Die Verkaufszahlen sind beeindruckend. BMW verzeichnete im November 2015 einen neuen Absatzrekord. 197.500 Fahrzeuge der Marken BMW und Mini wurden weltweit verkauft. Es hat den Anschein, dass die Aussichten der klassischen Automobilhersteller in Takt sind. Doch am Horizont braut sich Einiges zusammen. Wo liegen die Herausforderungen und in wie weit könnte die Automobilindustrie als Ganzes bedroht sein?
Schauen wir uns den Charakter der Automobilbranche an. Seit Jahrzehnten entwickelt sich die Innovation einseitig in Richtung Elektronik. Im Vergleich zu den großen Veränderungen der letzten 20 Jahre, zum Beispiel auf dem Gebiet der Kommunikation und der Luftfahrt, hinken die Auto-Ingenieure in ihrer Bereitschaft zu radikalen Änderungen hinterher.
Zur Person
Nach einer Industriekarriere ist Elsässer seit 1998 selbständiger Value Investor und gründete vor dreizehn Jahren den Value Fonds "ME Fonds - Special Values“ (www.aqualutum.de). Elsässer wuchs in London, Hongkong und Paris auf. Nach Banklehre und Wirtschaftsstudium in Köln arbeitete er in einer Wirtschaftsprüfungs-Sozietät, als Finanzdirektor bei Dow Chemical Deutschland, in Sydney für Benckiser und in Singapur für die Storck Gruppe. Darüber hinaus arbeitete er einige Jahre eng mit dem New Yorker Investor Guy Wyser-Pratte zusammen, mit dem er unter anderem 2001 gegen den Rüstungskonzern Rheinmetall zu Felde zog. Im Jahr 2012 gründete er mit dem Profifußballer Simon Rolfes das Sport-Management Unternehmen Rolfes & Elsässer - The Career Company.
Wenn ich mit meinem Oldtimer, einem Jaguar Mark X aus dem Jahre 1959, die Lastwagen auf der Autobahn A3 im Westerwald bergan überhole, wundere ich mich immer, wie wenig sich doch im Grundsätzlichen bei den Fahrzeugen geändert hat. Nach wie vor rollen wir auf vier Gummireifen mit Kautschukelementen mit fünf Gängen daher. Dies nur als ein Beispiel. Aufgrund der enormen arbeitspolitischen Bedeutung konnte sich eine eher beharrliche Denkweise des Ingenieurwesens, sagen wir einmal „mit Scheuklappen“, entwickeln. Auffallend ist eine Technikverliebtheit bei den großen Herstellern, welche sich in ihrem Produktionsangebot immer weniger von einander unterscheiden.
Solche Anzeichen der Erstarrung einer dominanten Branche, welche nicht in der Lage ist, schnell auf große Veränderungen zu reagieren, waren immer schon Vorboten eines langsamen Abgesangs. Werfen wir einen Blick hinter die Kulissen: An den internationalen Finanzmärkten ist die Abstimmung schon längst erfolgt. Wie schätzt das Großkapital die Zukunftsperspektiven ein? Die wirtschaftlichen Erfolge der Automobilbauer finden interessanterweise keinen Anklang. Aufschluss geben die Marktkapitalisierungen der Unternehmen an den Börsen. Renault ist mit etwa 27 Milliarden Euro, BMW mit etwa 67 Milliarden Euro und Daimler mit 80 Milliarden Euro bewertet. Dagegen bringen zur gleichen Zeit Google (Alphabet) etwa 470 Milliarden Euro, Amazon circa 270 Milliarden Euro und Apple 550 Milliarden Euro auf die Waage. Die Richtung der Kapitalströme ist eindeutig. Das Votum des Kapitals ist längst gefallen.
Anders als in der Internet- und Telekom-Hausse der Jahre 1999 bis 2001 ist die reale Finanzkraft der modernen Unternehmen atemberaubend. Der Google (Alphabet) Konzern hat momentan liquide Mittel auf der Bank liegen in Höhe von 64 Milliarden Euro. In einem Kalenderjahr verdient Google über 13 Milliarden Euro nach Steuern. Innovatoren wie Google könnten sich den ganzen BMW Konzern einverleiben, ohne größere Bankgespräche führen zu müssen. Doch dies werden sie nicht tun. Für die Entwicklung neuer Mobilität-Konzepte braucht man keinen schweren Alt-Ballast. Es reichen Joint-Ventures und Know How Transfers auf Spezialgebieten. Die angekündigte Kooperation Ford mit Google geht in diese Richtung.
