Ein Insider packt aus Wie in einer Drückerkolonne

An der Wall Street geht es nicht zimperlich zu. Mit fragwürdigen Methoden werden massenweise Aktien verhökert, während aus Lautsprechern Musik aus „Rocky“ läuft. Ein junger Broker berichtet über seine Erfahrungen.

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Die Junior-Broker müssen am Tag rund 500 Anrufe tätigen. Sie haben keinen Computer und müssen stehen. Quelle: AP/dpa

New York Eine Annonce im Internet brachte Nicholas Gwiazda an die Wall Street. Das Angebot: ein Posten als Junior-Broker bei John Thomas Financial. Nach einem Bewerbungsgespräch im September und einem Rundgang über die Marmorböden in den Büros der Firma, gleich gegenüber der New York Stock Exchange (NYSE), bekam der 24-Jährige die Stelle. Als Lohn stellte man ihm hunderttausende Dollar pro Jahr in Aussicht. Davon sollte der junge Mann allerdings nicht viel sehen.

Was sich wie ein Traumjob an der Wall Street anhörte, stellte sich in der Praxis eher als Drückerkolonne für Wertpapiere heraus. Gwiazda erhielt ein Telefon. Ihm wurde gesagt, er solle wildfremde Leute im ganzen Land anrufen und ihnen erklären, ein Senior-Broker werde sich in Kürze mit einer guten Investmentidee melden.

„Ganz ehrlich, das war nichts anderes als ein besseres Call-Center“, erinnert sich Gwiazda, der seinen Arbeitsplatz schon nach drei Monaten wieder verlor.

John Thomas Financial ist kein unbekannter Name. Die Firma, gegründet 2007 von Anastasios „Tommy“ Belesis,  beschäftigt ein Heer von rund 200 Brokern in einem sogenannten „Boiler Room“. Dort stehen Trainees mitunter 14 Stunden pro Tag und bellen auswendig gelernte Verkaufsmaschen ins Telefon, teils für 300 Dollar pro Woche. Belesis ist in den USA zu einer medialen Persönlichkeit geworden, etwa mit Auftritten im Wirtschafts-TV, Empfehlungen von Promis und einer Rolle in dem Film „Wall Street: Money Never Sleeps“.

Doch nun steht Belesis eher ungewollt im Rampenlicht: Die Aufsichtsbehörde Financial Industry Regulatory Authority teilte ihm im vergangenen Monat mit, dass sie womöglich ein Disziplinarverfahren gegen ihn einleiten wird. Er soll den Preis einer Aktie künstlich nach oben getrieben haben.

Die „New York Post“ schrieb, dass das FBI bereits mehrere Ex-Mitarbeiter interviewt hat. Robert Bursky, ein Anwalt der Firma, erklärte, das Unternehmen sei sauber. Es gebe keine Hinweise auf eine FBI-Untersuchung.


Hochdruck-Taktiken im Aktienverkauf

Schon seit Jahrzehnten bedienen sich die Firmen an der Wall Street ruppiger Strategien, um Aktien unters Volk zu bringen. Laut US-Börsenaufsicht Securities and Exchange Commission (SEC) beinhalten diese in aller Regel eine kleine Armee an Verkäufern, die an Telefonen sitzen, so viele fremde Leute wie möglich anrufen und diese dazu drängen, einen bestimmten Titel zu erwerben.

David Pitts, ein Sprecher von John Thomas, erklärte, die Firma sei kein „Boiler Room“. In Gesprächen mit Bloomberg News haben Gwiazda sowie 19 andere Ex-Mitarbeiter des Unternehmens allerdings das Leben bei der Firma beschrieben und dabei von Hochdruck-Taktiken im Aktienverkauf gesprochen. Die meisten wollten jedoch nicht beim Namen genannt werden.

Die Büros von John Thomas an der Wall Street sind demnach dekoriert mit einer Bullen-Statue, Großbildfernsehern und einem Automaten, der ausschließlich mit dem Energiedrink Red Bull bestückt ist. Aus Lautsprechern dringt Musik aus den „Rocky“-Filmen. Alle tragen Anzüge. Wer unrasiert ins Büro kommt, wird auf die Toilette geschickt, wo Rasierer, Parfum und Süßigkeiten gereicht werden – und zwar von einem Helfer, der eine Fliege trägt.

Die Junior-Broker müssen am Tag rund 500 Anrufe tätigen. Sie haben keinen Computer und müssen stehen. Letzteres mache sie überzeugender am Telefon, sagen die Senior-Broker. Anwalt Bursky weist diese Beschreibungen zurück.

Einige andere „Boiler Room“ haben die Grenze zum Betrug überschritten. Stratton Oakmont ist nach Angaben von US-Ermittlern eine der berüchtigtsten Firmen gewesen. Das Unternehmen habe Millionen von Dollar an illegalen Gewinnen generiert. Von den Büros in Lake Success, New York, sollen die Mitarbeiter zum Kauf so sogenannter Penny-Aktien gedrängt und deren Preise manipuliert haben. Das Unternehmen wurde 1996 von der US-Aufsicht geschlossen.

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