Zwei Wochen vor dem Beginn der ersten Sommerferien hat der Ölpreis abermals die 50-Dollar-Marke geknackt - und diesmal könnte er sich dort vielleicht etwas länger halten als nur wenige Stunden. Nach zwei starken Handelstagen kostete ein Barrel (159 Liter) der Nordsee-Sorte Brent im Laufe der Woche zeitweise mehr als 52 Dollar. Als Ursache für den Preisanstieg machten Ölhändler den schwächelnden Dollarkurs aus sowie Produktionsausfälle in Venezuela, Nigeria und Kanada.
Meilensteine der Ölpreisentwicklung
Die ersten gewinnbringenden Erdölbohrungen finden Mitte des 19. Jahrhunderts statt. In dieser Zeit entstehen auch die ersten Raffinerien. Bis 1864 steigt der Ölpreis auf den Höchststand von 8,06 Dollar pro Barrel (159 Liter); inflationsbereinigt müssen damals im Jahresdurchschnitt 128,17 US-Dollar gezahlt werden. In den folgenden Jahrzehnten bleibt der Preis auf einem vergleichsweise niedrigen Level, fällt mitunter sogar, bedingt etwa durch den Erfolg der elektrischen Glühlampe, durch die Öl im privaten Haushalt nicht mehr zur Beleuchtung nötig ist.
Mit dem Erfolg des Automobils zu Beginn des 20. Jahrhunderts steigt die Öl-Nachfrage rasant; speziell in den USA, wo der Ford Modell T zum Massenprodukt wird. 1929 fahren insgesamt 23 Millionen Kraftfahrzeuge auf den Straßen. Der Verbrauch liegt 1929 in den Staaten bei 2,58 Millionen Fass pro Tag, 85 Prozent davon für Benzin und Heizöl. Die Preise bleiben allerdings weiter unter fünf Dollar pro Fass (nicht inflationsbereinigt), da auch mehr gefördert wird.
In den 30er Jahren kommt die Große Depression, die Unternehmenszusammenbrüche, Massenarbeitslosigkeit, Deflation und einen massiven Rückgang des Handels durch protektionistische Maßnahmen zur Folge hat. Während der Weltwirtschaftskrise verringert sich die Nachfrage nach Erdöl und der Preis sinkt auf ein historisches Tief. 1931 müssen bloß noch 0,65 Dollar pro Barrel gezahlt werden (inflationsbereinigt etwa zehn US-Dollar). So billig sollte das schwarze Gold nie wieder sei.
Nachdem sich die Weltkonjunktur erholt hat, steigt der Preise für Öl wieder, bleibt aber konstant unter fünf Dollar pro Barrel. Für die Jahre zwischen dem Ersten Weltkrieg und der Ölkrise im Herbst 1973 spricht man deshalb vom „goldenen Zeitalter“ des billigen Öls.
In den 70er und 80er Jahren kommt der Ölpreis in Bewegung. Als die Organisation der erdölexportierenden Länder (Opec) nach dem Krieg zwischen Israel und den arabischen Nachbarn im Herbst 1973 die Fördermengen drosselt, um politischen Druck auszuüben, vervierfacht sich der Weltölpreis binnen kürzester Zeit. Zum Ende des Jahres 1974 kostet ein Barrel über elf Dollar (inflationsbereinigt fast 55 US-Dollar). Dies bekommen auch Otto-Normal-Bürger zu spüren: In Deutschland bleiben sonntags die Autobahnen leer, in den USA bilden sich Schlangen vor den Tankstellen.
Während der zweiten Ölkrise in den Jahren 1979/1980 zieht der Ölpreis nach einem kurzfristigen Rückgang weiter an. Ausgelöst wird dies im Wesentlichen durch Förderungsausfälle und Verunsicherung nach der Islamischen Revolution. Nach dem Angriff Iraks auf Iran und dem Beginn des Ersten Golfkrieg explodieren die Preise regelrecht. Auf dem Höhepunkt im April 1980 kostet ein Barrel 39,50 Dollar (inflationsbereinigt 116 Dollar).
Die 80er und 90er Jahre sind – abgesehen von dem kurzzeitigen Anstieg verursacht durch den Zweiten Golfkrieg – eine Phase niedriger Ölpreise. Die Industriestaaten befinden sich in einer Rezession und suchten aufgrund vorhergehenden Ölkrisen mit besonders hohen Preisen nach alternativen Energiequellen. Weltweit gibt es Überkapazitäten. Während der Asienkrise 1997/1998 sinkt die Nachfrage weiter. Ende des Jahres 1998 werden 10,65 Dollar pro Barrel verlangt.
Nach Überwindung der Krise wachsen die Weltwirtschaft und damit auch der Ölbedarf schnell. Selbst die Anschläge auf das World Trade Center 2001 sorgen nur für einen kurzen Rücksetzer. Anfang 2008 steigt der Ölpreis erstmals über 100 US-Dollar je Barrel, Mitte des Jahres sogar fast auf 150 Dollar. Ein Grund für den Preisanstieg wist der Boom des rohstoffhungrigen China, mittlerweile zweitgrößter Verbraucher der Welt.
