Europäische Aktien "Unterstützung der EZB verliert ihre Wirkung"

Europäische Aktien gelten dank der Zinserhöhung in den USA als attraktiv. Fondsmanager Philippe Lecoq erklärt, welche Branchen profitieren dürften. Und warum er trotzdem nur verhalten optimistisch ist. Ein Interview.

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Fondsmanager Philippe Lecoq Quelle: PR

WirtschaftsWoche Online: Herr Lecoq, viele ihrer Kollegen im Fondsmanagement dürften Sie gerade beneiden.

Philippe Lecoq: Wie kommen Sie darauf?

Europäische Aktien gelten nach der ersten Zinserhöhung in den USA seit neun Jahren jetzt als besonders attraktiv. Und Sie verwalten zwei Fonds mit Fokus auf europäische Aktien.

Ob wir deshalb zu beneiden sind? Auch in anderen Ländern gibt es spannende Konzerne mit vielversprechenden Aktien.

Zur Person_Lecoq

Nun investieren Sie in Europa. Sind sie optimistisch für ihre Aktien 2016?

Natürlich schauen wir sehr optimistisch in das neue Jahr, aber das auch mit guten Gründen: Die Europäische Zentralbank flutet mit ihrem Anleihekaufprogramm und niedrigen Leitzinsen weiter den Markt. Das Bruttoinlandsprodukt in der Eurozone wächst voraussichtlich um fast zwei Prozent - und die Europäer blicken positiv auf ihre künftige Wirtschaftskraft.

Also leichtes Spiel für Sie und alle Anleger in Europa, während Investoren in den USA oder den Schwellenländern pessimistisch auf die Börsen blicken?

Auf keinen Fall, wir müssen auch hierzulande Vorsicht walten lassen. Schon 2015 war ein sehr gutes Jahr in Europa, damit haben wir jetzt vier Jahre positive Entwicklung an den europäischen Aktienmärkten in Folge. Trotz ausbleibender Gewinnzuwächse in den Konzernen haben Investoren ihren Ausblick immer wieder nach oben angepasst. Und das, obwohl die positiven Signale ausschließlich von der europäischen Zentralbank kamen. Diese Phase könnte nun zum Ende kommen.

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Europäische Aktien sind im Schnitt dennoch weiterhin deutlich günstiger bewertet als US-Papiere.

Natürlich. Aber mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von aktuell 18 empfinden wir auch die europäischen Bewertungen als relativ hoch. Wir warten darauf, dass die Nettogewinne der Konzerne 2016 steigen und den Aktien einen neuen Schub geben. Dann würden sie auch die hohen Kurse wieder in ein angemesseneres Verhältnis setzen.

Ansonsten können sich Anleger doch in bewährter Manier auf die nötige Unterstützung von Mario Draghi und der Europäischen Zentralbank (EZB) verlassen.

Vielleicht. Aber ich denke, dass die Maßnahmen der EZB langsam ihre unterstützende Wirkung verlieren. Der Markt lässt sich doch kaum noch zufrieden stellen. Wie im Dezember, als Draghi zwar den Einlagenzins auf minus 0,3 Prozent senkte und das Anleihekaufprogramm ausweitete. Anschließend rutschten die Kurse dennoch ab.

Fühlen sich die Investoren von Draghi verschaukelt? Schließlich hatte er zum Jahresende Aussicht auf starke Unterstützung gegeben.

Vielleicht hat der Markt einfach zu viel erwartet. Und eingepreist sind die Maßnahmen der EZB ohnehin schon. Der Spielraum, Investoren zu überraschen, dürfte langsam gegen Null gehen.

"Konzerne sind auf Anstieg der Inflation angewiesen"

Abgesehen von der Unterstützung für die Aktienkurse, funktionieren die Interventionen der EZB?

Die Auswirkungen auf den Markt sind noch nicht klar absehbar. Was wir sehen, sind enorme Neuinvestitionen der Unternehmen. Das Kapital dafür besorgen sie sich aber über den Anleihemarkt, über den sie sich dank des niedrigen Zinsniveaus finanzieren können. In der Kreditwirtschaft sehen wir immer noch keine Erholung.

