Digitalwährung Der Bruderkrieg im Bitcoin-Lager

Es ist paradox: Die Finanzwelt beobachtet die Digitalwährung Bitcoin mit wachsender Neugier. Die Gemeinschaft der Anhänger aber versinkt in einem bizarren Bruderkrieg. Der könnte die erreichten Erfolge zunichtemachen.

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Bitcoin: Warum die Kryptowährung abgestürzt ist Quelle: Reuters

Düsseldorf Was ist da los bei Bitcoin und Co.? Über Wochen war es für die Digitalwährung langsam, aber stetig bergauf gegangen. Ende September notierte die wichtigste Kryptowährung noch bei gut 3.500 Dollar, Anfang November hatte sie die 7.000-Dollar-Marke geknackt. Dieser Trend ist jetzt vorbei.

Seit der Kurs am Mittwochabend sein bisheriges Rekordhoch von über 7.800 Dollar erreicht hatte, ging es in immer neuen Schüben abwärts. Am Sonntagmorgen hatte der Kurs mit unter 5.700 Dollar seinen jüngsten Tiefpunkt erreicht, stieg anschließend wieder, nur um in der Nacht ähnlich tief zu landen. Am Montagabend notierte er etwas höher bei rund 6.500 Dollar.

Hintergrund der in der jüngeren Geschichte der Währung beispiellosen Berg- und Talfahrt ist ein bizarrer Bruderkrieg im Bitcoin-Lager. Dieser droht, die bisher erreichten Erfolge zunichte zu machen. Gegenüber stehen sich die Anhänger des Bitcoin und der Abspaltung Bitcoin Cash, die rasant an Boden gewinnt.

In weniger als 60 Stunden stieg ihr Preis von 637 US-Dollar auf bis zu 2.500 US-Dollar am Sonntagmorgen, bevor es wieder abwärts ging. Kurzzeitig war es für die Produzenten (Miner genannt) profitabler, das Bitcoin-Cash-Netzwerk zu pflegen, als das mehr als dreimal so große Bitcoin-Netzwerk. Viele leiteten Rechenleistung um, was Bitcoin Cash nach Ethereum zur drittgrößten Kryptowährung katapultierte. Beim Bitcoin-Original warteten zwischenzeitlich über 170.000 Überweisungen auf ihre Bearbeitung. Der Kurs schwankt weiter, die Gemeinschaft ergeht sich in Schuldzuweisungen.

Ausgangspunkt des Schismas ist die Frage, wie viel Reform der Bitcoin-Programmcode verträgt, um mit der wachsenden Nutzerzahl klarzukommen, oder, wie eng sich die heutige Szene an die 2008 vorgestellte Offenbarung der Krypto-Gemeinschaft halten sollte: das „White Paper“ des ominösen Satoshi Nakamoto. In diesem hatten der oder die unbekannten Erfinder die Idee einer Internetwährung entwickelt, die unabhängig von Banken und Zentralbanken funktioniert – dank einer weltweiten, verteilten Datenbank, der Blockchain.

Die Idee war gut, das System aber ist an seine Kapazitätsgrenzen geraten: Die Blockchain speichert rund sieben Transaktionen pro Sekunde – viel zu wenig für die vielen neuen Nutzer. Teilweise dauert es Stunden, bis eine Überweisung ausgeführt wird, auch die Kosten sind gestiegen. „Tatsächlich besteht eines der Hauptprobleme des Bitcoins darin, dass er nicht richtig skaliert wird, jetzt, da immer mehr Benutzer ihn verwenden“, sagt Daniele Bianchi, Kryptowährungs-Forscherin an der britischen Elite-Universität Warwick. „Dies macht Transaktionen langsamer und langsamer, da die Blockgröße festgelegt ist.“ All das unterminiert die Vorteile gegenüber anderen Zahlungsmitteln.

Eigentlich hatte sich die Gemeinschaft bereits im Juli auf eine Lösung verständigt, die bis November umgesetzt werden sollte: eine Programmcode-Reform mit dem kryptischen Namen Segwit2x. Zahlungen werden damit zum einen effizienter gespeichert, zum anderen sollte die Größe eines Informationsblocks, in dem Transaktionen und andere Änderungen im Netzwerk gespeichert sind, von einem auf zwei Megabyte steigen. „Das ist eine große Erleichterung“, urteilte noch im Juli Ingo Fiedler, der an der Universität Hamburg zu Kryptowährungen forscht, gegenüber dem Handelsblatt. Die Gebühren sollten sinken, Überweisungen beschleunigt werden. Alles Schnee von gestern.

Segwit2x ist am Mittwoch abgesagt worden, zumindest was den wichtigeren Teil betrifft, die Erhöhung der Blockgröße. Die Reform war in der Szene extrem umstritten, ihre erzwungene Einführung hätte zu einer erneuten Spaltung des Bitcoin (einer sogenannten hard fork) führen können. Auch aufgrund dieses Widerstands haben die Macher hinter Segwit2x die Reform abgesagt. Profitiert hat davon eine Abspaltung des Bitcoins, Bitcoin Cash, gestartet am 1. August.

