Das britische Pfund ist schwach. Und seine Schwäche hat die Währung dem Brexit zu verdanken. Seit die Briten sich am 23. Juni 2016 mehrheitlich für einen Austritt aus der Europäischen Union ausgesprochen haben, geht es abwärts. Dieser Tage nähert es sich gegenüber dem Euro mehrjähriger Tiefs an. Am Mittwoch fällt es auf 1,0936 Euro je Pfund. Blendet man den Flash-Crash (einen plötzlichen Kursverfall) des Pfundes im Oktober 2016 aus, ist die britische Währung damit so schwach wie zuletzt vor sieben Jahren, im März 2010.
In der depressiven Stimmung helfen dem Pfund sogar vermeintlich positive Nachrichten nicht mehr. Am Dienstag hat die britische Regierung der Europäischen Union eine zeitlich begrenzte Zollunion nach dem Austritt vorgeschlagen. Diese Übergangslösung solle ungefähr zwei Jahre bestehen, wie Brexit-Minister David Davis wissen ließ – eben bis eine endgültige Lösung gefunden ist.
Dennoch ging es abwärts. Das Pfund stand offenbar stärker unter dem Einfluss der veröffentlichten Inflationszahlen. Im Juli lag die Teuerungsrate bei 2,6 Prozent. Obwohl sie damit weiter deutlich über dem zwei-Prozent-Ziel der Zentralbank Bank of England steht, rechnen Marktteilnehmer laut einer Analyse von Bloomberg frühestens im September 2018 mit einer Zinserhöhung.
Welche deutschen Branchen der Brexit treffen könnte
Jedes fünfte aus Deutschland exportierte Auto geht laut Branchenverband VDA ins Vereinigte Königreich. Präsident Matthias Wissmann warnte daher vor Zöllen, die den Warenverkehr verteuerten. BMW etwa verkaufte in Großbritannien 2015 rund 236 000 Autos - über 10 Prozent des weltweiten Absatzes. Bei Mercedes waren es 8 Prozent, bei VW 6 Prozent. BMW und VW haben auf der Insel zudem Fabriken für ihre Töchter Mini und Bentley. Von „deutlich geringeren Verkäufen“ in Großbritannien nach dem Brexit-Votum berichtete bereits Opel. Der Hersteller rechnet wegen des Entscheids 2016 nicht mehr mit der angepeilten Rückkehr in die schwarzen Zahlen.
Für die deutschen Hersteller ist Großbritannien der viertwichtigste Auslandsmarkt nach den USA, China und Frankreich. 2015 gingen Maschinen im Wert von 7,2 Milliarden Euro auf die Insel. Im vergangenen Jahr liefen die Geschäfte weniger gut. In den ersten zehn Monaten 2016 stiegen die Exporte nach Großbritannien dem Branchenverband VDMA zufolge um 1,8 Prozent gemessen am Vorjahr. 2015 waren sie aber noch um 5,8 Prozent binnen Jahresfrist gewachsen. Mit dem Brexit sei ein weiteres Konjunkturrisiko für den Maschinenbau dazugekommen, sagte VDMA-Präsident Carl Martin Welcker im Dezember.
Die Unternehmen fürchten schlechtere Geschäfte wegen des Brexits. Der Entscheid habe bewirkt, dass sich das Investitions- und Konsumklima in Großbritannien verschlechtert habe, sagte jüngst Kurt Bock, Präsident des Branchenverbands VCI. Für die deutschen Hersteller ist Großbritannien ein wichtiger Abnehmer gerade von Pharmazeutika und Spezialchemikalien. 2016 exportierten sie Produkte im Wert von 12,9 Milliarden Euro ins Vereinigte Königreich, rund 7,3 Prozent ihrer Gesamtexporte.
Für Elektroprodukte „Made in Germany“ ist Großbritannien der viertgrößte Abnehmer weltweit. 2015 exportierten deutsche Hersteller laut Branchenverband ZVEI Waren im Wert von 9,9 Milliarden Euro in das Land, 9,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Im vergangenen Jahr liefen die Geschäfte mit dem Vereinigten Königreich nicht mehr so gut. Nach zehn Monaten verzeichnet der Verband ein Plus bei den Elektroausfuhren von 1,7 Prozent gemessen am Vorjahr. Grund für die Eintrübung seien nicht zuletzt Wechselkurseffekte wegen des schwachen Pfunds, sagte Andreas Gontermann, Chefvolkswirt des ZVEI.
Banken brauchen für Dienstleistungen in der EU rechtlich selbstständige Tochterbanken mit Sitz in einem EU-Staat. Derzeit können sie grenzüberschreitend frei agieren. Mit dem Brexit werden Barrieren befürchtet. Deutsche Geldhäuser beschäftigten zudem Tausende Banker in London, gerade im Investmentbanking. Die Deutsche Bank glaubt indes nicht, dass sie ihre Struktur in Großbritannien „kurzfristig wesentlich“ ändern muss. Die Commerzbank hat ihr Investmentbanking in London schon stark gekürzt. Um viel geht es für die Deutsche Börse. Sie will sich mit dem Londoner Konkurrenten LSE zusammenschließen. Der Brexit macht das Projekt noch komplizierter.