Die Inflationsrate ließ sich von den Maßnahmen der EZB nicht beeindrucken und lag im EU-Durchschnitt weiterhin nahe der Nullgrenze.

Wir brauchen dringend einen Anstieg der Inflationsrate. Ohne Inflation werden wir keinen Anstieg der Konzerngewinne sehen. Hier scheiterten bislang alle Versuche der EZB, den europäischen Markt wieder in geordnete Bahnen zu lenken.

Die Schätzungen die Inflationsrate innerhalb der Eurozone für 2016 liegen bei 1,2 Prozent. Stimmen Sie überein?

Ich bin kein Ökonom, aber diese Größenordnung halte ich für realistisch.

Was hat im letzten Jahr denn die Kurse der europäischen Konzerne getrieben?

Zuletzt spielten vor allem die günstigen Rohstoffpreise eine Rolle, die die Einkaufskosten der Konzerne enorm reduziert haben dürften. Darauf hat die EZB natürlich keinen Einfluss. Aber dieser externe Effekt traf eben für Unternehmen günstig zusammen mit dem geschwächten Euro.

Und Anleger können sich darauf verlassen, dass dieser Effekt auch 2016 das Geschäft ihrer Konzerne ankurbeln wird?

Ob diese Kombination von billigen Rohstoffen und schwachem Euro so anhält, vermag ich nicht einzuschätzen. Aber ich glaube, dass es schwierig sein wird, die Margen gegenüber dem Vorjahr noch weiter auszubauen. Wie gesagt, wir sind verhalten optimistisch für die Euro-Aktien. Das Gewinnwachstum muss aus höheren Umsätzen kommen, ob nun durch Preiserhöhungen oder mehr verkaufte Stückzahlen.

In ihren Fonds machen Konsumgüter große Anteile an den Gesamtinvestitionen aus. Ist es vor allem die Nachfrage der Konsumenten, die derzeit für Wachstum sorgt?

Ich vermute schon. Unser Ansatz ist aber nicht, für die Fonds nach bestimmten Sektoren zu suchen und dort gebündelt zu investieren. Wir suchen gezielt attraktive Einzelaktien mit guten Bilanzen und soliden Geldströmen.

Aber Sie finden gerade viele solcher Konzerne im Konsumsektor.

Natürlich. Dass wir viele Aktien aus diesem Sektor halten, zeigt ja, woher die Nachfrage auf dem Markt kommt. 2015 entwickelten sich diese Aktien auch sehr gut. Und wenn wir Konzerne wie den französischen Medien- und Unterhaltungskonzern Vivendi betrachten, bietet er uns auch eine sehr attraktive Dividendenrendite von gut fünf Prozent.

"VW-Skandal könnte auch BMW treffen"

Welche Unternehmen finden Sie darüber hinaus spannend?

Der Autosektor lief in Europa sehr gut, weil die Nachfrage bei den Kunden wieder anzog. Wir haben insbesondere auf Peugeot und Daimler gesetzt.

Schauen sie bewusst darauf, ob Konzerne wenig Geschäft in China machen, wo die Nachfrage zurückgeht?

Ja, wir investieren insbesondere in Konzerne, die ihre Geschäfte auf dem europäischen Markt machen. Nehmen Sie die Autoindustrie: Hier lag das europäische Wachstum in den vergangenen Jahren noch zurück und hatte sich anders als etwa der US-Markt noch nicht vom Krisenniveau erholt.

Haben Sie nach dem Abgasskandal günstig Volkswagen-Aktien gekauft?

Nein. Wir hatten vor einiger Zeit mal eine VW-Position im Fonds. Aber derzeit sind wir nicht investiert.

Befürchten Sie noch Ansteckungsgefahr für ihre Positionen Peugeot und Daimler durch den VW-Skandal?

Die Schäden für VW durch den Abgasskandal haben wir nicht abgeschätzt, weil wir im Moment keine VW-Position im Fonds halten. Ich beobachte allerdings, was die Finanzanalysten schreiben und gehe nicht davon aus, dass dieser Skandal negative Auswirkungen auf andere Autohersteller haben dürfte.

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Im August sind aber auch BMW und Daimler stärker abgestürzt.