Dieser hat den wichtigsten Kritikpunkt aufgegriffen: Bitcoin Cash wirbt mit großen Informations-Blöcken, also mit viel Platz für neue Überweisungsaufträge: Die Blöcke sind derzeit acht Megabyte groß, könnten noch weiter erhöht werden. Wie die Branchenseite BTC-Echo meldet, senkt das die Transaktionsgebühren massiv: Bitcoin weist demnach aktuell eine durchschnittliche Transaktionsgebühr von über zehn US-Dollar auf, bei Bitcoin-Cash liegen die Kosten bei 20 Cent.


Glaubenskrieg der Gralshüter

Die Anhänger von Bitcoin Cash sehen sich als eigentliche Gralshüter der Bitcoin-Ursprungsidee Nakamotos: Ihr Lösungsvorschlag, um den Bitcoin für steigende Nutzerzahlen fit zu machen, sei einfacher und halte sich enger an das ursprünglich verkündete Ziel, ein weltweites Zahlungssystem aufzubauen. Die Anhänger des Original-Bitcoins wiederum argumentieren, dass ihre Vision sehr viel weiter reiche, die Bitcoin-Blockchain mit neuen Funktionen verbessern könnte. Die technologischen Neuerungen von Segwit2x gingen weit über eine Erhöhung der Blockgröße hinaus.

Wer von den beiden Gruppen nun Recht hat, ist für Außenstehende schwer zu durchschauen. Inzwischen ähnelt die Debatte mehr einem Glaubenskrieg, als einem rationalen Abwägen des Für und Wider. Inzwischen machen sogar Verschwörungstheorien die Runde, nach denen das Scheitern von Segwit2x ein abgekartetes Spiel gewesen sein soll, um Bitcoin Cash anzuschieben.

Im Gegenzug verweisen Bitcoin-Cash-Anhänger auf das zunehmend zentralisierte und undemokratische Bitcoin-System, ein Trend, auf den zuletzt unter anderem die Harvard-Forscherin Primavera De Filippi hingewiesen hat. Auch Daniele Bianchi von der Warwick Business School sieht die Gefahr einer „fortschreitenden Zentralisierung des Bitcoins-Abbaus in Richtung großer Server“. Dies verstoße fundamental gegen den ursprünglichen Vorschlag Nakamotos.

Egal, wie der aktuelle Zwist ausgeht, ein Opfer steht bereits fest: der Bitcoin. Denn der Bruderkrieg kommt zur Unzeit. Gerade erst hatten Spekulationen über eine bevorstehende Zulassung eines Bitcoin-Terminkontrakts (Futures) durch die größte Börse der Welt, die Chicagoer CME, für immer neue Kurs-Feuerwerke geführt.

Ein solcher würde der Kryptowährung in den Augen von Experten die Tür zum Massenmarkt öffnen. „Der Bitcoin-Future könnte sich als Scheideweg für den digitalen Taler herausstellen“, sagte Analyst Timo Emden vom Brokerhaus IG der Nachrichtenagentur Reuters. „Bei einer Zulassung wäre Bitcoin mit einem Fuß im Mainstream angekommen.“ Vermutlich würde dann schnell ein Bitcoin-Indexfonds folgen; Anträge hierfür liegen bereits bei der Finanzaufsicht in den USA und der Schweiz vor.

Und nicht nur die großen Börsen haben begonnen, sich für den Bitcoin zu interessieren. Zuletzt hatten sich auch Goldman-Sachs-Chef Lloyd Blankfein und EZB-Direktor Benoît Cœuré positiv zu Kryptowährungen geäußert: Man nehme sie ernst, so die einhellige Meinung. Auch der CEO der Citigroup, eine der vier größten US-Banken, Michael Corbat, erklärte, er sei überzeugt von den „aufkeimenden“ Technologien.

Noch vor einem Jahr schienen Kursschwankungen von bis zu 50 Prozent eher die Regel als die Ausnahme. Diese Phase schien überwunden. Sollten die derzeitigen Kursschwankungen um Tausende Dollar innerhalb weniger Stunden aber anhalten, gar eine weitere Spaltung des Bitcoin drohen, dann könnte es schnell vorbei sein mit dem vorsichtigen Optimismus. Am Wochenende musste eine der größten Krypto-Börsen, Bithump aus Seoul, den Dienst einstellen. Die Server hatten unter der Last der heftigen Kursbewegungen nachgegeben. Der Handel wurde ausgesetzt, was zu erzürnten Protesten durch Anleger führte.

Es ist alles andere als ausgemacht, dass der Bitcoin nicht erneut in ein Nischendasein stürzt, wie er es nach dem ersten Höhenflug und darauf folgendem Absturz von 2013 bis 2015 schon einmal geführt hat.

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