Schließlich wurde die Inflation allen voran durch gestiegene Importpreise wegen des schwachen Pfunds auf seine hohen Werte getrieben. Die Briten bekommen die Folgen des Brexits in Form gestiegener Lebenshaltungskosten zu spüren. Um den Schock abzumildern, hatte die Notenbank den Leitzins nach dem Brexit-Votum im August 2016 zunächst auf das Rekordtief von 0,25 Prozent gesenkt.
„Auch der heutige Arbeitsmarktbericht dürfte erneut ein enttäuschend schwaches Lohnwachstum ausweisen, das nicht dafür spricht, dass in nächster Zeit die Inflation deutlich anzieht oder wenigstens die Nachfrage von einem höheren Realeinkommen profitiert. Und damit fällt auch eines der wenigen positiven Argumente (für das britische Pfund, Anm. der Redaktion) weg“, erklärt die Analystin Esther Reichelt von der Commerzbank in einem Kommentar.
Warum das Pfund besonders stark gegenüber dem Euro fällt
Da auch in den Brexit-Verhandlungen außer Positionsbekundungen sich bislang keine Ergebnisse abzeichnen, werden die kommenden Monate für das Pfund weiter holprig. Gerade gegenüber dem Euro hat es zuletzt stark an Boden verloren. Nur einmal stand es im vergangen Jahr tiefer, am 7. Oktober. Damals gab es einen Flash Crash, einen plötzlichen Kursverfall, bei dem massenhafte Verkäufe zu einem Einbruch von knapp zehn Prozent geführt haben.
In einer Untersuchung kam die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich später zu dem Schluss, dass eine Vielzahl von Ursachen für den Sturz verantwortlich war. Vermutlich ausgelöst von einer größeren Verkaufsorder durchbrach der Kurs offenbar Grenzen von Stop-Loss-Orders, mit denen sich Anleger vor hohen Verlusten schützen möchten. Der Devisenterminmarkt in Chicago hatte den Handel gar temporär ausgesetzt. Die Folge: Weitere Verkäufe und weiterer Abwärtsdruck.
Zwischenzeitlich hatte sich die Währung von dem Schock wieder erholt. Von Stärke kann aber keine Rede sein. Die Analysten von Morgan Stanley erwarten weitere Kursverluste für das Pfund. Zwar habe die britische Wirtschaft im vergangenen Jahr trotz des Brexit-Votums weiter wachsen können. Doch die Struktur des Wachstums habe sich geändert.
Der Brexit-Fahrplan
Laut Barnier sollen bis Oktober 2018 die Details für den Austritt Großbritanniens ausverhandelt sein. Der Franzose hat diesen Zeitplan bereits als sehr ambitioniert bezeichnet. Andere Experten halten ihn angesichts der Fülle der Problemfelder für unmöglich. Womöglich wird es deshalb zahlreiche Übergangsfristen von etwa zwei bis fünf Jahren geben.
Die schottische Regierung will im Herbst 2018 ein zweites Referendum über den Verbleib im Vereinigten Königreich abhalten, sobald die Bedingungen für den Brexit klar sind. May hat dies abgelehnt.
Bis März 2019 wäre dann Zeit, damit Mitgliedsländer und EU-Parlament die Vereinbarung ratifizieren. Der Tag des Austritts Großbritanniens aus der EU wäre dann Samstag, der 30. März.
Unklar ist, wann die umfassenderen Verhandlungen über die künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU abgeschlossen sind. May strebt ein Freihandelsabkommen mit der EU innerhalb weniger Jahre an, über das schon parallel zum Brexit verhandelt werden soll. Dagegen verweist die EU-Kommission auf die Erfahrung aus anderen Abkommen wie etwa mit Kanada (Ceta), über das sechs Jahre lang verhandelt wurde. Im Ceta-Vertrag sind allerdings keine Vereinbarungen über den komplexen Bereich der Finanzdienstleistungen enthalten, die für Großbritannien und den Finanzplatz London von enormer Bedeutung sind.
„Die Ausgaben der Haushalte hat sich erhöht, welche jedoch allen voran von ungesicherten Darlehen finanziert werden. Das ist nicht nachhaltig“, erläutert das Team rund um den Devisen-Chef-Strategen Hans Redeker in einem Report. Zugleich hätte die Exportwirtschaft von der Pfund-Schwäche weniger als in früheren Schwäche-Phasen profitieren können.
Da dürfte es allenfalls ein schwacher Trost sein, dass die britische Währung gegenüber dem US-Dollar weniger stark fällt als gegenüber dem Euro. Der Pfund-Dollar-Kurs befindet sich bei 1,2910 Dollar derzeit auf einem Fünf-Wochen-Tief. Bis Ende des Jahres könnte er um weiter fünf Cent fallen, schätzen die Analysten von Morgan Stanley.
Dass das Pfund gegenüber dem Euro stärker abwertet als dem Dollar lässt sich mit der Stärke des Euro begründen. Die europäische Gemeinschaftswährung konnte zuletzt aufgrund der Aussicht auf einen allmählichen Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik und eine Verminderung der Anleihekäufe kräftig gegenüber den großen Währungen der Welt zulegen. Wie Analysten verschiedener Banken berichten, suchen institutionelle Investoren nun zunehmend Anlagen im Euroraum. Für das Pfund stellt diese Entwicklung einen zusätzlichen Abwertungsfaktor gegenüber seinem Europa-Pendant dar.