Wir haben kurzfristig Panikreaktionen gesehen. Aber das sollte ausgestanden sein. Wenn überhaupt könnte BMW langfristig stärker durch den Skandal betroffen sein als Daimler. Denn BMW ist abhängiger von den Diesel-Motoren.

Welche Auswirkungen hat der wirtschaftliche Abschwung in China auf den europäischen Markt?

Natürlich sind die Autohersteller von einem signifikanten Rückgang der Verkäufe dort betroffen. Abgesehen davon erwarten wir insbesondere im Luxussektor sinkende Umsätze in China: Darunter dürften Konzerne wie LVMH oder Kering leiden.

Hilft europäischen Konzernen der schwache Euro den fehlenden Wachstumsschub in China auszugleichen?

Der Euro ist im Moment schwach, keine Frage. Aber die Währungen in anderen Absatzländern europäischer Konzerne sind auch gesunken, so dass dort ebenfalls weniger Kaufkraft besteht. Also dürfen wir den billigen Euro nicht nur als positives Signal für die Absätze in Schwellenländern sehen. Nur Konzerne, die viel Umsatz in den USA erbringen, oder die in Märkten operieren, wo sie mit dem starken Dollar höhere Einnahmen generieren, dürften profitieren.

Welche sind das?

Etwa die Luftfahrtbranche. Spannend finden wir auch den Gesundheits- und Pharmasektor, denn dort sind die USA ein entscheidender Absatzmarkt.

"Ölkonzerne kommen nicht ohne Dividendenkürzung aus"

Erwarten Sie in diesen Branchen auch besonders starke Dividendenrenditen für 2016?

Nein, da gibt es andere Branchen: Versicherer überraschten im vergangenen Jahr schon positiv mit ihren Dividenden, nehmen wir etwa die Allianz oder Axa. Die Versicherer dürften auch 2016 hohe Beträge an Anleger ausschütten.

Was überzeugt Sie?

Die Finanzkraft der Konzerne ist sehr gut, sie leiden weniger unter dem Druck der Regulierungsbehörden. Denn Banken stehen nach der Finanzkrise noch immer unter dem Druck. Die Versicherer nicht mehr, viele haben jetzt solide Eigenkapitalquoten. Und vor allem in Frankreich gab es 2015 eine enorm hohe Nachfrage nach Lebensversicherungsprodukten, die den Kunden noch sichere Zinsen versprechen.

Sie glauben nicht, dass die Lebensversicherer langfristig durch das das Niedrigzinsumfeld mit ihrem Kerngeschäft enorm unter Druck geraten?

Wenn die Leitzinsen in den negativen Bereich fallen, dann werden auch Konzerne wie die Allianz in Schwierigkeiten geraten. Aber das entspricht nicht unserem Szenario. Wir erwarten in den kommenden Jahren eher einen langsamen Anstieg der Zinsen. Das dürfte das wahrscheinlichste Szenario sein - und sich dann insbesondere wieder sehr positiv auf die Versicherer auswirken.

Wo sehen Sie derzeit die größten Risiken auf dem europäischen Markt?

Bislang waren Ölkonzerne immer verlässliche Aktien mit hoher Dividendenrendite. Aber wir gehen davon aus, dass Unternehmen wie Shell oder BP bald ihre Dividenden kürzen. Einen signifikanten Anstieg des Ölpreises sehen wir derzeit nicht.

Aktuell liegt die Dividendenrendite von Shell bei acht Prozent, wenn der Konzern an der Höhe der bisherigen Ausschüttungen festhält.

Durch die gesunkenen Aktienkurse erwarten wir zunächst enorm hohe Dividendenrenditen. Ob Shell und BP diese aber auch tatsächlich erfüllen können, bleibt die Frage. Sie dürften zunächst versuchen, ihre Investitionen zu reduzieren oder Anlagen zu verkaufen um Anleger nicht weiter zu verschrecken, in dem sie die Dividenden kürzen.

Aber ich glaube nicht, dass sie langfristig ohne eine Kürzung auskommen werden. Ihre Geldströme sind zu stark unter Druck, weshalb wir in dem Sektor sehr vorsichtig geworden sind und unsere Positionen reduziert haben.

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