Finanzbranche und Bitcoin „Die Banken werden umgekrempelt wie die Autoindustrie“

Der Bitcoin krempelt die Finanzbranche um wie der Elektromotor die Autoindustrie, glaubt Philipp Sandner. Der Professor der Frankfurt School erklärt, welche Bank-Jobs überflüssig werden – und wo die Technik scheitert.

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Bitcoin: Die Kryptowährung krempelt die Finanzbranche komplett um Quelle: picture alliance / Michael Grube

Düsseldorf Der Bitcoin ist da. Und er geht, aller Unkenrufe zum Trotz, so schnell nicht wieder weg. Die Finanzindustrie hat den Aufstieg des Bitcoin und der anderen Digitalwährungen so lange ignoriert, bis es nicht mehr ging. Mit Goldman Sachs hat nun die erste große Privatbank die Kryptowährungen als Thema entdeckt – und gleich eine Preisprognose veröffentlicht. Einer, der sich schon seit Jahren mit der Thematik beschäftigt, ist Philipp Sandner. Der Professor für Digitalwirtschaft und Betriebswirtschaftslehre leitet das im Februar 2017 gegründete Blockchain Center der Frankfurt School of Finance and Management. Im Handelsblatt-Interview erklärt Sandner, warum Preisprognosen beim Bitcoin unseriös sind. Er stellt klar: Die digitalen Münzen werden die Finanzbranche umkrempeln – und Banker sollten besser heute als morgen Programmieren lernen.

Herr Professor Sandner, vor einem Jahr kostete ein Bitcoin 500 Euro. Heute liegt er bei 3.750 Euro. Wie viel ist ein Bitcoin in zehn Jahren Wert?
Auch wenn viel darüber spekuliert wird: Meiner Meinung nach ist es nicht möglich, den Bitcoin-Preis vorherzusagen. Der Bitcoin zählt zu einer ganz neuen Kategorie von Finanzprodukten. Valide Bewertungsverfahren gibt es schlicht noch nicht. Das macht es ja auch so schwierig für Regulierungsbehörden, aber auch für Banken und Analysten, mit dem Bitcoin umzugehen. Meist behilft man sich mit Analogien.

Manche Leute sagen, der Bitcoin ist eine neue digitale Weltwährung, ein Zahlungssystem. Andere sehen in ihm eine Fintech-Firma, eine Art Finanz-Start-up. Wieder andere bezeichnen ihn als eine Art Rohstoff, wie etwa Gold. Je nachdem mit welcher Analogie man startet, landet man in zehn Jahren bei einem Wert zwischen null und 100.000 Euro. Da ist alles dabei, was natürlich auch an dem aktuellen Hype liegt. Mag sein, dass die Kursblase platzt – dass der Bitcoin wieder verschwindet, glaube ich aber persönlich nicht. Das Thema Kryptowährung und Blockchain...

... die Technik, auf der die digitalen Währungen basieren, eine verteilte, transparente Datenbank...
... ist in der Welt. Das Thema wird weiter wachsen, und es wird die Geschäftsprozesse fast aller Branchen und die Art, wie wir mit Finanzen umgehen, verändern.

Ist das nicht ein wenig zu hoch gegriffen? Eine Zentralbank, die für die Stabilität der Währung garantieren würde, gibt es nicht. Regelmäßig machen Berichte über Spaltungen und Streit in der Kryptowährungs-Community die Runde. All das wirkt auf Anleger eher abschreckend.
Es stimmt schon, das Thema wirkt auf Außenstehende obskur. Die Kryptowährungen zu durchdringen, ist schwieriger, als den Immobilienmarkt zu verstehen. Häuser kann man anfassen, der Bitcoin ist ein immaterielles Gut, das für die Menschen schwer zu greifen ist. Die Folge ist erst einmal Desinteresse, und daher braucht eine Innovation wie die Bitcoin-Technologie acht bis neun Jahre Zeit, bis sie so langsam in den Köpfen angekommen ist.