Die globale Finanzkrise und eine schwächelnde Konjunktur sorgen für einen Rückgang der Nachfrage. Gleichzeitig bleibt das Angebot durch die massive Förderung in den USA (Fracking) hoch. Die Folge: Der Ölpreis bricht ein. Ab Sommer 2014 rutscht der Preis für Brentöl innerhalb weniger Monate um rund 50 Prozent auf 50 Dollar. Erst im Februar 2015 erholte sich der Ölpreis leicht und schwankt um die 60 Dollar je Barrel.
Im Mai 2015 hatten sich die Ölpreise zwischenzeitlich erholt. Die Sorte Brent erreichte mit einem Preis von 68 US-Dollar je Barrel ein Jahreshoch. Von da aus ging es bis September des Jahres wieder steil bergab auf 43 Dollar. Nach einer Stabilisierung zwischen September und November nahm der Ölpreis seine wieder Talfahrt auf. Am 15. Januar hat der Ölpreis die 30-Dollar-Marke unterschritten.
Schon im Mai war Öl mit einem Durchschnittspreis von 47,74 Dollar je Barrel viel teurer als im Januar, als der Preis sogar unter 30 Dollar fiel. Das war der tiefste Stand seit einer Dekade. Seitdem ging es stetig aufwärts; allein von April auf Mai verteuerte sich Öl um mehr als zehn Prozent. Von einem nachhaltigen Trend mögen die vorsichtigen Forscher vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) dennoch nicht sprechen. „Das waren zum Teil auch besondere Einflüsse“, sagt HWWI-Energieexperte Leon Leschus. So wüteten in Kanada wochenlang schwere Waldbrände und brachten die Ölförderung oder den Transport stellenweise zum Erliegen.
Die Verbraucher in Deutschland spüren den Preisanstieg an der Tankstelle oder beim Heizölkauf. Ölprodukte haben sich seit Januar verteuert, aber sie sind immer noch günstiger als vor einem Jahr. So kosten 100 Liter Heizöl in dieser Woche gut 52 Euro (bei Abnahme von 3000 Litern, inkl. MwSt). Vor einem Jahr war die gleiche Menge elf Euro teurer. Ähnlich ist es beim Benzin: Der aktuelle Preis für einen Liter Super E10 beträgt im bundesdeutschen Durchschnitt ungefähr 1,32 Euro; vor einem Jahr waren es noch 1,44 Euro je Liter.
„Niemand kann genau vorhersagen, wie die Preise in einigen Wochen zum Sommerferienstart sein werden“, sagt Alexander von Gersdorff vom Mineralölwirtschaftsverband (MWV) in Berlin. „Im langjährigen Durchschnitt befinden sich die Preise weiterhin auf vergleichsweise niedrigem Niveau.“ Auch während der Ferien könnten die Preise sinken. „Der globale Benzin- und Dieselmarkt richtet sich nicht nach den Urlaubszeiten einiger deutscher Bundesländer, sondern nach den weltweiten Angebots- und Nachfragebedingungen auf der Produktmärkten.“
Doch wie geht es weiter auf dem Ölmarkt? Die Gemeinde der Experten ist gespalten. Die einen verweisen auf diverse Risiken: In Nigeria wurde die Ölförderung wegen Unruhen zurückgefahren und die Förderleistung erreichte den niedrigsten Stand seit 22 Jahren. Venezuela versinkt in wirtschaftlichem Chaos und schafft es nicht mehr, sein Öl aus dem Boden zu holen. Und die Ölförderer in den USA ziehen sich nach und nach zurück, weil sie mit weit höheren Preisen kalkuliert hatten und finanziell nicht mehr durchhalten. Dazu komme eine wieder steigende Ölnachfrage aus China.
Auf der anderen Seite steht das Lager der Ökonomen, die damit rechnen, dass sich die Ölpreise wieder zurückbilden. Sie verweisen auf die Förderung aus dem Iran nach dem Ende der Sanktionen. Das bringt allein zusätzliche 3,7 Millionen Barrel pro Tag zusätzlich auf der Angebotsseite. Zudem bleibt die Opec bei ihrer teuren Strategie, die Förderung nicht zu drosseln, sondern die Wettbewerber über den Preise niederzukonkurrieren. Damit bleibt tendenziell das Überangebot auf dem Weltmarkt bestehen.
„Es gibt noch eine dritte Möglichkeit: Dass sich der Ölpreis noch einige Zeit ungefähr auf dem aktuellen Niveau hält“, sagt HWWI-Forscher Leschus. Er glaubt: Der Ölpreis ist durch die Ölförderung der USA quasi gedeckelt. Sobald der Preis steigt, weiten die US-Förderer ihre Produktion aus - und dämpfen so den Preis wieder. So halten die USA den Ölpreis dauerhaft im Zaum.