Die Erfolgsstory von „Tesla“
Innerhalb der Automobilindustrie sinkt der Widerstand gegen die Elektromotorentechnik. Das Klimakiller Argument mit dem hohen Anteil der Kraftfahrzeuge bei den CO2-Emissionen wiegt schwer. Die Erfolgsstory von Elektroauto-Newcomer „Tesla“ in den Vereinigten Staaten von Amerika ist für die traditionellen Autobauer irritierend, aber nicht länger zu ignorieren. Doch mit der Umstellung auf Elektroautos ist es meiner Ansicht nach nicht getan.
Sowohl die Anforderungen innerhalb der Gesellschaft als auch die Einstellung breiter Kreise der Bevölkerung werden sich hinsichtlich des Themas „Auto und Mobilität“ stark verändern. Hierzu einige Beobachtungen, die Sie vielleicht einmal überprüfen wollen: Es wächst eine Generation junger Menschen heran, die gar keinen Führerschein mehr machen wollen. Sie verlangen nach mobilen Konzepten und nicht nach einem eigenen Auto. Die Identifikation mit einem Automobil als Status- und Eigentumssymbol wird zumindest in der Masse nicht mehr greifen. Das selbstfahrende Auto der Zukunft ist ein anonymes Fortbewegungsmittel. Die Folge wird sein, dass die Marketingkonzepte der klassischen Autobauer ins Leere gehen werden. Ein Markenmotto, wie zum Beispiel „aus Freude am Fahren“ oder „Vorsprung durch Technik“, wird obsolet. In der Konsequenz ist unter Umständen der Wert einer bis heute wertvollen Automobilmarke glatt dahin.
Das weitere Anwachsen der Mega-Millionen-Städte und die teils chaotischen Verkehrsverhältnisse machen integrierte Beförderungskonzepte nötig. Stellen wir uns einmal so eine kleine Vision der Zukunft vor. Nach dem Frühstück hält ein fahrerloses Google-Auto vor ihrer Haustür. Sie haben es per Smartphone bestellt. Es bringt sie zu einem Art Magnet-Schnell-Beförderungsband, sie können bequem mehrmals synchron ohne lange Wartezeit umsteigen. Es ist ein kontinuierlicher Beförderungsfluss. An zentralen Zielen angekommen, wartet wieder ein fahrerloses Google-Automobil auf sie und bringt sie vor die Haustür ihres Ziels. Während der gesamten Fahrzeit unterhalten sie sich per Skype mit ihren Kindern im Ausland, halten eine Videokonferenz ab oder dösen vor sich hin. Mobilität wird zu einem Grundrecht, so wie Luft und Wasser.
Als ihnen jemand erzählt, dass früher zig-Millionen Menschen jeden Tag im Stau standen, eingezwängt, täglich ein bis zwei Stunden, hinter dem Steuerrad eines eigenen Autos, allein und untätig sitzend, können sie sich vor Lachen kaum noch halten. Als sie dann noch hören, dass bei der ganzen Aktion auch noch Tausende von Menschen pro Jahr ums Leben kamen, sind sie dankbar, nicht in solch einer „Hinterwäldler Zeit“ haben leben zu müssen.
Wenn ich mich nun mit den Aktien der Automobilhersteller beschäftige, muss ich immer öfter an Carl Benz denken. Als er am 29. Januar 1886 sein Patent für den ersten Motorwagen anmeldete, da boomte das Pferde-Kutschen und Pferde-Droschken-Geschäft samt einer großen Zulieferindustrie. Als Value-Investor liegt für mich „Value“ nicht nur in der Bilanz, sondern manchmal auch in der Zukunft. Mit diesem Gedanken wünsche ich Ihnen einen guten Start ins Neue Jahr 2016.
Dr. Markus Elsässer ist Gründer und berät den ME Fonds- Special Values (WKN: 663307) und den Rohstoff-Aktienfonds ME Fonds Pergamon (WKN: 593117). Diese beiden Fonds könnten Positionen in Titeln halten, die in dieser Kolumne genannt sind.
Für den Fall, dass Leser dieser Kolumne Positionen eines genannten Titels in einem Umfang erwerben, der dazu geeignet ist, den Preis des Titels zu beeinflussen, könnte der Verfasser dieser Kolumne und / oder einer beziehungsweise beide die Fonds im Falle der Veräußerung des Titels aus deren Portfolio nach einem solchen Kursanstieg vom Erwerb des Titels durch die Leser der Kolumne profitieren. Auch im Falle eines Verkaufs in einem entsprechenden Umfang durch Leser der Kolumne könnte der Verfasser dieser Kolumne und / oder einer beziehungsweise beide Fonds von fallenden Kursen durch günstigere Einstiegskurse im Falle eines späteren Kursanstiegs profitieren.