Der Bitcoin ist nur digital und virtuell. Wie können Kryptowährungen dann überhaupt einen inhärenten Wert haben, Dollar, Euro und Gold ersetzen?
Zunächst einmal: Das Wort Kryptowährung hat sich etabliert, aber es führt eigentlich in die falsche Richtung. In meinen Augen gibt es zwar Währungsansätze im Krypto-Bereich, aber beim Bitcoin trifft der Vergleich mit einem Rohstoff wie Gold besser die Realität. Schon allein, weil Gold auch knapp ist. Der Bitcoin ist eher digitales Gold als eine Art digitaler Dollar. Daher können ,Krypto Assets', wie man die digitalen Währungen eigentlich nennen sollte, tatsächlich einen inhärenten Wert aufweisen. Denn: Alles, was knapp ist, kann einen Wert haben. Eigentlich ist ja Gold auch nichts anderes als ein glänzender Stein. Wir Menschen sind nur seit Jahrtausenden so sozialisiert, dass uns dieser Stein wertvoll erscheint. Und auch beim Bitcoin haben wir ein knappes Gut. Seine Anzahl ist aufgrund seiner Programmierung auf 21 Millionen Stück begrenzt. So lange genug Leute an dieses System glauben, investieren sie und hoffen auf künftige Wertsteigerungen.

Die nackte Lust an der Spekulation treibt also den Wert?
Nicht nur. Lange war der Bitcoin nur Insidern bekannt, nun wird er populär, weil er handfeste Vorteile hat. Der Bitcoin macht gerade internationale Zahlungen schneller und günstiger. Hinzu kommt, dass er sich in den letzten neun Jahren substanziell kaum verändert hat. Er funktioniert recht einfach.

Das müssen Sie erklären.
Die Bitcoin-Blockchain gibt es seit neun Jahren. Die IT-Architektur ist also sicher und wickelt seitdem Transaktionen sicher ab. Das ist ein Unikum. Wir kennen kein technisches Gerät, kein Handy, keinen Computer, das neun Jahre ohne Aussetzer funktioniert, nie gehackt wurde. Es stimmt: einzelne Eintrittspunkte, Bitcoin-Wechselbörsen, wurden gehackt. Und dabei sind auch dreistellige Millionenbeträge abhanden gekommen. Aber die Blockchain, der Kern der Technologie, ist sicher und hat sich bewährt.

Wenn alles so gut funktioniert, wie Sie sagen, dann braucht der Bitcoin also keinerlei staatliche Aufsicht?
Doch! Lange war es in Ordnung, dass sich die Regulierer zurückgehalten haben. Lange haben sich ja auch nur Experten mit dem Thema beschäftigt. Die wussten, dass ihr Geld im Augenblick des Investments auch weg sein konnte, weil es hochgradig spekulativ ist. Aber heute beginnen Privatleute und Anfänger zu investieren. Da kann der Bedarf wachsen, dass Anleger geschützt werden. Jede Aufsichtsbehörde muss aber über die Grenzen des eigenen Landes hinausschauen. Wir müssen bei der Regulierung behutsam vorgehen, da wir sonst Innovationen vertreiben. Schon jetzt siedeln Finanz-Start-ups von Berlin in die Schweiz über, weil man dort eine konstruktivere Regulierungslandschaft entwickelt hat. Ein solches Vorgehen mit Augenmaß muss es in Zukunft auch hierzulande geben. Die Bundesbank und die Bafin [Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, d.Red.] haben sich bereits geäußert, aber möglicherweise wäre noch mehr Klarheit wertvoll.


Welche Banker künftig überflüssig werden

Lassen Sie uns über die Folgen für die Finanzindustrie sprechen. Die US-Investmentbank Goldman Sachs hat kürzlich die erste Analyse zur Entwicklung des Bitcoin-Preises veröffentlicht. Lange haben die Privatbanken das Thema mit spitzen Fingern angefasst. Warum?
Das Thema Kryptowährungen und Blockchain kam aus dem Nichts. Die Banken haben es lange ignoriert, auch weil es aus den IT-Abteilungen an das Management herangetragen wurde. Und da sitzen bekanntlich vor allem Betriebswirte. Da war teils fehlendes Verständnis für IT und Digitalisierung am Werk und fehlender Mut. Große Firmen sind schwerfällige Tanker. Das ist ein typisches Problem der Innovationsforschung, dass man nicht über den Tellerrand schaut. Neue Entwicklungen werden so lange belächelt, bis man sie nicht mehr ignorieren kann. Und dann wird man kalt überrascht. Schauen Sie sich das Beispiel der deutschen Autoindustrie an: Sie hat das Thema Elektromobilität so lange weitestgehend ignoriert, bis es nicht mehr ging. Jetzt muss sie umso schneller gegenlenken. Der Blockchain-Technologie wird die Finanzbranche umkrempeln wie der Elektroantrieb die Autoindustrie.

