter wohl nicht mehr wirklich gefährlich werden. Was die Vorwürfe des Insiderhandels betrifft, müssen Investoren die Ergebnisse der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen abwarten.

Die Tatsache, dass der Abgang der Briten aus der Eurozone nicht nur für die Börse überraschend kam, sondern auch Politiker und Medien kalt erwischte, verschafft der Börsenspitze eine gewisse Entlastung. Keiner der Top-Investoren möchte Vorstand und Aufsichtsrat hieraus einen Strick drehen. Hierzu sind die Argumente bereits ausgetauscht, die Hauptversammlung wird wohl keine neuen Erkenntnisse liefern können.

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Anklage wäre rote Linie

Viel entscheidender für Kengeters berufliche Zukunft wird das Ergebnis der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen sein. Solange kein Gerichtsurteil dazu vorliegt, gilt die Unschuldsvermutung. Das akzeptieren auch die Investoren. Käme es aber zur Anklage, wird die Lage nicht mehr so ruhig bleiben. Wichtige Eigentümer haben klargestellt, dass aus ihrer Sicht in einem solchen Fall die rote Linie überschritten wäre.

Gnadenfrist für das Management


Natürlich hätte Kengeter bei Bekanntwerden der Ermittlungen unabhängig von persönlicher Schuld oder Unschuld auch zurücktreten können, um sich und dem Unternehmen die Hängepartie zu ersparen. Das hat er aber nicht getan und damit alle Beteiligten zum Abwarten verdammt. Über die Verlängerung seines Vertrags kann noch nicht entschieden werden, obwohl dieser bald ausläuft. Zunächst aber folgen seine Investoren dem Kalkül, eine juristische Entlastung Kengeters von den Vorwürfen abzuwarten, wonach er dann sein Amt weiterführen könnte.


Dem Management ist das argumentative und kommunikative Kunststück gelungen, die Börse als aus eigener Kraft weltweit wettbewerbsfähiges Unternehmen zu präsentieren, obwohl zuvor mit aller Macht für den angeblich alternativlosen Zusammenschluss mit dem großen Konkurrenten getrommelt wurde. Genugtuung verschaffen dürfte den Chefs die jüngst ausgebrochene Debatte darüber, welcher Börsenplatz das wichtige Euroclearing nach dem Brexit an sich reißen kann. Das Tauziehen zeigt, wie erstrebenswert die von Kengeter zu schmieden versuchte Achse Frankfurt/London für das Geschäftsmodell eines großen Marktbetreibers gewesen wäre.

Ein Rücktritt des Top-Managements wäre nach dem Fusionsaus ein konsequenter Schritt gewesen. Im Amt geblieben zu sein, war pragmatisch, muss aber nicht automatisch falsch gewesen sein. Die Aktionäre jedenfalls nehmen es Kengeter & Co. ab, die Börse in die Zukunft führen zu können. Sonst hätten sie vor der Hauptversammlung einen Umsturz angedroht.

Kengeter muss liefern

Innerhalb dieser Gnadenfrist muss der Chef jetzt liefern. Es dürfte unwahrscheinlich sein, dass er auf die Schnelle ein neues Fusionsprojekt aus der Tasche zieht, das in derselben Liga spielen würde, wie ein Zusammenschluss mit London. Realistischer sind dagegen viele kleine und mittelgroße Schritte in die Zukunft.

Die ersten davon sind bereits gemacht. Mit der Übernahme der Devisenplattform 360T hat die Börse in einen Finanzdienstleister der neuen Generation investiert, der den für Banken wichtigen Währungshandel zentralisiert und vereinfacht. Mit der Unterstützung eines Gründerzentrums für weitere junge Finanzdienstleister dieser Art rundet die Börse iihre Digitalstrategie ab. Und mit dem Aufbau des Marktsegments Scale, das jungen Unternehmen den Zugang zum Kapitalmarkt erleichtern soll, ist bei allen Anfangsschwierigkeiten ebenfalls ein sinnvoller Schritt gemacht.

Projekte wie diese dürften beispielgebend für das sein, was Aktionäre und Kunden demnächst von ihrer Börse erwarten können.

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