Dabei gibt es natürlich auch in Deutschland Banken, die sich früher als andere mit dem Thema beschäftigen. Bei der Commerzbank bearbeiten Dutzende Leute das Thema, da tut sich was. Auch wenn man sagen muss, dass andere Länder, Südkorea, USA, Schweiz, da schon weiter sind. Mit Bitcoin und Blockchain sollten sich Finanzinstitute und Finanzabteilungen großer Konzerne schon allein deshalb auseinandersetzen, weil sich ganz neue Chancen ergeben – aber auch große Risiken für das alte Geschäftsmodell.

Über welche Risiken sprechen wir hier?
Der Bitcoin führt zur umfassenden Digitalisierung der Verwaltung. Buchungsprozesse, die Prüfung von Eigentumsverhältnissen, die klassische Sachbearbeitung – all' das könnte durch die Blockchain-Technologie digitalisiert werden. Das wird mittelfristig auch negative Folgen haben für die Angestellten in den verwaltenden Abteilungen.

Habe ich Sie richtig verstanden, Sie sagen, die Sachbearbeiter-Ebene wird überflüssig?

So pauschal kann man das nicht sagen, aber ich glaube, dass sehr viele Prozesse wenn nicht morgen, dann übermorgen von einer verlässlichen IT-Datenbank erledigt werden könnten. Und das betrifft nicht nur Banken, Versicherer und die Finanzabteilungen der Konzerne, sondern auch die staatliche Verwaltung. Die Blockchain-Technologie hilft hier dann, Kosten und damit Preise zu senken. Im Finanzsektor sind hier sicher viele Jobs bedroht, da hier zahlreiche Prozesse durch IT erledigt werden könnten.

Aber die meisten Banken haben die Herausforderung doch erkannt, modernisieren ihre IT und stellen sich digital auf?
Auf den ersten Blick tun die Banken tatsächlich sehr viel im Bereich Digitalisierung. Jede zweite Bank hat einen Inkubator gegründet, ein Start-up-Büro für frische, digitale Ideen. Ich habe aber den Eindruck, dass da allzu oft nur Vertriebsthemen angegangen werden: Entwickelt werden neue Banking-Apps, Versicherungen für Freundeskreise, Gutschein-Programme. Die Kerntätigkeit sollte aber auch Gegenstand der digitalen Transformation sein.

Ein Beispiel bitte.
Ein gutes Beispiel ist die neue Kooperation von Daimler und der Landesbank Baden-Württemberg. Daimler nutzt wie viele Konzerne zur Fremdkapitalfinanzierung Schuldscheindarlehen. Bisher ist deren Ausgabe und Verwaltung ein Papierapparat ohne Ende, vor allem, wenn sich die Eigentumsrechte an den gestückelten Darlehen verändern. Die LBBW hat nun erstmals mit Daimler ein Schuldscheindarlehen mit einer eigenen Blockchain abgewickelt, mit einem Volumen von 100 Millionen Euro. Ich finde es bemerkenswert, dass hier eine – entschuldigen Sie – spröde Landesbank, die eigentlich nicht für Innovationen bekannt ist, ganz vorne in der deutschen Finanzwelt operiert. Man fragt sich, warum solche Pilotprojekte nicht auch von anderen Größen der Branche vorangetrieben wird.

Damit verändert nicht der Bitcoin die Finanzwelt, sondern die Blockchain, die verteilte, fälschungssichere Datenbank?
Beide hängen zusammen. Der Bitcoin und andere Kryptowährungen werden die Welt verändern. Aber weitaus mächtiger ist die Technologie im Hintergrund. Sie kann etwa dabei mithelfen, den Immobilienmarkt eines Landes zu öffnen. Bisher investieren oft Investmentfonds und milliardenschwere Anleger aus der arabischen Welt, Russland und China grenzüberschreitend in Immobilien. Aber mit einer Kryptowährung wäre es möglich, dass sich viele kleine Investoren zusammentun und etwa hier in Deutschland in eine Immobilie investieren. Sie könnten die Finanzierungsrunde in einer Kryptowährung organisieren, sich Anteile kaufen und das Geld so auch nach Deutschland transferieren. Aktuell ist der Verwaltungsaufwand viel zu hoch und zu teuer, damit etwa ein südkoreanischer Anleger auf dem deutschen Immobilienmarkt investieren könnten. Mit Kryptowährungen und der Blockchain-Technik wäre dies möglich.


Programmierende Betriebswirte, persönliche Kundenberatung

Was bedeutet die Entwicklung denn konkret für die Menschen, die im Finanzsektor arbeiten? Seit 2000 ist hier in Deutschland jede fünfte Stelle weggefallen. Kommt jetzt der nächste Jobabbau?

Das alles ist nicht allein durch die Blockchain-Technologie getrieben, sondern auch durch andere Entwicklungen wie Automatisierung, Datenanalytik oder künstliche Intelligenz. Es gibt zwei Entwicklungen: In den Banken und Versicherungen werden aufgrund der Blockchain-Technologie viele Stellen wegfallen. Das will niemand, aber man wird nicht darum herum kommen. Dafür werden Tausende Stellen neu geschaffen. Diese haben aber eine andere Struktur. Finanz-Jobs werden ohne IT-Kenntnisse nicht mehr auskommen. Ich sage meinen Studierenden: Wer übermorgen in der Branche arbeiten will, muss heute IT-Kenntnisse erwerben. In unserem Masterprogramm gehören heute Programmiersprachen zum Pflichtteil. Auch das althergebrachte BWL-Studium wird quasi digitalisiert.

Moment! Als Bankangestellter muss ich in Zukunft programmieren können?
Das ginge zu weit. Aber ich muss mehr von der digitalen Welt verstehen, muss Spezifikationen lesen können und wissen, wie IT-Systeme funktionieren. Das wird auch für das Marketing wichtig, für die Datenanalyse und den Vertrieb. Letztlich ist Datenanalytik und zahlenbasiertes Online-Marketing auch eine Art von IT.

Top-Banker sagen, die persönliche Beratung ist und bleibt wichtig. Es macht einen Unterschied, ob ich meinen Osterurlaub plane oder meinen Ruhestand. Kann ein Roboter wirklich meinen Bankberater ersetzen?
In der Theorie schon. Aber ich würde zustimmen: Es kommt auf die Transaktionssummen an. Wenn ich meine Altersvorsorge oder einen Hauskauf plane, dann möchte ich das mit einem erfahrenen Banker machen, nicht anonym über ein Computerprogramm. Und wenn ich 20.000 Euro angespart habe, würde ich das eher zur Sparkasse tragen, als bei einem Fintech-Start-up zu platzieren. Weil ich das Gefühl hätte, dass mein Geld bei den etablierten Institutionen besser aufgehoben ist. Aber die Frage ist eben, ob das so bleibt, und ob irgendwann auch größere Summen digital angelegt werden. Ich glaube, das dauert vielleicht noch 20 Jahre.

Und dann? Hat die Blockchain dann die Hausbank ersetzt – oder hat sich diese die neue Technik zunutze gemacht?
Banken, Versicherungen und Börsen werden auf keinen Fall überflüssig. Wir brauchen sie, zur Aufbewahrung von Werten, für Aufgaben wie Baufinanzierung, Altersvorsorge, Unternehmenstransaktionen, Unternehmensfinanzierung. Banken bleiben. Aber ich glaube, dass in 20 Jahren diejenigen Banken die Führenden sind, die sich schon heute der Digitalisierung mit voller Intensität widmen. Die Entwicklung geht gerade erst los. In einigen Jahren könnte zum Beispiel auch der Notar, der eine Immobilientransaktion besiegelt, durch eine Blockchain ersetzt werden. Alte Regime sind durch Regulierung geschützt, klar, aber die Technologie ist meines Erachtens kaum aufzuhalten.

Sobald die ersten Banken einsteigen: Ist dann die libertäre Vision eines von Staat und Finanzsystem unabhängigen Weltgeldes gestorben?
An diese Idee habe ich noch nie geglaubt. Auch, weil die ultimative Instanz immer noch der Staat ist mit seinen Behörden und Notenbanken. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Staaten eine völlig unkontrollierte digitale Währung dauerhaft tolerieren würden. Hier wird man regulierend eingreifen; aber gute Konzepte von Kryptowährungen bleiben bestehen, andere werden verschwinden. Ähnliches kann auch für Banken gelten. Das Zögern ist meiner Meinung nach gefährlich.

Herr Professor Sandner, danke für das Gespräch.

Die Serie

Banken zittern, Spekulanten jubeln: Aber was steckt wirklich hinter Bitcoin, Ethereum und Co.? In einer Serie behandeln wir die Welt der Digitalwährungen. Bisher erschienen:

(Fortsetzung folgt)

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